Ein perfides Machwerk, ein grenzwertiges Getränk und mindestens acht Tote. Das alles fließt bei dem Roten Bullen aus Österreich zusammen. Ein Marketingprodukt par Excellence überschwemmte in den achtziger Jahren den Getränkemarkt. Doch was als Getränk anfing, hat längst seine eigene Welt konstruiert.
Jeder kennt Red Bull. Egal ob auf einer Party gemixt mit Alkohol, beim Sport oder beim Lernen, irgendwo hast auch du bestimmt schon mal versucht, die Wirkung dieses scheinbaren Wundermittels zu testen. Die von Red Bull gesponserten Filme und Werbespots erfreuen sich großer Beliebtheit und der Werbeslogan „Red Bull verleiht Flügel“ ist heute wohl beflügelter, als es je ein Konsument sein wird. Bei dieser massiven Alltagspräsens hast du dich hoffentlich auch schon einmal gefragt, was sich hinter dem Energydrink so alles verbirgt. Falls man diese Frage beantworten will, muss man eine Tür zu einer anderen Welt aufstoßen. Eine Welt, in der eine gelbe Brühe durch die Bäche fließt, die Menschen keine Treppen mehr nehmen, sondern basejumpen und mit dem richtigen Getränk alles möglich wird.
Alles begann mit einem normalen Geschäftsflug des „Red Bull-Erfinders“ Dietrich Mateschitz nach Thailand. Nach einem langen Flug besorgte sich dieser gegen den Jet Lack ankämpfend ein thailändisches Erfrischungsgetränk namens „Krating Daeng“. Später wird er erzählen, wie er nach einem Glas dieses Wundermittels wieder topfit war. Begeistert übersetzte er also den Namen, übernahm das Logo und kaufte sich in die Firmenrechte ein, um das Getränk in Europa zu etablieren. Nach drei Jahren intensiver Arbeit und modifizierter Rezeptur konnten 1987 die ersten Dosen verkauft werden.
Das vielleicht coolste Getränk der Welt
Von Anfang an stand das Image der Marke „Red Bull“ im Vordergrund und nicht das Getränk selbst. So drängte sich das neuartige Getränk zunächst in alternative Jugend- und Clubszenen. Anfangs waren das überwiegend im Techno- und Wintersportbereich. Schnell konnte sich das Getränk mit genau ausgeplanten Werbeveranstaltungen in diesen Randbereichen der Gesellschaft einen Namen machen. Damit begann der Aufstieg des Imperiums in Österreich. Doch wie so häufig wehrten sich die „Germanen“ in den deutschen Ämtern aufgrund von Lebensmittelbestimmungen gegen die Expansion des Imperiums vehement. Doch trotz oder gar wegen des Verbots von Red Bull in Deutschland gewann das Getränk auch hierzulande an Bekanntheit.
Plötzlich wurden in Bayern palettenweise Schmuggelware sichergestellt. Doch anstatt Drogen oder Sklaven wurde ein süßliches Getränk in silber-blauen Dosen sichergestellt. Damit hatte Red Bull nun endgültig den Ruch des Verbotenen und Gefährlichen inne. Die darauf folgenden Schritte des Marketingkonzerns waren vollkommen logisch und perfekt inszeniert. Mit wachsender Medienpräsenz wurde auch die Ausweitung des Sponsorings vorangetrieben. Von nun an wurde das Getränk nicht mehr zu den Leuten, sondern die Leute zum Getränk gebracht, wie es Dietrich Mateschitz einmal formulierte.
Kapitalismus der Aufmerksamkeit
Wenn man so stark auf das Markenbewusstsein der Konsumenten fixiert ist, muss man auch im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen. In Wirtschaftskreisen spricht man hier häufig vom Brandmarketing. Das ist letztlich eine Methode, die weit über gängige Werbung hinausgeht und dazu führt, dass die Marke (und nicht das Produkt) in allen Lebensbereichen präsent ist. Bei Red Bull wird die Aufmerksamkeitsmaximierung hauptsächlich durch hochriskante Aktionen bzw. Events gefördert. Natürlich ist dabei alles auf die Zielgruppe ausgerichtet. Gerade die Bedürfnisse von jungen Männern werden befriedigt, so agiert Red Bull auch in Bereichen wie Musik (z.B. Hip Hop), virtuellen Games, Partys und Motorsport. Das Image bleibt dabei eigentlich immer geprägt von recht simplen Werbesprüchen: „Nothing is impossible“, „Anything goes“ oder „Push your limits“. Beachtlich sind natürlich auch die subtileren Symbole der „Coolness“. Trotz deutschsprachiger Herkunft wird klar auf englische Anglizismen geachtet und jedes Event bis ins Kleinste gefilmt und amerikanisch in Szene gesetzt. Die daraus entstehenden Filme sind zumeist extrem aufwändig, atmosphärisch und mit hipper Musik unterlegt.
Warum Extremsportarten?
