Seit dem 28.09.2023 läuft „Wochenendrebellen“ in den Kinos. Der Film porträtiert eine Einschränkung, die vielen vom Hören geläufig ist. Ich möchte hier von einer neuen, aber doch berührenden Kinoerfahrung berichten.
Jason von Juterczenka ist Autist. Sein Vater Mirco ist beruflich viel unterwegs und daher kaum daheim. Die Mutter Fatime organisiert das Familienleben. Jason benötigt eine klar definierte Struktur im Alltag. Fatime ist bemüht, ihrem Sohn den notwendigen Rückhalt zu bieten und völlig überfordert. Ein zusätzliches Hindernis ist die Grundschule, die Jason besucht. Aufgrund seiner Einschränkung kommt es zu eklatanten Auffälligkeiten seines Verhaltens. Die Schulleiterin legt der Familie den Besuch einer Sonderschule nahe.
Schließlich entscheidet sich Mirco dazu, beruflich kürzer zu treten und seine Frau zu unterstützen. Jason seinerseits fehlt ein Lieblingsfußballverein. Doch, wie kann er sich für einen Verein begeistern, wenn er nicht zuvor alle anderen Vereine gesehen hat? Mit seinem Vater verabredet er, am Wochenende jeden Verein der ersten, zweiten und dritten Fußball-Bundesliga zu besuchen und sich im Gegenzug in der Schule nicht mehr provozieren zu lassen. Eine aufregende Reise beginnt. Auch für mich war dieser Film eine Reise, eine Reise zu mir selbst und ich möchte die berührendsten Momente gerne teilen.
Autismus: Was ist das eigentlich?
In der Heiligen Schrift steht eine Einschränkung für das Wesen heidnischer Gottheiten. Hier sind die Ähnlichkeiten zum Autismus offensichtlich. Autisten wird oft vorgeworfen, ihr Verhalten stünde für eine schlechte Erziehung. Auch wirken Autisten aufgrund der Merkmale dieser Einschränkung auf andere ziemlich selbstbezogen. Sie scheinen oftmals in ihrer eigenen Welt zu leben und interessieren sich kaum für ihre Mitmenschen.
Die hier kurz beschriebene Einschränkung wird vom „Bundesverband Autismus“ als Störung der Informations- sowie der Wahrnehmungsverarbeitung beschrieben. Diese hätte Auswirkungen auf die soziale Entwicklung, die Kommunikation sowie das Verhalten des Betroffenen. Autisten benötigen in ihrer Kommunikation und der Interaktion oftmals Unterstützung von Therapeuten, Seelsorgern, Freunden sowie der eigenen Familie. Gelingt dies, können Betroffene trotz oder gerade wegen ihrer Besonderheiten ein wertvoller Teil der Gesellschaft sein.
Mobbing in der Schule
Hauptprotagonist des Films ist Jason von Juterczenka. Auch er ist Autist. Hier gibt die Schulleiterin an, dass dessen Ausraster wohl mittlerweile auf der Tagesordnung stünden. Jason fühlt sich hier sehr unverstanden. Mich hat die Szene sehr berührt, in der Jason von einem Mitschüler gebeten wird, die Planeten unseres Sonnensystems zu nennen. Jason versteht nicht, weshalb dieses Wissen für seine Mitschüler ein Anlass ist, sich zu amüsieren.
Es kommt zu Handgreiflichkeiten. Diesen Moment habe ich schon selbst häufig erlebt. Es ist schmerzhaft, zu erkennen, vom Gesprächspartner vorgeführt zu werden. Betroffene fühlen sich unverstanden und dieses Unverständnis entlädt sich meist in Wut. Wut auf jene, die Urheber dieser Emotion sind.
Probleme mit Berührungen oder eine eiskalte Gänsehaut
Der Film hat meines Erachtens den Autismus als Entwicklungsstörung sehr gut porträtiert. Jason beweist hier jedoch eine unglaubliche Selbstdisziplin. Er stellt sein Ziel, einen Lieblingsverein zu finden, über seine eigenen Bedürfnisse. Doch schon beim Betreten des ersten Stadions nimmt er eine ungleiche Behandlung anderen gegenüber wahr. Er möchte vorab genauso abgetastet werden, wie alle anderen. Doch für viele Autisten, so auch für Jason, sind Berührungen extrem unangenehm, einige nehmen sie sogar als schmerzhaft wahr.
