„Amerika ist so gespalten, wie nie zuvor.“ Seit der Wahl Donald Trumps höre ich diesen Satz immer öfter. Aber wie sieht diese Spaltung der Gesellschaft, über die so viel geredet wird, konkret aus? Und wo liegt der Unterschied zu Deutschland? Die Gespräche mit verschiedenen US-Bürgern gaben mir einen Einblick in die verschiedenen Welten, in denen sie leben.
Vor ein paar Tagen telefonierte ich mit einer befreundeten Familie aus den USA. Natürlich sprachen wir ziemlich zu Beginn über die aktuelle Corona-Lage in den USA. Die Mutter erzählte, dass ihre drei erwachsenen Kinder alle unterschiedliche Meinungen vertreten. Sie selbst wiederum sei sich sicher, dass die offizielle Zahl der mit Corona infizierten US-Bürger aus politischen Gründen gefälscht sei, da sich gewisse Personen wirtschaftliche und politische Vorteile durch einen strengen Lockdown erhofften. Als ich das hörte, fiel mir die Kinnlade runter und ich war kurz davor aufzulegen. Ich erinnerte mich allerdings an mein Motto:
„Nur mit denjenigen zu reden, die die gleiche Meinung vertreten, wie man selbst, führt zu nichts. Wir müssen denjenigen zuhören, die anderer Meinung sind, sonst werden die Mauern immer größer.“
Eine konstruktive Diskussion über Zoom konnte mein Bruder, der auch im Meeting war, sich offensichtlich nicht vorstellen und so schlug er sicherheitshalber vor, das Thema schnell zu wechseln. Wir sprachen daraufhin ausschließlich über relativ belanglose Dinge, wie den schönen Ausblick im vergangenen Wanderurlaub. Schade, denke ich im Nachhinein umso mehr.
Der Spalt geht auch durch Familien
Während dieses Telefonats wurde mir wieder einmal klar, wie tief die US-Amerikanische Gesellschaft gespalten ist und dass zwei Parteien nicht die ganze Bandbreite politischer Standpunkte vertreten können. Einer der Söhne der Familie entschied sich beispielsweise, nach der Wahl Donald Trumps, endgültig nach Deutschland auszuwandern und lies sich nur mit viel Mühe dazu bewegen, während der Pandemie zu seiner Familie zurückzukehren.
Sein Bruder wiederum, der bis zu einem schweren Unfall alle Anstrengungen in seine Karriere bei den Navy Seals steckte, äußerte offen, dass er nicht begreife, wie jemand den USA den Rücken kehren könne und aus seinem Heimatland auswandern könne. Obwohl alle drei Geschwister studiert haben und somit eigentlich zum Bildungsbürgertum zählen, sind sie nicht in der Lage miteinander reflektiert über Politik zu reden und gehen der Diskussion lieber aus dem Weg.
Ein ähnliches Bild erhielt ich im Gespräch mit meinem Austauschpartner aus Ohio. Er machte damals Wahlkampf für Obama. Seine Eltern sind aber traditionell Unterstützer der Republikaner. Als ich vor zwei Wochen mit ihm telefonierte, gewann ich den Eindruck, er sei der Politik überdrüssig geworden und so enttäuscht von seinem Land und seiner Regierung, dass er eigentlich gar keine Lust hatte, darüber zu reden. Er berichtet, dass Gespräche über Politik mit seinem Onkel, der ein großer Trump-Fan ist, auf beiden Seiten schnell beleidigend werden. Dass er ein Familientreffen bei seiner in Florida lebenden Großmutter wegen Corona ablehnt, zeigt mir aber, dass er die Infektionszahlen und die Gefahr ernst nimmt.
Wie kann es sein, dass dieser Spalt so tief durch Familien geht und jegliche Diskussion mit Andersdenkenden in einem emotionsgeladenen Streit endet?
In einem Cultural Studies Seminar an der Uni bekam ich eine Idee, wieso die Gesellschaft in den USA so gespalten ist. Ich persönlich führe das zum Teil auf zwei Unterschiede zu Deutschland zurück.
Erstens funktioniert das Wahlsystem in den USA anders als in Deutschland. Bekommt eine Partei in einem Wahlbezirk die Mehrheit der Stimmen, gehen die unterlegenen Parteien leer aus. Dieses Prinzip verhindert, dass es überhaupt mehr als zwei Parteien mit Aussicht auf Erfolg gibt, da keine Partei gegen die etablierten Parteien überhaupt die Chance hat einen Sitz zu bekommen.
Das zwingt die Leute, sich sprichwörtlich für schwarz oder weiß zu entscheiden. In vielen Staaten steht zudem vor der Wahl ziemlich sicher fest, welche Partei gewinnen wird. Dass die Unterstützer der anderen Parteien deshalb frustriert sind, ist aus meiner Sicht verständlich. Viele Familien wählen seit Generationen aus Tradition die gleiche Partei. Die Politik dieser Partei wird daher nur wenig hinterfragt.
Der zweite Unterschied sind die Informationen – „News“ -, die von unterschiedlichen Medien, unterschiedlich gesammelt, selektiert und interpretiert werden. Es gibt in den USA keinen Rundfunkbeitrag, der das Überleben der Medienunternehmen sichert. Die Sender und Zeitungen sind auf das Geld von Werbeeinnahmen oder privaten Geldgebern angewiesen.
