Deutschland, der ehemalige Vorreiter in Sachen Erneuerbare Energien: Auf internationaler Ebene verabschiedet die Bundesregierung ambitionierte Ziele, doch auf nationaler Ebene vermindern sich weder die Emissionen, noch zeichnet sich eine grundlegende Wende ab … Ein Beitrag darüber, was zwischen Wunsch und Tat steht und dass es Zeit wird, sich zu befreien.
Es ist schön, noch einen günstigen Flieger in die Sonne zu erwischen, Freunde im Erasmus-Semester zu besuchen und abends noch etwas was bei Amazon zu bestellen, was morgen oder spätestens übermorgen da ist: Wir können so viel tun und müssen dafür noch nicht wirklich viel Geld in die Hand nehmen. Soweit so gut. Wären da nicht die sich häufenden Berichte über Klimawandel und den wieder viel zu heißen Sommer mit Waldbränden und Ernteausfällen in diesem Jahr.
Vor wenigen Wochen erschien wieder einer dieser Berichte, die durch die Medien und die Öffentlichkeit gehen und für Aufsehen und Erschrecken sorgen. Auch der Sonderbericht des Weltklimarates IPCC betonte, dass bei einer globalen Erwärmung von nur 1,5 Grad Celsius weltweit hohe Risiken für Mensch und Natur durch die Klimafolgen bestünden, wobei die derzeitige Erwärmung bereits ein Grad Celsius beträgt. Die mehr als über 90 Autorinnen und Autoren des Berichts forderten dazu auf, sofort energisch zu handeln, damit die international vereinbarten Klimaschutzziele noch erreichbar sind. Die EU-Kommission versprach weitere Anstrengungen und Politiker mehrerer Nationen schlossen sich darin an. Der benötigte Wandel wird tiefgreifende Transformationen erfordern, den derzeitigen Lebensstil grundlegend verändern und – das ist wohl das größte Problem – unangenehm werden.
An den guten Willen zu appellieren reicht nicht
Gewiss, es wäre möglich, mehr Informationen zu geben, was umweltschädlich ist, welche Alternativen es gibt oder wie hoch die Kosten eines Produkts sind, wenn umweltschädliche Folgen einberechnet werden. Doch würde dies ausreichen? Über genügend Wissen verfügen immer mehr Menschen, was ebenso lobenswert ist wie der Wille zu handeln, den mittlerweile viele haben. Doch konsequent mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren, das Geld in nachhaltigen Finanzprodukte anlegen, ökologische oder regionale Lebensmittel ohne Verpackung zu kaufen, Shampoo und Kosmetik ohne Mikroplastik zu kaufen – all das und noch viel mehr erfordert Zeit, kostet Geld und ist anstrengend. Je mehr man sich der Vorstellung nähert, desto unattraktiver erscheint sie bei näherem Hinsehen. Es stellt sich ein Gefühl ein, das einen bitteren Nachgeschmack hat, einen Geschmack nach gestrickten Socken, grünen Moralverboten und geschmacklosen Vollkornkeksen. Der gute Wille wäre schon da, doch er tritt schnell in den Hintergrund, sobald es konkret wird.
Nicht zuletzt deshalb, weil die Mehrheit der umweltpolitischen Debatten in Deutschland mit Verboten assoziiert wird, stellvertretend sei der so oft beschworene Veggie-Day genannt. Wer konsequent nachhaltig handelt, gilt als Öko, wird belächelt, selten bewundert und muss sich manchmal rechtfertigen, denn mal ehrlich: Wer will gerne auf den Urlaub in der Karibik oder in der Türkei verzichten und kein Auto haben? Erfolg und Wohlstand verträgt sich bislang nur bedingt mit Umweltschutz. Der Einkauf im Bioladen, der Restaurantbesuch im neuesten veganen Restaurant und schickes Bambus-Geschirr mögen darüber hinwegtäuschen. Doch es sind gerade die, die die gut verdienen und über eine hohe Bildung verfügen, die sich am umweltschädlichsten verhalten. Wer mehr verdient, so die simple Rechnung, ist mehr auf Reisen, konsumiert mehr, lebt in größeren Wohnungen oder hat ein größeres Auto.
Wer trägt die Verantwortung für die momentane Lage?
Das schmerzhafte Verhalten einiger verantwortlicher politischer Entscheidungsträger, man könnte es fast Bemühen nennen, die Autoindustrie zu schützen, zeugt ebenso von einem krampfhaften Festhalten am Status-quo und einer Angst vor Veränderung. Dies zeigt sich auch am Verweis, dass Arbeitsplätze in der Braunkohleindustrie oder der Automobilindustrie zu schützen seien. Die Tatsache, dass derartige Beschwörungen schon vor der Jahrtausendwende zu hören waren, sei dabei nur am Rande genannt. Träge, bequem und verfahren, wenn nicht sogar ein klein wenig arrogant wirkt das derzeitige Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, während derweil andere Nationen bei der Entwicklung innovativer Techniken am ehemaligen Exportweltmeister Deutschland vorbeiziehen: Regierungen regulieren CO2-Ausstöße, selbst die oft belächelten, weil vermeintlich etwas trägen Italiener, erlassen Fahrverbote. Man könnte die Liste ewig fortführen und kehrt doch ratlos zurück zur Frage nach der Verantwortung für den deutschen Stillstand. Sind es die Verbraucher, der Markt oder ist es mal wieder die Politik? Die Antwort zu finden erweist sich als endlose Suche und je nach Interesse wird man zu einer anderen Antwort gelangen, ohne essenzielle Erkenntnisse daraus ableiten zu können. Schlicht aus dem Grund, dass eine grundlegende und gesamtgesellschaftliche Transformation nötig ist.