Dennoch stellt Jason hier sein Bedürfnis nach Gleichbehandlung über sein Bedürfnis der körperlichen Unversehrtheit. Als ebenfalls Betroffener habe ich vor einer solchen Selbstbeherrschung hohen Respekt. Ich habe keine direkten Probleme mit Berührungen, Dennoch nehme ich leichte Berührungen wie das Streichen über den Rücken mit der flachen Hand als eine Gänsehaut wahr. Die gesamte Situation erinnert mich an meinen ersten und einzigen Besuch in Rom. Der Eintritt ins Kolosseum war unglaublich teuer.
Dennoch ist unsere Gruppe der Ansicht gewesen, dass dies ein Monument sei, welches auf jeden Fall besichtigt werden muss. Aufgrund meines Behindertenausweises wäre der Eintritt für mich kostenlos gewesen. Ich empfand das schon damals als ungerecht. Warum sollte ich, der sich diese Einschränkung nicht selbst ausgesucht hat, nicht genauso behandelt werden, wie alle anderen? Wenn alle viel zahlen, wollte auch ich viel zahlen. Dies war eine Szene, die der Film sehr treffend porträtiert hat.
Spezialinteresse – Augenhöhe oder Amüsant?
Jason hat ein Spezialinteresse. Seine Mutter nimmt hier sehr viel Rücksicht auf ihn. Sie hört sich zum Beispiel mitten in der Nacht einen Vortrag ihres Sohnes über Astronomie an. Der Vater lernt dieses erst bei einem gemeinsamen Besuch in Riga zu schätzen. Jason weist ihn darauf hin, dass Riga die geringste Lichtverschmutzung auf der ganzen Welt habe. Er zeigt ihm die Polarlichter im vollständig abgedunkelten Stadion der Stadt. Der Vater bekommt ein Gespür für die Leidenschaft seines Sohnes.
Das Spezialinteresse führt auch dazu, dass Jason im Wissenschaftszentrum der Stadt ein Gespräch mit dem Professor über die Chaostheorie führen darf. Die beiden führen ein Gespräch auf Augenhöhe. Solche Menschen sind eine absolute Seltenheit. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ein Spezialinteresse häufig belächelt wird und jene, die es haben, nicht selten auch als Erwachsene wie Kinder behandelt werden. Auch Bewunderung ist eine häufige Reaktion. Mir haben oft solche Menschen wie der Professor gefehlt. Ich bin froh, in meinem Umfeld Menschen gefunden zu haben, die sich gerne Diskussionen hingeben und sich in meinem Fachgebiet meinen Fragen stellen. Sie sind eine Seltenheit und fast so selten wie die Spezialinteressen selbst.
Wunsch nach Aufklärung
Nicht jeder ist sich der Besonderheiten, die jeder Autist mit sich bringt, immer bewusst. Viele beziehen gefährliches Halbwissen aus den Medien oder aus dem Internet. So gibt die Suchleiste bei Google viele gängige Vorurteile an. Aufgrund des oben erwähnten Filmes habe ich ein Experiment durchgeführt, welches anhand einer Zielperson belegen soll, dass auch mein Umfeld Vorurteilen ausgesetzt ist. So ergab das Experiment, dass Autismus häufig mit dem Savant Syndrom verwechselt wird. Savants sind Menschen, die in einem oder in mehreren Gebieten besondere Fähigkeiten aufweisen. Diese können musikalischer, künstlerischer, mathematischer oder vielfältiger anderer Natur sein. Nur jeder zehnte Autist ist zusätzlich vom Savant Syndrom betroffen.
Gleichzeitig ist jedoch jeder Savant in den meisten Fällen ein Autist. Bemerkenswert ist, dass hiervon einige herausragende historische Persönlichkeiten offenbar ebenfalls betroffen waren. Darunter sind insbesondere Wolfgang Amadeus Mozart, Albert Einstein oder Leonardo Da Vinci zu nennen. Unsere Kultur und auch unsere Wissenschaft wäre ohne diese Menschen sehr viel ärmer. Mich hat es im Zuge dieses Experimentes sehr gefreut, dass die Testpersonen Autismus trotz einiger Klischees mit etwas Positivem verbunden hat.
