Corona stellt uns alle auf die Probe. Besonders betroffen sind Menschen mit einer körperlichen oder geistigen Behinderung. Sie kämpfen schon vor Corona für mehr Anerkennung, Respekt und Lebensqualität. Wie schwer das Leben nun für sie geworden ist, zeigt dieser Bericht von Liz.
Knapp acht Millionen schwerbehinderte Menschen leben momentan in Deutschland. Allein in der EU sind es etwa 80 Millionen, weltweit etwa eine Milliarde, also 15 Prozent der gesamten Weltbevölkerung. Jeder von ihnen hat eine besondere Geschichte, denn jeder hat schon am Anfang seines Lebens viel mehr Schwierigkeiten als andere meistern müssen. Jetzt in der Corona-Krise dürfen wir auch diese Menschen nicht vergessen. Anstatt uns auf die eigenen Ängste und Sorgen zu fokussieren, sollten wir vielmehr diejenigen im Blick behalten, die oft keine eigene Unterstützung in der Öffentlichkeit erreichen.
Wie herausfordernd das Leben in der Pandemie sein kann, hat f1rstlife-Autorin Laura Mench in einem Interview für die ARD erzählt. Zu Hause sein und abwarten ist für sie, die im Rollstuhl sitzt und zur Risikogruppe gehört, der beste Schutz. Doch nun erwartet sie von der Politik auch konkrete Handlungen, die ihre Sicherheit und ihr Recht auf Leben stärken: “Wir fordern eine Teilhabe, die auf Augenhöhe ist, dass wir genauso an dem Leben teilhaben können.” Und auch für Menschen mit geistigen Behinderungen sind die Beschränkungen momentan eine große Herausforderung. Lasst uns deshalb ihr Leiden stärker in den Blick nehmen und zumindest darüber sprechen, was sie in diesen Zeiten alles aushalten und erleiden müssen.
Die Autisten
Das evangelische Diakoniewerk Deutschland zum Beispiel weist darauf hin, dass Autisten besonders hart unter der Beschränkungen der sozialen Kontakte während Corona leiden. “AutistInnen brauchen ein Gegenüber, das sensibel ist für die Art und Weise, wie sie die Welt wahrnehmen und ihren Mitmenschen begegnen“, so die Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser. Seit Corona wird ihre gelernte tägliche Routine gestört. Da Menschen mit Autismus meist Interaktionsschwierigkeiten haben, benötigen sie oft sozialen Kontakt und Unterstützung, um Beziehungen mit Angehörigen aufzubauen und besser mit Fremden zu interagieren. Darüber hinaus ist es auch eine Herausforderung für Eltern, Pädagogen und Betreuer, den Autisten zu erklären, was gerade in der Welt vor sich geht und ihnen zu helfen, die Schutzmaßnahmen zu befolgen, ohne ihr Alltagsleben ernsthaft zu stören.
Die Blinden und Tauben
Es gibt Menschen, die in ihrem Leben auf Berührungen angewiesen sind — und ich spreche hier von Personen, die Teil der taubblinden Gemeinschaft sind. Da sie weder sehen noch hören können, sind ihre Hände zu ihren Augen und Ohren geworden. Auch schon vor der Pandemie war es für sie eine große Herausforderung, zu erkennen, was sich um sie herum und vor ihnen abspielte. Der Reporter Mauricio Casillas vom amerikanischen Nachrichtensender ABC-7s führte eine Umfrage mit taubblinden Menschen durch und kam zu dem Schluss, dass es viele neue Herausforderungen für sie gibt. Vor allem, da der direkte Kontakt nun verboten ist.
Kannst Du Dir vorstellen, angesichts der Pandemie und der Zeit des sozialen Abstands taubblind zu sein? Es ist wirklich erschreckend für mich, darüber nachzudenken, wie man sich in dieser Situation fühlen würde, und wie man sich verhalten würde. Aber für viele dieser Menschen ist es die alltägliche Realität.
Die Gehörlosen und Stummen
Die Mehrheit der Bundesländer hat ab dem 27. April die Maskenpflicht eingeführt. Von diesem Tag an müssen wir im Bus, in der Bahn und im Einzelhandel Masken tragen. Aber was passiert, wenn man nicht hören kann und auf das Lippenlesen angewiesen ist, um zu kommunizieren?
