Frankfurt, 20.09.12, 22 Uhr: Vor dem örtlichen Apple-Store drängen sich Hunderte Menschen. Sie alle sind auf der Jagd nach dem neuen iPhone 5, welches am nächsten Morgen zur Ladeneröffnung angeboten wird. Eigentlich wäre das um diese Uhrzeit skurril, würden wir dieses Schauspiel nicht längst schon kennen. Und doch stellt sich die Frage nach dem Warum: Wieso verzichten so viele Menschen auf ihren Schlaf, und das für ein Elektronikprodukt? Würde man Apple fragen, so bekäme man wohl eine Antwort, in der von einer unbeschreiblichen Faszination die Rede wäre, einer treuen Fangemeinde.
Und das stimmt sogar. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille: Apple verweigert Vorbestellungen. Das bedeutet: Jemand, der das neueste iPhone am Erscheinungstag in den Händen halten möchte, hat kaum eine andere Wahl, als sich in die Schlange der Wartenden vor den Stores einzureihen. Viele davon sind Blogger, die davon leben, als einer der ersten einen Bericht über das neuste Apple-Produkt veröffentlichen zu können, und so keine andere Wahl haben, als bei Nacht und Nebel auf die Ladenöffnung am Morgen zu warten. Haben die Fans und die zu Fans Gemachten am nächsten Morgen endlich ein iPhone in den Händen, so werden sie beim Verlassen des Geschäfts bejubelt wie Popstars. Ihnen soll suggeriert werden, dass sie etwas Gutes getan haben mit dem Kauf, aufgestiegen sind in den Level der Exklusiven. Bereits hier beginnt das iPhone zum Statussymbol zu werden, von Apple provoziert.
Von Göttern und Gurus
Als wäre dies noch nicht genug, berichten zahlreiche Medien über das Schauspiel, zumeist positiv. Einige Beispiele: Ein FAZ-Reporter verbringt eine Nacht mit den Wartenden, um daraus einen Bericht zu schreiben, und auch dem SPIEGEL, dem heute-journal, Focus und anderen Medien ist die Neuerscheinung des Smartphones eine Meldung wert. Bereits Monate vor der Erscheinung eines neuen Gerätes brodelt die Gerüchteküche.
Aktuellstes Beispiel: Am 18.08.14 titelt die BILD: „SO WIRD DAS NEUE iPHONE!“, nur eine von vielen Schlagzeilen. All dies ist Werbung, für die Apple keinen Cent zahlt. Paradoxerweise erkannte dies auch der SPIEGEL, der sonst mitgemischt hat in Apples Welt der Gerüchte. Er schreibt in der Onlineausgabe am 26. April 2010, Apple sei ein „paranoider Konzern, für den Geheimnisse nicht nur Schutz vor der Konkurrenz sind, sondern auch ein Marketingwerkzeug“, bezogen auf Apples Geheimhaltung im Vorfeld der offiziellen Pressekonferenzen, in denen schlussendlich die neuen Geräte vorgestellt werden. Auch diese sind Ausdruck eines geschickten Marketings: Die angeblichen Technikwunder werden präsentiert wie Götter, hinabgestiegen aus dem Technikolymp – von ihrem Guru, ehemals Steve Jobs, heute Tim Cook.
Design und seine Kosten
Dabei möchte man Apple zumindest eines anrechnen: Apples Produktdesign ist ebenso intuitiv, schön anzusehen und Träger eines Zeitgeistes wie strategisch meisterlich. Legt man iPod, iPhone, iPad und MacBook nebeneinander, so zeigt sich eine ausgeklügelte Produktpalette von ausgesprochener Eleganz und Designs, die sich ergänzen. Und doch spielt der eben angesprochene Zeitgeist für Apple eine noch weitaus größere Rolle als zunächst vermutet, meint zumindest Harald Klinge, Gastprofessor an der Columbia University in New York, in einem Artikel auf SPIEGEL-Online. Darin stellt er die These auf, dass der Konzern bewusst auf die sogenannte „ästhetische Obsoleszenz“ setzt.
Das bedeutet im Klartext: Apple hofft durch Neuauflage seiner Produkte, dass sich der Kunde auch ohne die technische Notwendigkeit dazu veranlasst sieht, das Neueste besitzen zu wollen, soll also schnell das Gefühl bekommen, etwas Altes, aus der Mode Gekommenes zu besitzen, um ihn zum Kauf des Folgemodells anzuregen. Des Weiteren sieht Klinge in dem Design die Intention, dem Käufer eine angebliche Wertigkeit des Produktes zu vermitteln, um so einen deutlich höheren Preis im Vergleich zur Konkurrenz rechtfertigen zu können. Das Ergebnis sei eine Förderung des Sekundärmarktes durch den Absatz von Zubehör wie z.B. Hüllen, die sich der Konsument beschafft, um sein Produkt noch besser zu schützen.
Ein guter Freund
Dieses Gefühl von Wertigkeit ist aber nicht der einzige Grund, weshalb der Konzern einen im Branchenvergleich astronomischen Preis verlangen kann, ohne dass er auf seinen Produkten sitzen bleibt. In der Sendereihe „Markencheck“ im WDR gelangte man durch ein neuropsychologisches Experiment zu einer verblüffenden Erkenntnis. Man zeigte einigen Probanden abwechselnd Bilder von Apple- und Samsung-Produkten. Dabei lagen die Testpersonen in einem sogenannten Magnetresonanztomographen, welcher die Struktur und Funktion menschlicher Organe abbilden kann. Während in dieser Testreihe bei der Betrachtung der Produktbilder die Samsung-Geräte einen Bereich im Gehirn aktivierten, in welchem sich die Entscheidungsfindung, Abwägung und planerisches Handeln abspielt, so stimulierten hingegen die Apple-Produkte eine Hirnregion, welche „mit dem Mögen von Personen verbunden ist“, so der Neurowissenschaftler Prof. Jürgen Gallinat.
Werden Apple-Produkte vom Gehirn also ähnlich wahrgenommen wie ein guter Freund? Der Bericht kommt zumindest zu dem Schluss, dass Apple es geschafft habe, ein „Produkt zu vermenschlichen“. Bleibt die Erkenntnis, dass Apple wohl einmalig ist, in vielerlei Hinsicht, ob mit einmaligem Design, einmaliger Kundenbindung oder einmaligen Börsenwerten. Doch ob die Apple-Produkte so einmalig sind, dass es zu ihnen keine Alternative gibt, das muss wohl jeder für sich selbst entscheiden.
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