[English below]
Anstelle eines Strandurlaubs buchte ich kurzentschlossen ein Flugticket nach Porto, um den portugiesischen Küstenweg zu laufen. Zeit: eine Woche. Ziel: egal. „Der Weg ist das Ziel”, wie die Pilger so schön sagen. Zurück kam ich mit neuen Erfahrungen und dem Wissen, dass mein erster Camino nicht der letzte gewesen sein würde.
6 Uhr. Es kommt Leben in die Pilgerherberge. Im Stockbett unter mir wird der Schlafsack zusammengerollt und alle Siebensachen gepackt. Viel mehr hat der Pilger auch nicht dabei, denn jedes Kilogramm im Rucksack macht sich beim Wandern bemerkbar. Mein 8 Kilo schwerer Rucksack ist nur gefüllt mit dem, was ich wirklich brauche.
6:30 Uhr. Obwohl ich sonst zu dem ‚Der frühe Vogel kann mich mal‘-Typ Mensch gehöre, konnte ich den frühen Morgenstunden beim Pilgern schnell etwas abgewinnen. Die Welt liegt noch still und unberührt da und im heller werdenden Morgenlicht habe ich Zeit, durch das Laufen aufzuwachen und gleichzeitig die wunderschöne Szenerie zu betrachten. Mein Körper hat sich über Nacht erholt und ich falle schnell in mein gewohntes Wandertempo.
7:45 Uhr. Ich liebe das Pilgerleben. Es ist einfach. Der volle Terminkalender wird ersetzt durch ein Hineinleben in den Tag, der vor mir liegt. Ich folge meinen Impulsen und tue das, wonach mir ist. Jetzt gerade sitze ich auf einer Steinmauer an der Küste, weil die Aussicht zu schön war, um daran vorbeizulaufen, und frühstücke. Am liebsten würde ich meine einwöchige Reise zu einer einmonatigen ausweiten.
9:30 Uhr. Seit meinem übermotivierten Start am Morgen à la ‚Pilgern ist ein großartiger Lifestyle‘ bin ich inzwischen bei ‚Was um alles in der Welt tue ich hier?‘ angelangt. „Stimmungsschwankungen gehören beim Pilgern wohl genauso dazu wie im alltäglichen Leben“, denke ich und muss fast schon über mich selbst lachen. Wenn die Blasen sich bemerkbar machen, die Füße schmerzen und der Rucksack schwerer wird, heißt es eben für eine Weile: weiterlaufen, laufen, laufen, bis die nächste Hochphase kommt.
12:00 Uhr. Meine wohlverdiente Mittagspause verbringe ich mit Blick auf den Atlantik. Was für ein Privileg!
12:30 Uhr. Über 20.000 Entscheidungen trifft der Mensch pro Tag. Beim Pilgern sind es einige weniger. Alles was ich tun muss, ist den gelben Pfeilen zu folgen. Manchmal fühle ich mich in meine Kindheit zurückversetzt wie auf einer Schnitzeljagd. Für mich bietet das Pilgern ein großartiges Setting, um meinen Gedanken freien Lauf zu lassen und all dem Raum zu geben, was sonst im Alltag übertönt wird. Wenn ich keine Lust mehr auf Gefühlsduselei habe? Dann konzentriere ich mich auf das Laufen. Ein Schritt nach dem anderen mit Bergen zu meiner Rechten und dem Meer zu meiner Linken.
13:15 Uhr. Hinter den immer wieder auftauchenden Pilgerrucksäcken entdecke ich ein bekanntes Gesicht. Wir sind uns bereits über den Weg gelaufen und unglaublich froh, das letzte Stück gemeinsam in Angriff nehmen zu können. Obwohl ich zu den Menschen gehöre, die das Alleinsein genießen, läuft es sich zu zweit doch manchmal leichter.
14:00 Uhr. „Wenn Schatten und Wasser zu den wichtigsten Bedürfnissen werden, ist man so richtig angekommen im Pilgerleben“, denke ich. Mein nächster Gedanke wandert zu meiner zurückliegenden Prüfungsphase und ich fühle mich besser – das nennt man dann wohl umgekehrte Psychologie. Obwohl unter den schönen Kilometern auch viele anstrengende dabei sind, bin ich froh, hier zu sein und möchte keine Pilgererfahrung missen.
15:00 Uhr. Letzte Pause vor dem Etappenziel.
15:30 Uhr. Endlich! Glücklich und erleichtert betreten wir die Pilgerherberge. Als völlig untrainierter Pilger bin ich jedes Mal ein bisschen stolz auf mich, wenn ich nach 20 bis 30 Kilometern täglich einen weiteren Stempel in meinen Pilgerpass bekomme. Jetzt wartet der ganz normale Pilgeralltag: Duschen, Kleidung waschen, Füße hochlegen, Tagebuch schreiben, Abendessen und Verpflegung für den nächsten Tag einkaufen.
18:00 Uhr. Mit zwei weiteren Pilgerbekanntschaften sitzen wir draußen, genießen unser gemeinsam gekochtes Abendessen und lassen den Tag ausklingen.
21:00 Uhr. Schlafenszeit, bevor es morgen wieder heißt: Bom Caminho!
Grüße gehen raus an Janne, Matthias und Fine – die beste spontane Reisegruppe überhaupt.
