Verrückte Abende verbringen, die Liebe seines Lebens finden, bei der Hochzeit der besten Freundin die Schleppe tragen: Erwachsenwerden und Erwachsensein hörte sich immer wie ein großes Abenteuer an. Ein Märchen, das verborgen, in einer anderen Welt nur darauf wartet, entdeckt zu werden. Voller bunter Farben und toller Erlebnisse. Die Realität sieht aber irgendwie anders aus.
Alles ändert sich und nichts ist mehr so, wie wir es gewohnt sind. Die Suche nach der/dem Richtigen entpuppt sich mehr als die Suche nach der Nadel im Heuhaufen und das Märchen „Der Froschkönig“ klingt plötzlich wesentlich mehr nach unserem eigenen Leben, als Liebesgeschichten á la Dornröschen. Viele Frösche zu küssen ist tatsächlich deutlich realistischer, als plötzlich von dem Mann seiner Träume wachgeküsst zu werden. Vielleicht hätte uns da mal jemand vorwarnen sollen.
Freunde, die uns gestern noch jeden Tag geschrieben und alles aus ihrem Leben mit uns geteilt haben, entschließen sich plötzlich dazu, dass Partner X anscheinend der perfekte Ersatz für uns sei und unseren Platz mindestens genauso gut ausfüllen kann. Menschen, die einem die Welt bedeuten, ziehen weg und plötzlich ist nichts mehr, wie es einmal war und wie wir es kennen. Stattdessen wird immer mehr von uns erwartet.
Tapetenwechsel oder Home Sweet Home?
Wir sollen plötzlich wissen, welchen Beruf wir die nächsten 50 Jahre ausüben sollen. Dabei brauchen viele mindestens eine Stunde, um sich auch nur darüber bewusst zu werden, welchen Film sie abends schauen möchten – ganz zu schweigen von der passenden Snackwahl. Als würde es nicht schon schwer genug sein, sich bezüglich der Berufswahl festzulegen, ist das Ganze oftmals auch noch mit einem Ortswechsel verbunden. Möchte ich überhaupt raus aus meinem gewohnten Umfeld? Habe ich vielleicht nur Angst davor, über den Tellerrand zu blicken und bleibe deswegen in meiner Komfortzone, obwohl es außerhalb dieser so viel mehr zu entdecken gibt? Fragen über Fragen und oftmals keine zufriedenstellenden Antworten in Sicht.
Wer bin ich überhaupt?
„Mit Ende 20 möchte ich verheiratet sein, zwei Kinder haben und an der Schule unterrichten“. Diesen Satz habe ich bis ich 18, 19 war, bestimmt hundert Mal gesagt und jedes Mal ernst gemeint. Vier, fünf Jahre später bin ich von alledem mindestens genauso weit entfernt wie davon, der erste weibliche Papst zu werden. Was bedeutet das? Heißt das, ich habe versagt? Bedeutet das, ich habe mich einfach verändert? Und wenn ja: Ist das gut oder schlecht? „Du hast dich verändert“, klingt meistens wie ein Vorwurf. Als würden wir das 18-jährige Ich verraten, das damals so viele andere Wünsche und Träume hatte. Als müssten wir ein schlechtes Gewissen haben und bloß möglichst schnell zum alten Ich zurückkehren. Doch wäre das wirklich das Richtige? Vielleicht sind Veränderungen etwas Gutes. Eventuell bedeuten sie einfach, dass wir eben diese Person von damals nicht mehr sind. Schlichtweg weil uns Erfahrungen und Erlebnisse zu einem neuen Ich geformt haben. Einem Ich, das seine frühere Erscheinung immer noch tief im Herzen trägt, sie aber nicht mehr ist.
Es kommt auf die Perspektive an …
Weise Ratschläge zu geben ist so einfach. Sich daran zu halten etwas ganz anderes. Das Leben genießen, jeden Moment zu etwas Besonderem machen klingt in einem Glückskeks tatsächlich ganz toll und ist in der Realität doch viel schwieriger umzusetzen. Seien wir ehrlich. Erwachsenwerden klang toll. In der Realität macht es oft einfach nur Angst. Natürlich ist auch eine gehörige Portion Euphorie dabei. Wir können alles selbst entscheiden, sind unabhängig und frei. Wir erleben tolle Momente, die keiner missen möchte. Das nächtliche Treffen mit der Person, die man gerade erst kennengelernt hat. Diese aufregende Sekunde vor dem ersten Kuss. Der besondere Moment, wenn wir erleben, wie unsere Freunde die Liebe ihres Lebens kennenlernen und das darauffolgende Kistenschleppen, wenn sie endlich zusammenziehen.
All das sind Momente, die das Erwachsenwerden und die Selbstfindung so einzigartig und besonders machen. Auf der anderen Seite die vielen Stunden des Tränentrocknens, wenn der ach so tolle Kerl plötzlich doch gar nicht so toll war und all die lieben Komplimente und Aussagen im Schnelldurchlauf noch mindestens fünf anderen Frauen geschickt hat. Die schweren Momente der Angst, männliche Freunde an zukünftige Partnerinnen zu verlieren, weil nicht alle glauben können, dass die Freundschaft rein platonisch ist. Nicht zu wissen, was wir möchten oder wer wir sind. Wohin wir wollen oder ob wir bleiben möchten.
