Bei der Landtagswahl in Thüringen wird die Linke stärkste, die AfD zweitstärkste Kraft. Die Volksparteien erlitten starke Verluste. Aber auch auf Bundesebene ist die große Koalition diejenige mit den wenigsten Sitzen im Bundestag seit Bestehen der Bundesrepublik. Was ist nur los?
Bis in die 1990er-Jahre waren die parteipolitischen Verhältnisse in Deutschland sehr eindeutig. Entweder stellte die CDU den Kanzler oder eben die SPD. Die FDP übernahm meistens die Rolle des „Züngleins an der Waage“. Das Aufkommen der Grünen in den 1980er-Jahren war der Beginn einer Diversifizierung der Parteienlandschaft, die schließlich mit Gerhard Schröders rot-grüner Regierung ihren vorläufigen Höhepunkt fand. In den letzten Jahren haben wir abermals eine Neu-Ausrichtung der Parteienlandschaft erlebt. Spätestens seit dem Einzug der AfD in den Bundestag 2017 ist jedem klar: Eine neue Phase politischer Mehrheitsbildung hat begonnen. Die Parteien am Rand der Gesellschaft geben die Themen vor, wie man am Beispiel der Flüchtlingskrise gut sehen konnte. Von der von der AfD geschürten Überfremdungsangst getrieben, griff die CDU das Thema auf. Man erinnere sich nur an Horst Seehofers unermüdlichen Kampf um die sogenannte Obergrenze für Flüchtlinge.
Die Mitte der Gesellschaft
Wie kommt es, dass eine Randpartei wie die AfD die größte Volkspartei vor sich hertreiben kann? Und wieso geben denn auf einmal die politischen Ränder die Themen vor? Vor dem Einzug der Rechtspopulisten in den Bundestag gab es, zumindest auf nationaler Ebene, fünf Parteien: CDU/CSU, SPD, Grüne, Linke und die FDP. Bedienen wir uns zur Erklärung der Theorie des italienischen Politikwissenschaftlers Giovanni Sartori. Dieser spricht von „begrenztem Pluralismus“, solange maximal fünf Parteien im Parlament vertreten sind. Die politischen Debatten entspringen der Mitte der Gesellschaft und behandeln Themen, die den sogenannten „Median-Wähler“ umtreiben. Das kann man sich so vorstellen: Es gibt einen imaginären Bürger, der rechts genauso viele Wähler wie links von sich hat. Sartori, der ironischerweise im selben Jahr verstarb als die AfD zum ersten Mal in den Bundestag gewählt wurde, sprach dann von einem stabilen Parteiensystem.
Orientierung am Rand der Gesellschaft
Mit dem Einzug der AfD in den Bundestag passierte etwas, das die Dynamik im Parteienbetrieb veränderte: durch das Aufkommen einer sechsten Partei änderte sich der begrenzte zu extremem Pluralismus. Klingt kompliziert, aber gemeint ist einfach nur, dass die Parteien anfangen, sich nicht mehr am Zentrum der Gesellschaft zu orientieren, sondern an deren Rand. Politikwissenschaftler nennen das auch zentrifugalen Wettbewerb. Das zuvor stabile Parteiensystem wird volatiler und instabiler.
Was kann man tun?
Wie man am Sonntag in Thüringen gesehen hat, geht der Trend der AfD weiter. Die Partei ist dabei, sich in den Parlamenten zu etablieren. Wir sollten uns daher auf unsere demokratischen Grundwerte besinnen. Solange die 2013 in Berlin gegründete Partei nicht als verfassungsfeindlich eingestuft ist, sollte man sich auch mit ihr auseinandersetzen und die Diskussion aktiv suchen. Sie zu verteufeln ist kontraproduktiv und Wasser auf ihren Mühlen. Konkret heißt das, dass man sich in der Familie oder im Freundeskreis für eine demokratische Diskussionskultur stark machen sollte. Man muss auch Meinungen tolerieren, die der eigenen vielleicht diametral entgegenstehen. Denn die Stärke der Demokratie rührt von ihrer Basis her. Sind die Bürger wahre Demokraten, kann auch eine rechtspopulistische Partei nur begrenzten Schaden anrichten.
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