Das warme Lächeln zieht kleine Fältchen von Ohr zu Ohr. Die Sonne scheint auf ihr rundliches Gesicht, Paula lehnt sich entspannt an einen Klappstuhl und summt vor sich hin. Pause. „Die Sonne wird immer wärmer. Am Stand ist es so kalt.“ Sie stopft ihre eiskalten, gepflegten Hände in die Taschen ihrer blauen Weste. „Gestern war’s noch schlimmer als heute“, erzählt sie. Der goldene Siegelring an ihrem Finger glitzert. Sie schaut in den Himmel. Wolkenlos. Ein plötzliches Surren – und dann ein Zeppelin. „Jeden Tag sehe ich hier einen“, sie zeigt in den Himmel. Schon seit vielen Jahren besitzt sie einen Gutschein für einen Zeppelinflug, hat aber noch niemanden gefunden, der mit ihr fliegen möchte. Der Flug ist teuer.
Paulas Art ist zurückhaltend. Sie steht schüchtern in knallig weißen Schuhen und blauem Outfit am Outlet Stand für Funktionsbekleidung. „Funktionsbekleidung ist sehr wichtig“, erklärt Paula fachmännisch, „besonders dann, wenn’s kalt und windig wird“. Der Stand ist simpel. Die Kleidung hängt lieblos an den Bügeln, es riecht nach Waffeln von nebenan. Plötzlich kommen viele Besucher, Paula zwinkert und lächelt freundlich. Sie strahlt die Menschen an, erhellt die kalten, kahlen Seitenwände des schattigen Standes. Sie lächeln zurück. Es steckt an.
Sie arbeitet seit Donnerstag auf der Messe „Interboot“ in Friedrichshafen. Es war eine spontane Aktion, denn die Organisatorin – ihre ehemalige Chefin – brauchte kurzfristig Personal und fragte sie. „Klar“, antwortete Paula. Sie ist flexibel. Ohne Flexibilität geht heutzutage gar nichts. Außerdem ist ihr Sternzeichen Schütze, und ein Schütze „hat immer einen Koffer bereit“. Deshalb konnte sie zusagen, obwohl sie einige Termine umkrempeln musste und eigentlich „keine Zeit hatte“. Paula schätzt außer Flexibilität auch Offenheit und Hilfsbereitschaft. Nach einigen Sekunden fügt sie hinzu, „Respekt ist mir sehr, sehr wichtig“. Sie bemüht sich, diese Werte zu leben, glaubt an Gott und an das Gute im Menschen.
Paula ist in Ulm geboren. Heute lebt sie allein in Lindau in einer großen, schönen Wohnung aus dem 14. Jahrhundert. Der Bodensee ist ihre erste Heimat, die zweite ihr Studienort, Stuttgart. Sport hat Paula damals studiert. Nicht in Köln, weil es ihr da zu theoretisch war. Sie wollte Lehrerin werden, wofür man zwei Drittel Praxis und ein Drittel Theorie brauchte, nicht umgekehrt. Heute könne sie nicht mehr unterrichten, weil es zusätzlicher Qualifikationen bedürfe, die sie nicht habe. Sport und Bewegung an der frischen Luft gehören allerdings immer noch zum Alltag, so bleibe man gesund. Überraschenderweise nennt Paula Ägypten als ihre dritte Heimat. Seit 1994 fliegt sie regelmäßig dorthin. Ihre Augen blitzen vor Freude auf. Dort hat sie ihren letzten runden Geburtstag gefeiert. Sie wurde 2013 fünfzig.
Entspannen kann sich Paula besonders auf dem Wasser. Die kleine, unscheinbare Dame mit kurzen braun-grauen Haaren und glänzenden Augen holt tief Luft. Dann erklärt sie: Sie hat eine Leidenschaft fürs Segeln. Früher habe sie an verschiedenen Langstreckenregatten teilgenommen und manchmal auch gewonnen. Doch es war nicht immer ungefährlich. „Im Jahr 2000 waren wir unterwegs, und es kam ein riesen Sturm auf“, erzählt sie plötzlich aufgeregt, „es herrschte Windstärke neun! Es kamen riesige Wellen auf uns zu, und unser Segelschiff erlitt einen Mastbruch!“ Pause. „Aber aufgegeben habe ich nicht.“ Damals zog sie sich eine Kopfverletzung zu, die ihr heute noch Kopfschmerzen bereitet. Sie reibt vorsichtig an der Narbe und flüstert, „da hatte ich ein richtiges Loch.“ Auf dem See ist sie heute nur noch selten. Aber wenn, erzählt Paula einer Besucherin, dann trage sie die rote Windjacke dort drüben. Sie zeigt enthusiastisch auf einen roten Stapel.
Sie sieht sich in ihrem Stand um, an dem heute nur wenig Kunden vorbeigekommen sind. „Die Messe ist deutlich geschrumpft, weil alles zu teuer geworden ist“, erklärt sie. Sie dreht sich um, schaut auf das laute Motorboot des Nachbarstandes und führt ihren vorherigen Gedanken fort: „Der Bodensee ist tückisch!“ Trotzdem fühlt sie sich auf ihrem Segelschiff sicher. Dann teilt sie, völlig unbeeindruckt von den Gefahren, die sich in diesen großen Gewässern verbergen, eine alte Seeweisheit mit: „Wenn jemand im See verschwindet und nach drei Tagen immer noch nicht aufgetaucht ist, behält ihn der See für immer.“
Ihr Kampfgeist, der auch auf dem Wasser überlebensnotwendig ist, sei genetisch, erwähnt Paula nebenbei. Sie faltet geschickt pinkfarbene Poloshirts. Ihre Oma sei auch so gewesen. „Oma war wie eine Ersatzmutter für mich“, erzählt Paula traurig. Sie wurde 94. Die letzten Worte der Großmutter an ihre einzige Enkelin waren: „Ich habe dir mein langes Leben zu verdanken.“ Paula hat sich lange um die Frau gekümmert, sie gepflegt und geistig fit gehalten. „Das ist das größte Geschenk für mich“, lächelt die Baroness, die plötzlich verrät, dass sie eine ist. Dann tippt sie mit dem Zeigefinger auf ihren goldenen Siegelring, den eine Krone mit sieben Zacken ziert. Der Adel ist ihr heilig, weil er sie mit ihrer Oma verbindet. Entspannt blickt Paula in den wolkenlosen Himmel, die Sonne hat nun den Stand erreicht und erwärmt ihr Gesicht. Sie streckt ihre Hände in die Wärme. „Das Leben“, verrät sie, „ist nicht immer einfach“. Sie macht eine kurze Pause und fügt hinzu: „und trotzdem liebe ich das Leben und danke Gott dafür“. Rechts tuckert das Motorboot im Leerlauf vor sich hin, es riecht nach Waffeln von nebenan. Pause.
Schreibe einen Kommentar