Morgens halb acht in der Domstraße 81, ganz nahe der U-Bahn-Station Ebertplatz in Köln: Anke H. ist mitten in den Vorbereitungen für das Mittagessen, das bis 12 Uhr servierfertig sein muss, wenn ein Großteil der Kundschaft kommt. Ihr guter Freund und Arbeitskollege Rainer K. wischt zeitgleich den Boden, macht die Tische sauber und deckt sie ein. Derzeit noch ruhig, wird es zur Mittagsstunde rappelvoll sein.
Grund dafür ist das Konzept des Lobbyrestaurants (genannt: die LoRe): Eine Anlaufstelle besonders für Obdachlose und Geringverdiener, wo auch „Normalbürger“ und Schülergruppen in ihren Mittagspausen gerne zum Essen vorbeischauen. Die Kernidee, einen Begegnungsraum zwischen „Berbern und Bankern“ zu schaffen, hat sich über die Jahre bewährt. Hier gibt es die Möglichkeit, von montags bis freitags zwischen 12 und 16 Uhr gute Hausmannskost für kleines Geld zu erhalten. Auch eine große Auswahl an Getränken wird angeboten, so dass Gäste auch einfach nur zum Kaffee- oder Teetrinken nachmittags vorbeischauen können. Vor allem in den kälteren Monaten bietet das kleine unscheinbare Restaurant eine warme gemütliche Atmosphäre, die bis zu 60 Menschen pro Tag anzieht, vornehmlich Stammkunden.
Die Gründungsgeschichte
Im Sommer 1994 öffnete das Lobbyrestaurant seine Türen das erste Mal. Der Standort, die Domstraße in der Nähe des Ebertplatzes, der U-Bahnstation Breslauer Platz und dem Kölner Hauptbahnhof, wurde nicht umsonst gewählt. Da viele der Gäste Obdachlose sind, ist das zentral gelegene Restaurant ein optimaler Treffpunkt. Seit den Anfängen in den Neunziger Jahren hat die Kölner Musikgruppe „Die Höhner“ die Schirmherrschaft übernommen. So konnte der Bekanntheitsgrad des kleinen Lokals erheblich gesteigert werden. Nicht nur durch einige von den Musikern initiierte Spendenaktionen, sondern auch durch den Song „Alles verLORE“, dessen Einnahmen bis zum heutigen Tag an die LoRE überwiesen werden, leisten sie tatkräftige Unterstützung.
An manchen Tagen kann es sogar vorkommen, dass die Höhner persönlich das Essen servieren und sich nicht verabschieden, ohne vorher eine musikalische Einlage im Gastraum zu bieten. Immer zu sehen: das die Wand zierende Foto der Höhner mit einer Vielzahl an Gästen vor dem Restaurant im Winter. Träger der sozialen Einrichtung ist das Kölner Arbeitslosenzentrum (KALZ). Die LoRe ist darüber hinaus mit einer weiteren vom KALZ organisierten Einrichtung verbunden, der Überlebensstation „Gulliver“. „Viele Gäste des Gulliver, sind auch Gäste von uns“ weiß Anke. „Manche haben so großen Hunger, die essen zuerst dort und kommen später dann nochmal hier in die LoRe“.
Die Mischung macht´s
Die Vermittlung zwischen den verschiedenen Gesellschaftsschichten, wie es die LoRe ermöglicht, ist nahezu einzigartig. „Oft sind solche Einrichtungen nur auf Obdachlose ausgerichtet, die bleiben dann unter sich“, ergänzt Servicekraft Rainer. Im Rahmen meines Sozialpraktikums konnte ich mir den Alltag in der LoRe zwei Wochen lang anschauen, später sogar in den Sommerferien einspringen, als Not am Mann war. Die Idee, Menschen zusammenzuführen, die sich sonst wohl kaum begegnen würden, ist keine Utopie, sondern Alltag im Restaurant. Die Gruppe der Geringverdiener ist zwar deutlich größer als die der Schüler oder Normalverdiener, trotzdem sind meist täglich einige „Normalbürger“ dabei.
Gerade zur Zeit der Umbauarbeiten am Ebertplatz kamen häufig Bauarbeiter zum Mittagessen vorbei und auch Passanten von der Straße lockte der Duft von Hausmannskost an. Scheu oder Argwohn sind hier definitiv nicht zu spüren. Die Tischkonstellation variiert täglich. Einige Stammgruppen haben sich gebildet und doch kommen Unbekannte täglich ins Gespräch. Nicht nur zwischen den Gästen ist der Austausch rege, das Personal wird immer wieder für das leckere Essen gelobt und hat stets ein offenes Ohr, denn: In der LoRe ist nicht nur heile Welt; insbesondere die Wohnungslosen haben oft schwerwiegende Probleme.