Doch – und hier kommt die positive Nachricht ins Spiel – eine Mehrheit der Bevölkerung ist nicht mehr gewillt, den momentanen Zustand zu dulden. Bei immer mehr umweltpolitisch relevanten Themen wie beispielsweise dem Verkehr, der Massentierhaltung oder eben der Braunkohle ist ein klarer Bewusstseinswandel hin zu mehr Nachhaltigkeit und Umweltschutz zu verzeichnen. Umweltschutz findet sich in der breiten Medienöffentlichkeit wieder und gewinnt sogar im politischen Wettbewerb erneut an Gewicht, wie der bayerische Wahlkampf zeigte. Die entscheidende Frage ist, wie die Macht der Gewohnheit überwunden werden kann, ohne dass es allzu schmerzlich erscheint. Es treten Zeiten vor unser inneres Auge, in denen der Dorfladen nur wenige Artikel parat hatte, man innerhalb Deutschlands oder nach Österreich in den Wanderurlaub fährt – keine verlockende Prognose so möchte man meinen. Warum nicht? Um dem auf die Spur zu kommen, lohnt es sich einen Blick darauf zu werfen, warum Nachhaltigkeit unterbewusst als entbehrlicher Zustand wahrgenommen wird.
Wer muss in Deutschland nachhaltig leben?
Zahlen des Paritätischen Gesamtverbands aus dem Jahr 2016 liefern eine wichtige Antwort auf diese Frage, gelten doch 15,4 Prozent der deutschen Bevölkerung als armutsgefährdet und rund sechs Millionen Menschen als prekär lebend, vor allem all jene, die „Hartz IV“ beziehen. Nun sind es gerade diese Menschen, die am nachhaltigsten konsumieren, da es ihre finanzielle Situation erfordert. Dabei fehlt ihnen jedoch meist sogar noch das nötige Geld, um beispielsweise effizientere Technologien anzuschaffen. Zusätzlich sind es diese Haushalte, die stärker Umweltbelastungen und damit verbundenen Beeinträchtigungen der Lebensqualität ausgesetzt sind. Die Stellschrauben, an denen sie vor allem versuchen zu sparen und an denen der Rest der Bevölkerung drehen sollte, sind beispielsweise der Heizenergieverbrauch, der Verbrauch von Kraftstoff, es sind aber auch Flugreisen und der sorgsame Umgang mit noch genießbaren Lebensmitteln (statt sie wegzuwerfen). Dass es nun scheinbar eine Minderheit ist, die nachhaltig lebt, und dazu noch quasi gezwungenermaßen erfordert eine grundlegende Debatte.
Die eine Lösung gibt es nicht
Wie wollen wir als Gesellschaft in Zukunft zusammenleben, wo wollen wir Einschnitte machen und wie viel ist uns das Wirtschaftswachstum wert, das die Natur und damit die Lebensgrundlage der Menschen weltweit zerstört? Wie viel Wahres steckt in Warnungen vor Arbeitsplatzverlusten und Wirtschaftseinbußen und bewahrheiten sich diese auch in einigen Jahren noch?
Um das 1,5 Grad Ziel noch zu erreichen, wird der technische Fortschritt nicht ausreichen, denn noch mehr Effizienz wird wie in der Vergangenheit zu einem Mehr an Konsum führen statt zu einem Weniger. Es geht darum zu fragen, welche Bedürfnisse mit dem Konsum bestimmter Artikel befriedigt werden, wo Möglichkeiten liegen, diese zu reduzieren und welche gesellschaftliche Normen Hemmnisse darstellen. Konsumverzicht wird oftmals so verstanden, dass er die Lebensqualität spürbar einschränkt, wie es bei den Menschen meist der Fall ist, die notgedrungen sparsam leben müssen. Wo aber liegen mögliche Anreize und welche Maßnahmen belasten bestimmte Gruppen übermäßig bzw. wo müssen Umverteilungen und Ausgleiche geschaffen werden und wo muss reguliert werden? Die Lösung ist weiterhin zu demonstrieren, es müssen Fragen danach gestellt werden, welche Verantwortung die Politik hat, um welchen Preis Wachstum nötig ist und was Lebensqualität für uns und nachfolgende Generationen bedeuten soll.
Was nach Beschränkung klingt, muss Chance werden für neue Innovationen in der Wirtschaft und Fragen des sozialen Miteinanders. Sonst werden wir – gleich wie viele erschreckende Klimaberichte es noch gibt – die Erde schneller zugrunde wirtschaften, als uns lieb ist. Dabei gibt es verschiedene Antworten und Vorschläge, von Fragen der Effizienz und Suffizienz hin zur Green Economy und Postwachstumswachstumsgesellschaften. Welche am Ende die unsere sein wird, ist egal. Wichtig ist, dass wir eine finden, bevor es zu spät ist – und vielleicht ergeben sich mehr Freiheit und mehr Lebensqualität, als wir uns momentan vorzustellen vermögen.
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