Warum haben sich bei der Bundestagswahl so viele Direktkandidaten aufstellen lassen, obwohl sie kaum eine Aussicht auf Erfolg hatten? Benedikt Bögle hat nachgefragt bei Stefan Scheingraber, Direktkandidat der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP).
Während in Berlin die Verhandlungen zur Jamaica-Koalition beginnen, hat Stefan Scheingraber seine politische Karriere beendet. Der 48-Jährige war Direktkandidat der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP) im Oberpfälzer Wahlkreis Schwandorf-Cham. Was bleibt bei ihm von einem kräftezehrenden Wahlkampf?
Große Parteien gewinnen
Große Chancen hat sich Scheingraber mit seiner Kandidatur eigentlich nicht ausgerechnet. Rechnerisch war es für ihn kaum möglich, in den Bundestag einzuziehen. Und das hat einen Grund: In Deutschland erhält jeder Wähler zwei Stimmen. Mit der ersten Stimme kann er einen Direktkandidaten wählen. Hier gewinnt in jedem Wahlkreis nur ein Kandidat. Wer die meisten Stimmen auf sich vereinigen kann, zieht in den Bundestag ein. Mit der zweiten Stimme wird eine Partei gewählt. Wie viele Sitze eine Partei letztendlich im Bundestag bekommt, hängt vom Ergebnis dieser Zweitstimme ab. Da bei der Erststimme nur ein Kandidat gewinnen kann und eine Mehrheit von 50 Prozent oder mehr nicht nötig ist, schaffen es meistens nur Vertreter der großen Parteien, direkt in den Bundestag einzuziehen.
Deutschland wird für die Bundestagswahl in 299 Wahlkreise eingeteilt. Die Linke konnte nur fünf Wahlkreise gewinnen, die AfD drei, die Grünen nur einen und die FDP sogar keinen einzigen. Durch das Wahlsystem gewinnen fast nur die Direktkandidaten von CDU, CSU und der SPD. Wer für eine der kleineren Parteien ins Rennen geht, hat kaum eine Chance. Und trotzdem stellen sich in den Wahlkreisen Vertreter der meisten Parteien der Wahl. Sie wissen dabei, dass sie kaum gewinnen können und setzen dennoch ein starkes Zeichen für Demokratie. So auch Stefan Scheingraber: „Ich wollte eigentlich gar nicht nach Berlin. Ich habe einen Beruf, in dem ich glücklich bin. Aber ich habe mich engagiert, weil es mir um die Sache geht.“
Scheingraber „hält den Kopf hin“
Scheingraber ist Arzt und Privatdozent, gerade eben schließt er ein fünfjähriges Theologiestudium ab. Der Kreisverband der ÖDP war auf der Suche nach einem geeigneten Kandidaten für die Bundestagwahl. „Wir brauchten einen, der den Kopf hinhalten musste. Ich habe gesagt: Ich mach es“, so Scheingraber. Dabei war ihm von vornherein klar, dass die Wahl eigentlich nicht zu gewinnen war. In ganz Deutschland erhielt die ÖDP sowohl 2013 als auch in diesem Jahr nur 0,3 Prozentpunkte. Traditionell ist die Partei vor allem in Bayern und Baden-Württemberg vertreten. Sie vertritt einen ökologischen Standpunkt, steht für mehr Demokratie, integrative Flüchtlingspolitik und globale Ausrichtung. Scheingraber sagt, das sei für ihn ideal. Gerade als Christ wolle er die Schöpfung bewahren – der „grüne Ansatz“ der Partei komme ihm da sehr entgegen: „Ich bin wertkonservativ, aber ökologisch. Irgendwie bin ich also schwarz, aber auch grün. Und irgendwie auch rot.“ Diesen Mix habe er in der ÖDP gefunden, sagt er.
Neugierig auf Wahlkampf
Deshalb hat er sich auf die Kandidatur eingelassen: „Ich war neugierig auf die Erfahrungen.“ Viel Neues habe er gemacht, neue Ecken seines Landkreises entdeckt, Videos gedreht, auf Podiumsdiskussionen für die Partei Werbung gemacht. Er hatte drei Leute im Wahlkreis, die ihm ein wenig zur Hand gingen, ansonsten hat er aber alles selber gemacht: „Ich habe 70 Prozent der Plakate selber aufgehängt.“ Auch auf Facebook wollte der 48-Jährige für sich und seine Partei werben.
Oft sei ihm dabei auch die Meinung begegnet, wer die ÖDP wähle, würde seine Stimme wegwerfen. Scheingraber sieht das gar nicht so. Natürlich – den Einzug in den Bundestag hat die ÖDP nicht geschafft. Aber er ist stolz, ein klein wenig die Bekanntheit der Partei in der Oberpfalz gesteigert zu haben. So habe niemand seine Stimme weggeworfen, sondern die Partei mehr in den Fokus gerückt. Das Wahlergebnis kann dazu aber auch eine Auswirkung auf die Finanzen haben: „Wer bei der Wahl über 0,5 Prozent bekommt, wird vom Staat finanziert“, so Stefan Scheingraber. Gerade weil der ÖDP eine Finanzierung der Parteien ohne Spenden aus der Wirtschaft wichtig ist, wäre das natürlich wichtig gewesen. Geschafft hat die Partei es aber nicht – sie holte bundesweit gerade einmal 0,3 Prozent.
Zeichen für Demokratie
Trotzdem ist Scheingraber zufrieden mit seinem Wahlkampf. Etwa 2,3 Prozent der Direktstimmen konnte er für sich gewinnen. Für einen ÖDP-Kandidaten ist das eigentlich recht gut. Man merkt, dass der Kandidat für die Ideen kämpfen wollte – der Sitz im Bundestag war ja kaum denkbar. Dabei ist Scheingraber kein Einzelfall: In vielen Wahlkreisen engagieren sich die Parteien in dem Wissen, das Direktmandat auf keinen Fall gewinnen zu können. Dahinter stehen Menschen, die viel Arbeit mit dem Wahlkampf haben, die um jede einzelne Stimme kämpfen. Damit setzen sie ein Zeichen für Demokratie. Scheingrabers politische Karriere ist vorbei. In den kommenden Jahren will er Diakon in der katholischen Kirche werden: „Ein offenes parteipolitisches Engagement ist daher nicht mehr möglich.“ Am Wahlergebnis liege das nicht. Im Gegenteil: Eigentlich würde er gerne nochmal Wahlkampf machen.
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