Je mehr Menschen deine Nachrichten gucken, desto mehr Werbeeinnahmen generierst du. Keine Berichterstattung kann objektiv sein. Das ist sie auch in Deutschland nicht. Aber in Amerika ist allgemein bekannt, welche Nachrichtensender, welcher Partei nahestehen, diese vielleicht sogar unterstützen. Und die Menschen schauen die Sender, die Informationen verbreiten, die sie gerne hören und sehen möchten. Wir schauten uns im Cultural Studies Seminar drei Nachrichtenbeiträge zum selben Ereignis an, präsentiert von jeweils einem Sender, der die Demokraten unterstützt, einem Sender, der die Republikaner unterstützt und dem britischen Sender BBC. Hätte ich nicht gewusst, dass es sich um das selbe Ereignis handelt, hätte ich es kaum erahnen können. Der Journalismus der amerikanischen Sender war so einseitig, dass völlig unterschiedliche Situationen geschildert wurden.
Die „Guten“ gegen die „Bösen“?
Die „Fakten“, die die Anhänger der Demokraten konsumieren, sind also ganz andere, als die der Republikaner. Da wundert es mich nicht, dass Gespräche zwischen den Anhängern beider Parteien zu nichts führen. Beide Seiten sind sich sicher, die jeweils andere Seite lebe in einer auf Falschinformationen basierenden Irrwelt. Allein das macht eine inhaltlich konstruktive Diskussion schon fast unmöglich.
Im alltäglichen Umgang mit US-Amerikanern beider politischer Lager habe ich aber auch immer wieder beobachtet, dass niemand wirklich böse ist. Im Gegenteil. Auf moralischer Ebene teilen eigentlich alle meiner Bekannten aus den USA die gleichen Werte. Leider beziehen sie nur völlig unterschiedliche Informationen und werfen auf politischer Ebene der anderen Seite Egoismus, Bosheit und Dummheit vor.
Wer ist schuld?
Auffallend finde ich, dass die Spaltung der Gesellschaft sich sowohl unter einem demokratischen, als auch unter einem republikanischem Präsidenten fortgesetzt hat. Den Ursprung sehe ich persönlich daher weniger in den Parteiprogrammen der einzelnen Parteien, sondern mehr in der Entwicklung der Medien. Ältere Abgeordnete des US-Parlaments erzählen, dass sich die Atmosphäre in den politischen Kammern in den letzten Jahrzehnten geändert habe. Früher habe man sich politisch gestritten und abends in der Kneipe zusammengesessen und sich freundschaftlich über Gott und die Welt unterhalten.
In den letzten zwanzig Jahren hat sich auch technisch sehr viel getan. Durch das Internet, soziale Netzwerke und eine deutlich größere Zahl an privaten Medienkonzernen verbreiten sich Nachrichten rasend schnell, ohne dass jede Information gründlich auf ihre Richtigkeit geprüft werden kann. Viele Menschen sind einer Flut von teils völlig widersprüchlichen Informationen ausgesetzt, die nur mit sehr viel Aufwand überprüft werden können. In den sozialen Medien bleibt man darüber hinaus immer stärker in einer Blase von Informationen, die der eigenen Meinung entsprechen. Damit nimmt zuletzt auch noch die Kontroversität der Datenflut ab.
Diese Entwicklung verläuft natürlich über die Staatsgrenzen hinaus. Als großen Unterschied zu Deutschland sehe ich allerdings den Rundfunkbeitrag, der dazu führt, dass es unabhängige Nachrichten gibt, die nicht auf Profit durch Werbeeinnahmen angewiesen sind. Den Redakteuren der Tagesschau kann es egal sein, ob durch eine unbequeme Wahrheit weniger Leute einschalten.
Darüber hinaus ist es trotz unabhängiger Medien unabdingbar, zu lernen, Nachrichten und Fakten kritisch zu hinterfragen. Politik muss immer hinterfragt werden. Diese Kompetenz muss trainiert werden und dafür ist Bildung zuständig. Bildung, zu der jeder den gleichen Zugang haben sollte, damit nicht einige Wenige gebildet sind und der Rest auf plumpe Falschmeldungen reinfällt. In Amerika wiederum stehen zumindest die meisten Hochschulen nur den Menschen offen, die eine Menge Geld bezahlen können. Fünfstellige Semesterbeiträge sind da keine Seltenheit. Vielleicht liegt auch hier einer von vielen weiteren Gründen für die Spaltung der US-amerikanischen Gesellschaft. Wir sollten alles dafür tun, dass diese Entwicklung nicht nach Deutschland überschwappt und wir miteinander im Gespräch bleiben.
Was bedeutet das für mich?
Für mich nehme ich aus der Auseinandersetzung mit diesem Thema mit, dass ich den Erhalt der unabhängigen Berichterstattung und dafür den Erhalt des Rundfunkbeitrages unterstütze. Ich setze mich für eine gute Bildung der folgenden Generationen ein, damit wir auch weiterhin in der Lage bleiben, uns ein faktenbasiertes Bild zu verschaffen und auf sozialen Netzwerken geteilte Behauptungen zu hinterfragen.
Am Wichtigsten aber bleibt das Zuhören. In einem Seminar zur Gewaltfreien Kommunikation nach Rosenberg blieb mir besonders der Satz im Gedächtnis: „Höre zu, um zu verstehen, nicht um zu antworten.“ Ich versuche also weiterhin meinem Motto zu folgen, gerade auch den Menschen zuzuhören, die vordergründlich eine völlig andere Meinung vertreten als ich selbst. Ich bin überzeugt, dass kein Mensch von Natur aus böse ist und hinter jedem Gedanken eine gute Absicht steckt. Vielleicht haben wir nur unterschiedliche Fakten konsumiert und schätzen eine Situation daher völlig anders ein. Das werde ich nur erfahren, wenn ich dem Anderen zuhöre und nur dann können wir uns beide weiterentwickeln und falsche Annahmen korrigieren.
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