Caminho Português da Costa
Der portugiesische Küstenweg ist sehr geeignet für Pilgereinsteiger und hat durch die Meeresnähe seinen ganz eigenen Charme. Der Großteil des Weges führt direkt an der Küste entlang. Der Weg von Porto bis nach Santiago de Compostela kann in etwa 14 Tagen gelaufen werden. Wer weniger Zeit hat, kann von größeren Städten aus (z.B. Vigo in Spanien) mit dem Bus zum Flughafen fahren. Ein Nachteil ist, dass der Weg nicht mit so vielen Herbergen ausgestattet ist, wie es bei anderen Caminos oder auch dem portugiesischen Zentralweg der Fall ist. Vor allem in der Hauptsaison kommt es dadurch zu Engpässen. Dadurch kann eine Tagesetappe gezwungenermaßen länger werden und es fällt ein wenig die Flexibilität weg, die das Pilgern so besonders macht. Da der Küstenweg immer beliebter wird, eröffnen allerdings auch langsam mehr Unterkünfte und ich würde ihn trotz des Mangels an Pilgerherbergen wärmstens empfehlen für alle, die noch keine Pilgererfahrungen haben und das Meer lieben.
Instead of getting a tan at the beach, I booked a flight ticket to Porto to walk the Coastal Route of the Portuguese Camino. Without a destination I hiked as far as I could get in one week. “The journey is the destination,” as the pilgrim saying goes. I returned with a whole bunch of new experiences and the knowledge that my first Camino would not have been the last.
6 a.m. The pilgrim hostel awakes. In the bunk bed next to me people start to roll up their sleeping bags and pack their belongings. A pilgrim doesn’t bring much, for he has to carry every kilogram himself. My backpack of 8 kilograms is only filled with what I really need.
6:30 a.m. Even though I am usually a ‘Don’t talk to me before I had my coffee’-type of person, I enjoy the early mornings here. The world is yet untouched. At dawn I get time to wake up through walking and meanwhile watch the stunning landscape that surrounds me. My body has recovered itself over night and quickly I get into my usual hiking pace.
7:45 a.m. Life as a pilgrim is simple. The full calendar is replaced by living without a thought for tomorrow. I follow my impulses and do whatever I want to. In this very moment, I sit at a stone wall at the coast and have breakfast. The view was simply too beautiful to walk by. If I had the time, I would love to extend my week-long pilgrimage to a whole month.
9:30 a.m. Since my overly motivated beginning in the morning (‘To pilgrim is the best lifestyle ever’), I had a slight mood swing to ‘What on earth am I doing here?’. When blisters become noticeable, feet hurt and the backpack gets heavier, for a while there’s only one thing you can do: continue to walk until you get to another summit.
12 p.m. Time for lunch – with an ocean view. What a privilege!
12:30 p.m. Humans make more than 20.000 decisions every day. When on a pilgrimage, it’s a lot less. All I have to do is follow the yellow arrows. Sometimes I feel like a child that is on a treasure hunt. To me the pilgrimage is a wonderful setting to think things through and give all the things space that usually get drowned in daily routine. When I get tired of cloying sentimentality, I simply concentrate on walking. One step after another; mountains to the right, ocean to the left.
1:15 p.m. Behind one of the many backpacks I see on my way, I discover a familiar face. Our paths crossed once before and we are unbelievably glad to continue the remaining kilometers together. As much as I enjoy to walk alone, sometimes the company of other pilgrims makes keeping up easier.
2 p.m. “When shadow and water get to be the biggest needs, one has turned into a true pilgrim,” I think. Next second my mind drifts to my last finals and I feel better (it’s called reverse psychology I believe). Although there are many challenging kilometers right next to the nice ones, I am glad to be here and don’t want to miss a single pilgrim experience.
3 p.m. Last break before we will reach our destination.
3:30 p.m. Finally! Happy and relieved we step into the pilgrim hostel. Every time I get another stamp into my pilgrim passport after walking 20 to 30 kilometers a day, I am proud of myself. Now the pilgrim’s daily routine begins: take a shower, wash clothes, put the feet up, write diary, buy dinner and food for the next day.
6 p.m. With two other pilgrim friends we sit outside, enjoy our self-cooked meal and end the day on a cozy note.
9 p.m. Bedtime. Tomorrow is a new day under the motto: Bom Caminho!
Caminho Português da Costa
The Coastal Route of the Portuguese Camino is perfect for pilgrimage beginners and ocean lovers. It mostly follows the coastal line and provides wonderful views on the ocean. The way from Porto to Santiago de Compostela can be walked in approximately 14 days. Whoever got less time can always end early and take a bus to the airport in bigger towns (I went back after 7 days in Vigo, Spain). The Coastal Route has not been getting much attention until a couple years ago. Due to this, there are not yet as many pilgrim hostels as usual on a Camino. This can be a disadvantage as sometimes you will have to walk longer to get to an affordable accommodation. You can mostly make reservations at a hostel the day before, but it still takes away a bit of the flexibility that is so special about a pilgrimage. However, because the Coastal Route becomes more popular these days, more accommodations gradually open up. Be that as it may, I highly recommend the Portuguese Coastal Route for anyone who is not exercised and loves the sea.
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