Schicksale hautnah
So verschiedenartig die Gäste auch sind, umso mehr gilt dies für die Gruppe der Obdachlosen. Einige erzählen mir von ihrem Lebensweg, haben Abitur gemacht, sogar studiert. Mir wird bewusst, dass das klischeehafte Denken auch mich vorher eingeholt hatte. „Alle denken immer, man ist stinkfaul, hat nie gearbeitet, hatte einfach keine Lust und will sich vom Staat finanzieren lassen“, sagt mir ein älterer Mann. Er kann vier Sprachen fließend sprechen, unter anderem auch Russisch. Bis vor einigen Jahren hat er als Dolmetscher gearbeitet, seine Stelle dann aber verloren. Seitdem ging es nur bergab, in erster Linie finanziell. Eine Unterkunft hat er zu seinem Glück aber noch.
Anders sieht es bei einer jungen Frau aus, Monika (Name geändert). Sie hat seit wenigen Monaten ein Drogenproblem, ist eine der Stammgäste. Manchmal sitzt sie zur Mittagszeit am Tisch und kann ihre Gabel nicht mehr richtig halten, zu benommen ist sie von den Drogen. Mehrere Male muss ich sie davon abhalten, mit dem Besteck ihre Serviette durchzuschneiden und zu essen. „Das sind Schicksale, das ist klar. Man muss im Umgang sehr sensibel sein“, sagte mir damals Bernd M., Chef des Lobbyrestaurants. Und damit hat er Recht! Vor allem bei meiner Arbeit im Service merke ich, wie schwer es ist, den richtigen Ton im Umgang mit alkoholisierten Gästen und/oder aggressiven Personen zu treffen, die grundlos herumpöbeln. Übel nehmen kann man es so richtig jedoch keinem, wenn man einmal die Schicksale der Erzählfreudigen gehört hat.
Ein ganz normaler Arbeitstag
Ohne das geregelte System, wie es in der LoRe zu finden ist, würden wahrscheinlich viele Gäste hungrig bleiben. Es ist eine wahre Herausforderung, den täglichen Besucheransturm zu managen. Zur täglichen Routine gehört für Anke, Rainer und Hilfskraft Michael die Wochenplanung der Speisekarte. Die Besucher sollen wie Gäste in einem regulären Restaurant behandelt werden, denn ihre Ansprüche sind hoch. Viele achten sehr penibel auf einen guten Service. Es gilt eine abwechslungsreiche Menüfolge zu kreieren, immer bestehend aus Vor-, Haupt- und Nachspeise. Eine durchaus anspruchsvolle Aufgabe. Fleisch hat dabei oberste Priorität. Auch wenn Küchenchefin Anke selbst nie jeden Tag Fleisch essen könnte, wie sie sagt, „erwarten die Gäste schon ein Essen, das satt macht. Vor allem die Männer wollen was im Magen haben, wenn sie länger nicht gegessen haben!“ Der Vormittag verläuft noch ruhig, beim Anrichten der Vorspeisen kann Anke ihrer Kreativität freien Lauf lassen. Wenn die Putzarbeiten erledigt sind und die Tische eingedeckt, bilden sich bereits um viertel vor zwölf kleine Gruppen vor dem Eingang. Rainer bleibt jedoch hart: „Wir können niemanden vor 12 Uhr reinlassen, wir müssen uns schon an die Regeln halten.“
Endlich: „Mittag!“, ruft Rainer laut, das gängige Signal, dass der Einlass beginnen kann. Die Gäste strömen in Scharen in den kleinen Raum, mit einer abgetrennten aber offenen Küche, sodass Anke die Gäste immer im Auge behalten kann. Rainer kennt die meisten Gäste so gut, dass er mindestens zehn Getränke schon vorbereitet hat. Im Akkord werden den hungrigen Gästen die verschiedenen Gänge serviert und weitere Bestellungen aufgenommen. Zwischendurch muss ebenso schnell der Geschirrspüler ein- und ausgeräumt werden – ein wahrer Knochenjob, wie ich aus eigener Erfahrung sagen kann. Um 14 Uhr ist es wieder deutlich ruhiger geworden, nur noch einige Nachzügler kommen vorbei. Leider muss Anke diese manchmal enttäuschen, denn nicht immer reicht das Essen für alle. Eine Stunde später beginnen allmählich die Aufräumarbeiten. Sind die Tische abgewischt und die Küche gereinigt, gehen die Angestellten gegen 16 Uhr nach Hause, um noch den Rest des Tages zu genießen, bevor es keine 24 Stunden später wieder heißt: „Mittag!“.
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