So vermag Gott, wie es der Römerbrief beschreibt, etwas, was häufig als nervig empfunden wird, doch noch in etwas Gutes verwandeln. Auch wenn es nur ein guter Eindruck ist. Dennoch würde ich mir allgemein, innerhalb unserer Gesellschaft, mehr Aufklärung wünschen. Das Bild, welches die Medien über Autismus zeichnen, ist häufig sehr klischeehaft. Nicht alle Merkmale treffen unmittelbar auf jeden Autisten gleichzeitig zu. Dieser Umstand wird allzu selten in Filmen oder Serien übermittelt. Die „Wochenendrebellen“ ist ein Film, der auf einer wahren Begebenheit beruht. Den Produzenten war der Bezug zur Realität sehr wichtig. Andere Filme oder Serien sollten sich daher dringend ein Beispiel an diesem Film nehmen.
Gebet
Mich erinnert mein Autismus an einen Psalm. Dieser bezieht sich, wie eingangs erwähnt, auf die heidnischen Gottheiten. Mir wurde immer die Differenz zwischen Erwartung und tatsächlichem Können gespiegelt. Einerseits wird von mir erwartet, alltägliche Dinge zu können. Andererseits wird mir oft für mein Sein Bewunderung entgegengebracht. So heißt es in Psalm 135, 16-18 über die heidnischen Gottheiten: „Sie haben einen Mund und reden nicht, Augen und sehen nicht. Sie haben Ohren und hören nicht, auch scheint kein Hauch in ihrem Mund.“
DF
Hallo, Herr Bagradian!
Danke für den Artikel. Er macht einem Lust auf den Film und die Thematik.
Grüße und Gottes Segen
Gabriel Bagradian
Hallo Herr Fink,
ich wünsche Ihnen viel Freude im Kino.
Viele Grüße
Gabriel Bagradian
Decker, Joachim
Der Artikel ist äußerst aufschlussreich! Es ist wichtig sich mit dieser Problematik auseinanderzusetzen, da wir in Zukunft sicher öfter damit zu tun bekommen!
Gabriel Bagradian
Hallo Herr Decker,
vielen Dank, dass Sie Ihre schlaue Erkenntnis mit uns teilen.
Gerne würde ich in dieser Frage mit Ihnen zusammenarbeiten.
Inwiefern werden Sie bereits jetzt mit dieser Thematik konfrontiert?
Viele Grüße
Gabriel Bagradian
Saskia Peulen
Der Artikel gefällt mir sehr und die persönliche Sichtweise die einfließt macht ihn umso besser. Ich habe mir danach den Trailer angeschaut und geweint. Ich glaube das ist ein Film der sich lohnen wird.
Gabriel Bagradian
Hallo Frau Peulen,
vielen Dank für Ihr Feedback. Es freut mich sehr, solche positive Rückmeldungen zu erhalten.
Viele Grüße
Gabriel Bagradian
Marcel Fischer
Ein berührender Artikel, der motiviert, sich sowohl dem Film, als auch der Herausforderung “Autismus” zu stellen.
Gabriel Bagradian
Hallo Herr Fischer,
vielen Dank für Ihr Feedback. Ich wünsche Ihnen viel Freude im Kino.
Viele Grüße
Gabriel Bagradian
FM
Danke für den Artikel!
Gabriel Bagradian
Hallo Herr Mey,
Danke für Ihren Kommentar.
Viele Grüße
Gabriel Bagradian
Carmen
Vielen Dank für diesen Artikel.
Er ermöglicht einen bereichernden Einblick/Perspektivenwechsel. Dabei fördern besonders die persönlichen Beispiele das Verständnis.
Gabriel Bagradian
Hallo Frau Weidlich,
vielen Dank, für Ihre freundliche Rückmeldung.
Viele Grüße
Gabriel Bagradian
Felicitas
Sehr lesenswerter Artikel. Der Film wird definitiv demnächst geschaut.
Gabriel Bagradian
Hallo,
viel Freude im Kino
Viele Grüße
Gabriel Bagradian
Finn
Endlich mal jemand, der den Film auch aus dieser Perspektive sieht. Da werden nochmal ganz andere Blickwinkel genannt. Vielen Dank dafür!
Jonas
Hallo Herr Klausen,
vielen Dank 😉 😉
Viele Grüße
Gabriel Bagradian