Nur rund 200.000 bis 300.000 Menschen in Deutschland können Gehörlose und Stumme verstehen. Das schätzt der Deutsche Gehörlosen-Bund (DGS). Das sind nicht viele und das bedeutet, dass sich Taube und Stumme in vielen Fällen auf Lippenlesen verlassen müssen, um ihre Mitmenschen zu verstehen. Aber was machen wir jetzt, wenn wir alle Masken tragen müssen? Wie können diese Menschen dann noch mit uns kommunizieren?
Darüber hinaus erkennen es Gehörlose auch nicht sofort, wenn sie gerufen werden (außer, wenn sie gut funktionierende Hörgeräte haben). Wenn Du ihnen nicht direkt gegenüber stehst oder auf die Schulter klopfst, ahnen sie meist nicht, was hinter ihnen passiert. Auch sie sind in diesem Fall, wie auch die Blinden und Taubblinden, in großem Maße kontaktabhängig. Viele dieser obergenannten Personengruppen fühlen sich täglich vom Leben ausgeschlossen. Aufgrund der Schutzmaßnahmen angesichts von COVID-19 ist das Gefühl von Isolation, Einsamkeit, Verwundbarkeit und Gefahr noch deutlicher geworden.
Nicht alle Helden tragen Umhänge
Es gibt keine technologischen Entwicklungen und keine Industrien, die spezielle Masken für Menschen mit Handicap herstellen. Aber trotzdem gibt es einen Hoffnungsschimmer: Ashley Lawrence, Studentin aus Kentucky, USA, und ihre Mutter sind ein Beispiel von einigen der privaten Initiativen, die eine Lösung für dieses Problem gefunden zu haben scheinen. Sie entwickelten spezielle Masken mit Sichtfenster, damit der Mund immer sichtbar ist, und das Lippenlesen somit weiterhin möglich. In einem Interview des Senders Lex18 sagte Ashley: „Ich fand es sehr wichtig, dass auch in Zeiten wie diesen alle die Möglichkeit haben, miteinander zu kommunizieren“.
Die unsichtbaren Kämpfer der Pandemie. Es ist unser Job, sie sichtbar zu machen, weil wir alle zählen, und alle eins sind.
Und es gibt weitere Initiativen: in Spanien produzieren Freiwillige Masken aus transparentem Kunststoff, damit das Gesicht immer sichtbar, aber sicher, bleibt. Darüber hinaus gibt es neue Möglichkeiten, um Behinderte über die heutige Krise zu informieren. Etwa durch Videos in Gebärdensprache. Auch Eltern, Betreuer und Erzieher autistischer Menschen werden aktiv. Sie geben sich Mühe, ihnen die Situation in einfachen Worten zu erklären und sich an ihre regulären Stundenpläne zu halten, während sie zu Hause neue Routinen erstellen.
Diese und sicher noch viele weitere Beispiele ermöglichen es Menschen, die am meisten von der Pandemie betroffen sind, wieder Freiheit trotz der Beschränkungen zu finden. Aber leider ist es immer noch nicht genug. Wir müssen ein Bewusstsein für diese Personen schaffen — die unsichtbaren Kämpfer der Pandemie. Es ist unser Job, sie sichtbar zu machen, weil wir alle zählen, und alle eins sind.
Wir alle können unseren Beitrag leisten
Oft vergessen wir, dass die kleinen Dinge am Wichtigsten sind. Selbst etwas so Einfaches wie ein Bild, welches man postet, zu beschriften oder Videos mit Untertiteln zu versehen, kann für eine blinde oder gehörlose Person den Unterschied ausmachen.
Wir sollten uns nicht als selbstverständlich betrachten, sondern aufmerksamer werden. In diesem Kampf stehen wir alle zusammen. Das beste Mittel gegen Angst und Unzufriedenheit ist Nächstenliebe. Wenn Du also jemanden kennst, der herausgefordert ist, und Du ihm oder ihr irgendwie helfen kannst, dann tue es. Du kannst finanziell, körperlich oder seelisch dienen. Das Wichtigste ist, es zu machen.
Es gibt einen Welleneffekt im Leben. Selbst wenn wir anderen Menschen mit kleinen Gesten etwas Gutes tun, breitet sich die Wirkung dieses Effekts aus. Wir mögen unsere Differenzen haben, aber gerade ist es wichtiger, sich gegenseitig zu helfen. Wir sollten diejenigen unterstützen, die sich nicht selbst erheben können; und wir müssen den Kampf gegen das Virus gewinnen, auch wenn wir nur langsam vorwärts kommen können. Eines ist ganz klar und zwar: Jeder kann etwas zum Gelingen beitragen.
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