Eine weitere Frage stellte sich bei meiner Recherche auch schon recht früh. Warum ist Red Bull so viel stärker in Extremsportarten vertreten, als in den populären, massenhaften und traditionellen Sportarten. Zwar versucht sich Red Bull zum Beispiel durch den Aufkauf der Salzburger Fußballmannschaft ein wenig in diese Bereiche vorzuwagen, aber nichtsdestotrotz fokussiert sich Red Bull nach wie vor auf die Extremsportarten. Egal ob Skateboarding, Freeski, Mountainbiken, Klippenspringen oder Basejumping. Umso höher, gefährlicher und sensationeller, desto besser. Ein gewichtiger Punkt dieser Marketingstrategie ist vermutlich der finanzielle Faktor. Es ist schlichtweg unglaublich teuer, einen Cristiano Ronaldo oder eine Bundesliga-Mannschaft zu sponsoren. Ein einfacher Snowboarder gibt sich da einfach mit sehr viel weniger Gehalt zufrieden. Somit war es gerade am Anfang der Konzerngeschichte für Red Bull billiger, sich in diesen Sektor einzukaufen. Zudem sind die Extremsportarten eben extrem – extrem spektakulär. Und aus jedem Spektakel erwächst Aufmerksamkeit. Auch Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz war früher begeisterter Wintersportler. Wahrscheinlich spielte auch seine eigene Affinität zu dem Sport eine Rolle in der Überpräsenz der Extremsportarten. Schließlich schaut sich Mateschitz auch gerne selbst die Stunts live an und besitzt eine Sammlung Düsenjets.
Dead Bull
Nach dem Tod des „Red Bull“-Athleten Ueli Gegenschatz war die Medienpräsens erneut extrem hoch. Der Basejumper stürzte bei Werbeaufnahmen für den neuen Handy-Coup „Red Bull Mobile“ aus 80 Metern auf das Vordach eines Bürokomplexes und starb an den Folgen. Man fragte sich, ob Gegenschatz nur durch den Druck von Red Bull bei solch schlechten Wetterverhältnissen gesprungen sei. Die Meinungen gehen bei dieser Frage auseinander, zudem die Antwort auch schwer zu finden ist. Stürzt Red Bull die eigenen Athleten rücksichtlos in den Tod oder handeln die Männer selbstbestimmt, aufgrund ihrer inneren Überzeugung? Ich denke hier muss man stark differenzieren und darf nicht voreilig schlussfolgern. Extremsportler testen ihre Grenzen, egal ob mit oder ohne Sponsor. Unter jungen Männern entsteht auch häufig eine Eigendynamik, die zu Extremen neigt. Die Gruppenpolarisation tendiert dazu, dass anfängliches Risikobewusstsein zu Leichtsinnigkeit führt. Das kann jeder bei Alkohol-Orgien, Vandalismus oder aggressiven Fußballfans beobachten. Dafür braucht es keinen roten Bullen.
Die extreme Erwartung
Zum einen muss festgehalten werden, dass die Athleten immer wieder neues Foto- und Videomaterial einschicken müssen, damit der Konzern daraus Werbefilme drehen kann. Das bedeutet, dass mit dem Sponsoring auch immer eine gewisse Pflicht einhergeht. Das ist allerdings gang und gäbe. Nur ist der Druck bei Red Bull noch ein wenig höher, da man nicht nur irgendetwas filmen kann, sondern dem Athleten alle Möglichkeiten dieser Welt offen stehen. Ein anderer Athlet würde die große Chance wiederum nutzen, falls man es selbst nicht tut. Damit würde man selbst weniger wert sein für die Marke. Das ist dann so ähnlich wie wenn man von seiner Mutter in den Urlaub eingeladen wird. Mit der Ermöglichung geht zwar keine Pflicht einher, aber sehr wohl eine Erwartungshaltung. Während bei der Mutter nur mit einem enttäuschten Blick der Zurückweisung zu rechnen ist, hat der Sponsor vollkommen andere Möglichkeiten zu reagieren. Extreme Situationen schalten den Verstand ab. In der speziellen Situation, wie zum Beispiel bei Ueli Gegenschatz, sind es auch die Rahmenbedingungen, die den Druck erhöhen. So wurden von Red Bull Helikopter mit Kameras bestückt und in Position gebracht, Fotographen aufgestellt, Werbung gemacht und alles auf diesen Moment hin fixiert, indem der Sportler seine Leistung abrufen muss. Jeder kann sich vorstellen, dass auch ein Felix Baumgartner nicht einfach bei seinem Stratosphären-Sprung auf einer Höhe von 38 km hätte sagen können: „Ach Leute, heute geht es mir nicht gut, lasst uns das Ganze auf morgen verschieben…“
Mit dieser Belastung müssen die rund 600 modernen Gladiatoren der „Red Bull“-Schule jedes Mal umzugehen wissen. Bis heute sind mindestens acht Menschen bei „Red Bull“-Aktionen ums Leben gekommen. Häufig werden die Toten sogar noch auf der Website und in den Filmen heroisch gefeiert. Das Fazit des Berliner Medienwissenschaftlers Norbert Bolz macht aber letztlich nicht Red Bull dafür verantwortlich, sondern die Gesellschaft: „Das Marketing von Red Bull funktioniert nur, weil wir als Konsumenten und Medien mitziehen. Die Todesgefahr fasziniert uns und hängt elementar damit zusammen, dass diese Gefahr auch als real empfunden wird.“ Am Ende kann also jeder selbst entscheiden, was er trinkt, sehen möchte und welche Kosten er für seine Unterhaltung in Anspruch nimmt. Ich hoffe du denkst das nächste Mal, wenn du den Geruch des Energydrings zu dir nimmst, an diesen Artikel zurück. Denn hier geht es um mehr als nur ein Getränk.
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