Mit dem Brüllen eines Löwen oder dem Bellen eines wilden Hundes hat so manche Rede der Kandidatinnen und Kandidaten des US-Wahlkampfes mehr gemein als mit der sachlichen Ansprache eines Staatsoberhauptes. Woher kommt es, dass die Rhetorik der Präsidentschaftskandidaten derzeit die Welt in Atem hält und die Medien in Aufruhr bringt? Ein Bericht über die Entwicklung der präsidentiellen Rhetorik von ihren Ursprüngen im Jahr 1789 bis heute.
Jeffrey Tulis, Professor für politische Theorie und das politische System Amerikas an der University of Texas, Austin, verfasste 1987 das Buch „The Rhetorical Presidency“. Darin beschreibt er die Entwicklungen der präsidentiellen Rhetorik in drei Epochen seit 1789. Er stellt fest, dass sich US-Präsidenten bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts meist schriftlich an den Kongress, das amerikanische Parlament, bestehend aus Senat und Repräsentantenhaus, wandten. Hatten sich die damaligen Präsidenten fast nie an das Volk direkt gewendet, so nutzte Theodor Roosevelt ab 1900 die präsidentielle Rhetorik erstmals bewusst, um seine Politik bei den Bürgern bekannt und beliebt zu machen, so Tulis weiter. Woodrow Wilson schließlich sei der erste gewesen, der die Aufgabe des Präsidenten darin sah, als Sprachrohr politische Ideale, Ideen und Standpunkte des Volkes offen auszusprechen und zu unterstützen.
Der Präsident im politischen System der USA
Über allem steht das Prinzip des Gleichgewichtes der Gewalten. Das heißt, dass die Judikative, die richtende Gewalt (Gerichte), die Legislative, die gesetzgebende Gewalt (Parlamente) und die Exekutive, die ausführende Gewalt (Polizei, Ämter, Behörden,…), gleich viel Mitsprache und Mitgestaltungsrecht im Staat haben. Der Präsident ist dabei sozusagen der „Chef“ der Exekutive, also der Regierungsbehörden und -ämter. Im Sinne der amerikanischen Verfassung ist er für die Durchsetzung und Ausführung der Gesetze zuständig und hat nur begrenzten Einfluss auf die Gesetzgebung selbst. Woodrow Wilsons Annahme, der Präsident sei der Mittelsmann zwischen dem Volk und der Legislative, gibt ihm folglich mehr Einfluss auf die Gesetzgebung, als die Verfassung. Doch was hat das für Auswirkungen auf die Rolle des Präsidenten? Um das zu verstehen, betrachtet man zunächst am besten die Rhetorik der (potenziellen) Präsidenten selbst:
„In executing the duties of my present important station, I can promise nothing but purity of intentions, and, in carrying these into effect, fidelity and diligence.” George Washington, 1789.
„Yes We Can!“, Barack Obama, 2008.
„I will build a great wall!“, Donald Trump 2016.
Sieht man mal von den Inhalten dieser drei Aussagen ab, so ist ein Merkmal sofort offensichtlich: Das erste Zitat, aus George Washingtons Rede zur Vereidigung für das Präsidentenamt vor dem Kongress, ist viel länger als die kurzen Ausrufe Obamas und Trumps. Doch wie kommt das?
Der Einfluss der Medien auf die präsidentielle Rhetorik
Nicht nur das Verständnis der Rolle des Präsidenten im „Polit-Zirkus“ der USA änderte sich im 20. Jahrhundert. Die Entwicklung von Radio, Fernsehen, dem Computer und immer schnellerem Internet bis hin zu all den hochleistungsfähigen Smartphones, Tablets, etc. machte die Verbreitung von Botschaften an ein viel größeres Publikum möglich. Dem Amt und den Einschätzungen des Präsidenten gebührt heute folglich die meiste mediale und öffentliche Aufmerksamkeit – und das nicht nur in den USA, sondern weltweit. Über die Jahrzehnte steigerte sich so die Nachfrage nach immer mehr und vor allem immer schnelleren und prägnanteren Reaktionen des US-Präsidenten auf aktuelle Ereignisse – in Form einer Rede, eines kurzen Statements oder per Podcast oder Tweet. Dadurch setzte sich das Prinzip „In der Kürze liegt die Würze“ in der modernen präsidentiellen Rhetorik durch. Ob gesellschaftlich, politisch, wirtschaftlich, national oder international relevant – fast stündlich gibt der Präsident heute seine Einschätzungen zu mehr oder weniger relevanten Themen: er ist 24/7 online. Der Durst der Medien nach Neuigkeiten gepaart mit den immer kürzeren „Häppchen“ politischer Reden, beispielsweise in den TV-Nachrichten, trifft heute auf das Ziel des Präsidenten dem Volk seine Handlungsentschlossenheit, sein Mitgefühl, seine Besorgtheit, Sicherheitsgarantien, Lösungsmöglichkeiten, politische Programmpunkte und vieles mehr zu präsentieren. Für eine schlüssige Argumentation oder eine etwas kompliziertere Ausdrucksweise, wie bei George Washington, bleibt dabei keine Zeit mehr.