Ab auf die Schaukel
Es sollte ein Marmeladenglas geben, welches wir immer genau dann öffnen können, wenn uns alles zu viel wird und wir lieber zurück in die Kindheit auf unsere Schaukel wollen. Wir werden angeschubst und müssen gar nichts machen, außer dazusitzen und den Wind auf der Nasenspitze zu spüren. Es gibt keine Hausarbeiten, die geschrieben und Telefonate, die erledigt werden müssen. Keine Ängste, geliebte Menschen zu verlieren – außer wir verlieren die Barbie oder den Spider Man auf dem Spielplatz – und vor allem kein Morgen, vor dem wir uns fürchten müssen. Am nächsten Tag werden wir immerhin mit einem Kuschelhasen links und einem Bären rechts geweckt und das größte Problem ist, welchen wir mit in den Kindergarten nehmen wollen.
Mein eigenes Marmeladenglas
Da es leider noch keine Erfindung gibt, die diese Reise ermöglicht, brauchen wir wohl unser Stück Marmelade im Alltag. Ein gemütlicher Fernsehabend mit der besten Freundin, Ausflüge in den Freizeitpark, alte Lieder abspielen und drauf los grölen: Wir müssen nicht immer erwachsen sein und wir müssen auch noch nicht wissen, wer wir in zehn Jahren sein wollen oder wo. Vielleicht reicht es für den Moment einfach, wir selbst zu sein und darauf zu vertrauen, dass uns jede schlechte Erfahrung etwas lehrt und zu der Person macht, die wir eines Tages sein wollen.
Brain-Washing: Sollten wir einfach anders denken?
Vielleicht ist eine neue Herangehensweise nötig, um das Erwachsenwerden positiver zu sehen und eher freudestrahlend in die Arme zu laufen, anstatt hakenschlagend zu versuchen, an ihr vorbei zu kommen. Vielleicht müssen die beste Freundin und auch wir selber erst viele Tränen weinen und Frösche küssen, um den Richtigen irgendwann wertschätzen zu können. Eventuell müssen uns Freunde vernachlässigen, um zu merken, was sie an einem haben und dass der Platz, den wir eingenommen haben, nur uns gehört und es für neue Freunde und Partner andere ganz tolle Plätze gibt. Wenn sie das wiederum nicht tun, haben wir nur eine Person verloren, die uns sowieso nicht verdient hat und nie so geliebt hat, wie wir sind. Das wird uns in der Zukunft helfen, Menschen besser einzuschätzen. Vielleicht bringt uns das Nichtwissen, wer wir sind oder wo wir hingehören, an ganz wunderbare Orte, an die wir sonst nie gelangt werden.
Ein Blick in die Kristallkugel
Könnte ich erfahren, wer ich in zehn Jahren bin und wo ich mit wem sein werde, würde ich es sofort wissen wollen und die Person, die es mir sagen könnte, mehr nerven, als ein kleines Kind, dass einen großen Eisbecher auf dem Tisch sieht und nicht alleine ran kommt. Doch vielleicht ist es tatsächlich Zeit, auf morgen zu vertrauen. Darauf, dass die Menschen, die man liebt, auch dann noch da sein werden. Darauf, dass der richtige Partner schon aus seinem Loch gekrabbelt kommt (und dann angemeckert wird, dass er so lange gebraucht hat). Einfach darauf zu vertrauen, dass alles gut wird und wir in zehn Jahren zurückblicken und uns fragen, warum wir uns eigentlich so verrückt gemacht haben. Vielleicht ist Erwachsenwerden doch nicht so schlimm, sondern eine Reise ins Ungewisse mit unfassbar vielen Überraschungen.
Anders und doch wunderbar
Vielleicht sind genau die Momente, die uns heute in Angst und Bange verschrecken, die Erinnerungen, auf die wir später zurückblicken und stolz sind, sie gemeistert zu haben. Mit Menschen die uns lieben, auch wenn wir vielleicht nicht mehr die Person sind, die wir vor einigen Jahren noch waren. Der Verlust des Schulfreundes, den wir jeden Tag gesehen haben, ist vielleicht gar nicht so schlimm, wie zuerst gedacht, sondern die Entwicklung einer viel gefestigteren, ernsteren Freundschaft, in der man gegenseitig die Hochzeit plant und auf die Kinder aufpasst. Theoretisch könnte die riesige Angst vor dem Umzug in eine neue, weit entferntere Stadt ein Schritt Richtung Glück sein und der verrücke Anruf eines guten Freundes, ob Nudeln in kaltes oder kochendes Wasser geworfen werden, kein schlechtes Zeichen, dass er sein Leben nicht in den Griff bekommt, sondern ein kleines Stück mehr Selbstständigkeit.
Wer auch immer wir sind, oder sein werden: Das Wichtigste ist, uns selbst treu zu bleiben. Alles andere wird sich wohl oder übel ergeben und irgendwann zu einem großen Puzzle zusammensetzen.
Angela
Liebe Nadine,
Du fasst sehr gut in Worte, was ich oft denke und erlebe. Ich bin jetzt 25 Jahre alt und dachte früher auch, dass mein Leben anders aussehen würde, dass man mit 25 Jahren eben erwachsen ist, weiß, was man tut und was man will, etc…Jetzt vermute ich, dass das ein lebenslanger Reifeprozess ist. Vielen Dank für Deinen Artikel!
Angela
Nadine Kuhnigk
Liebe Angela
Vielen lieben Dank für deine netten Worte! Ich habe mehrere Artikel in dem Stil geschrieben. Vielleicht ist da ja noch mehr dabei, was dich interessieren könnte. Liebe Grüße, Nadine