Ecke Kurfürstendamm Joachimsthaler Straße. Die Autos rauschen vorbei, Kinder rufen nach ihren Müttern, Touristen reden über das KaDeWe. Auf dem Bordstein steht Eberhard und spielt Drehorgel.
Jeden Tag zwei, drei, manchmal auch vier Stunden. Meistens steht er hier auf dem Ku’damm. Mit der rechten Hand bewegt er im Uhrzeigersinn die Kurbel, seine Linke ruht auf dem grün angestrichenen Kasten. Vier Stunden Programm hat er heute dabei, Alt-Berliner, Rheinländer, Seemannslieder. „Alles was alt ist, weil ich ja auch alt bin.”, sagt er. Eberhard habe immer Schauspieler werden wollen. Sein Vater riet ihm aber damals, er solle lieber zur Zeitung gehen, das sei sicherer. Das habe dann gezählt, weil sein Rat ihm viel bedeutet habe, sagt er. Also war er bei der Zeitung, bis zur Rente 1993. Leierkasten spiele er, weil das eben zu Berlin dazu gehöre. Mit 50 hatte er dann seine erste Drehorgel. Das ist jetzt 34 Jahre her. „Für mich war immer wichtig, ehrlich durchs Leben zu gehen. Viel Freude bereiten. Und auch viel Blödsinn.”
Eberhard dreht immer weiter. Solange, bis ein Band abgespielt ist. Unter dem Leierkasten befindet sich ein Fach, in dem er die Lochbänder aufbewahrt. Eberhard holt vorsichtig ein neues Band aus einer Schachtel und spannt es in den Kasten ein. Durch die Drehbewegung, die er mit der Kurbel ausführt, wird schließlich Luft in einen Blasebalg erzeugt. Die Luft wird in einer Luftkammer gespeichert, sodass ein konstanter Druck auf die Ventile entsteht. Wenn die Ventile sich öffnen, gelangt Luft hindurch und so entsteht die Musik.
Ein Passant kommt auf ihn zu und sagt: „Das ist Einsatz, das sind die echten Berliner!” während er Münzgeld in das kleine Holzkästchen wirft, das mit einem Spanngummi auf dem Leierkasten festgemacht ist. Eberhard lächelt den Mann an. Mit seiner linken Hand nimmt er seine Schiebermütze vom Kopf, verneigt sich tief, „Vielen Dank, noch ein schönes Wochenende!”, wünscht er dem Passanten, dabei dreht er den Kasten weiter. „Das gehört einfach zu Berlin”, sagt Eberhard, „viele von uns Echten gibt’s ja nicht mehr. Aber alle freuen sich, wenn ich hier stehe.”
Eberhard lächelt er viel. Er spiele gerne, weil man so viele unterschiedliche Menschen treffe. Eberhard erinnert sich an eines seiner schönsten Erlebnisse: Am 11.02.1986 spielte er mit seinem Leierkasten an der Glienicker Brücke, wo der dritte Agentenaustausch zwischen Ost und West stattfand. Auf dem Weg dorthin sei er von zwei Stasi-Polizisten angehalten und aufgefordert worden, seinen Kofferraum aufzumachen. Es sei nur ein Leierkasten drin, mehr nicht. Das sei egal, er solle rechts ranfahren. Als die Polizisten sahen, dass sich wirklich ein Leierkasten im Auto befand, hätten sie ihn aufgefordert etwas zu spielen. „Denen kamen sofort die Tränen. Das hat mir gezeigt, dass da auch nur Menschen drunter stecken.”
Eberhardt trägt eine braune Lederjacke, darunter einen weißen Pullover und dazu eine schwarze Anzughose. Eine Schiebermütze und eine Sonnenbrille machen sein Outfit komplett. Man müsse beim Spielen natürlich auch die entsprechende Kleidung tragen. Im Sommer trage er oft Knickerbocker und ein geringeltes Hemd. Es sei alles noch aus den 20er Jahren. Auf dem Kasten sitzt neben dem kleinen Holzkästchen ein brauner Plüschaffe. Der solle an die Zeit erinnern, als die Musiker noch mit lebendigen Affen auftraten. Die Affen seien nicht nur eine zusätzliche Attraktion gewesen, sondern sollen die zugeschmissenen Münzen aufgehoben haben. Damals seien die Drehorgelspieler noch über die Hinterhöfe gezogen. Vielen habe das Spielen als Broterwerb gedient. „Heute ist das anders. Das war ‘ne andere Zeit, ‘ne schönere Zeit.” Trotzdem wird Eberhard morgen wieder am Ku’damm stehen und weiter die Kurbel drehen.
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