Ein Wandel der Rhetorik zieht einen Wandel der Präsidentschaft nach sich
Wie bereits erwähnt, positionierten sich Präsidenten seit Wilson durch direkte Reden zum Volk über oder zumindest als Mittelsmann zwischen den politischen Gewalten, der Legislative und Exekutive. Sie kristallisierten sich zu Identifikations- und Schlüsselpersonen in der US-Politik heraus und wurde sowohl im Land als auch nach außen das Sprachrohr Amerikas. Mit ihren Aussagen fiel und stieg das Ansehen der USA, insbesondere der US-Regierung. Woodrow Wilsons Intention, durch die Artikulation der Ideale und Ideen des Volkes politische Diskussionen anzustoßen und das amerikanische Volk daran teilhaben zu lassen, gerät dabei in den Hintergrund. Der Präsident zeigt sich als Macher und nicht als abwägender Mittler. Besonders stark zeigt sich das bei dem für die amerikanische Bevölkerung sehr sensiblen Thema Krieg: George W. Bush deklarierte den War On Terror und Barack Obama zeichnete rhetorische rote Linien. Der Druck, immer neue und immer einfachere Lösungen für komplizierte wirtschaftliche, politische, militärische und gesellschaftliche Probleme zu finden, äußert sich am deutlichsten in der Rhetorik der US-Präsidenten der jüngeren Vergangenheit. Wäre nicht manchmal weniger mehr?
Make The Presidency Change Again!
Die Rhetorik seit dem offiziellen Beginn des aktuellen US-Wahlkampfes zeigt: zurückhaltender wird die Art und Weise, in der zukünftige Präsidenten ihre Botschaften an den Mann bringen, eher nicht. Das Amtsverständnis könnte sich nach der Kandidatur und der eventuellen Präsidentschaft Trumps sogar noch ein weiteres Mal grundsätzlich verändern. Jeffrey Tulis nennt in seinem Werk einige Gefahren überspitzter präsidentieller Rhetorik. Darunter: das wachsende Gewicht auf der Persönlichkeit und dem Urteilsvermögen des Präsidenten – was, wenn er doch einmal falsch liegt? Die Gefahr der Demagogie – wo liegt eine für das Volk erkennbare Grenze zwischen einer moralisch geladenen und einer volksverhetzenden Rede? Die Rhetorik US-amerikanischer (fast-) Präsidenten scheint sich in einer unübersichtlichen und rasenden Schlacht der Superlative, lauter Appelle und wüster Beschuldigungen zu verrennen. „Let’s make the Presidency change again!“ scheint das eigentliche Motto der Kandidaten zu sein. Das einige Präsidentschaftsanwärter hinsichtlich Moral und politischer Maßnahmen in den USA sei in diesem Wahlkampf dahingestellt. Bedenklich ist, dass nicht mehr die Funktion des Präsidenten oder die Inhalte – oder wie Wilson dachte –, die Ideale, Ideen und Interessen des Volkes im Mittelpunkt stehen, sondern die Rhetorik und Überzeugungskraft des Präsidenten selbst. Rhetorik um der Rhetorik Willen. Jeffrey Tulis könnte seinem Buch vielleicht bald ein weiteres Kapitel hinzufügen: Die präsidentielle Rhetorik ab 2016 – Hauptsach‘ die Luft scheppert!
[…] Präsidentschaftskandidaten haben nicht immer so emotional agiert wie Donald J. Trump. Der Einfluss der Medien hat die präsidentielle Rhetorik verändert. Das hat Folgen, denn der Wandel an Rhetorik zieht auch einen Wandel der Präsidentschaft nach sich. – [FirstLife] – […]