Nicht jeder Mensch hat die Erfahrung gemacht, wohlbehütet aufzuwachsen, ein beständiges Selbst und vor allem eine stabile Persönlichkeit zu entwickeln. Mit diesem Artikel möchte ich über die emotional instabile Persönlichkeitsstörung, kurz Borderline, aufklären. Ich spreche von meiner Störung und meinen inneren Gefühlskämpfen und weise darauf hin, dass jeder Mensch so individuell ist, wie diese Krankheit an sich. Ich möchte ein Bewusstsein schaffen für diese Störung, aber kein Mitleid erregen.
Mitleid braucht ein Borderliner nicht. Wie oft habe ich destruktive Verhaltensweisen an den Tag gelegt, mich selbst und meine angehenden Beziehungen sabotiert und in meinem Freundeskreis auch noch dieses Verhalten bestärkt bekommen. Dann wurde gemeinsam über den bösen Mann gelästert, der sich so sehr daneben benommen hat und dringlichst abserviert werden muss. Diese Entscheidung wurde dabei als die einzig richtige deklariert. Das ist falsch und ich möchte hiermit einen Apell aussprechen, einen Borderliner nicht in seinem Verhalten positiv zu bestätigen.
Die Angst und Unsicherheit des Borderliners
Ein Borderliner hat aufgrund seiner Prägungen in der Kindheit und Jugend seine ganz eigene Realität über die Welt im Kopf. Dass diese Wirklichkeit von der eines psychisch stabilen Menschen sehr oft abweichen kann, erschwert nicht nur das Eingehen einer Partnerschaft, sondern auch den Umgang mit Menschen überhaupt. Viele gut gemeinte Dinge können von Seiten des Borderliners vollkommen falsch gedeutet werden. Und ich möchte dir erklären, warum das so ist.
Ein Borderliner hat große Schwierigkeiten, seine Gefühle und Emotionen zu regulieren. Er lebt in ständiger Angst vor Ablehnung und trägt eine große Unsicherheit in sich. Diese Angst macht einen Borderliner leider oft handlungsunfähig und lässt ihn impulsiv Dinge tun, welche er im Anschluss meist bereut. Für das Umfeld der Betroffenen ist es oft schwierig, sein bzw. ihr Verhalten nachvollziehen zu können.
Auslöser für impulsives Verhalten liegt in der Vergangenheit
Niemand, der nicht selbst unter solchen Ängsten leidet, kann sich nur annähernd vorstellen, was in einem Borderliner vor sich geht. Wird diese Angst durch äußere Einflüsse angetriggert, kann im Kopf des Borderliners ein Film losgehen, der es in sich hat. Dieser Film, welcher für den Moment nicht zu stoppen ist und der gegenwärtigen Wirklichkeit eigentlich vollkommen widerspricht, lässt ihn in seinem Verhalten unverhältnismäßig eskalieren.
Das Problem des Borderliners ist, dass er sich sehr oft angetriggert fühlt. Ein Auslöser im Jetzt katapultiert ihn in ein Gefühl, welches er als Kind oder Jugendlicher erlebt hat. Und dann gerät er in eine Kampf- bzw. Abwehrhaltung, um sich und sein Leben zu schützen. Dies kann man sich als eine Art emotionalen Teufelskreislauf vorstellen: Als wehrloses Kind war man einer Gefahr ausgesetzt, das Gefühl dazu ist immer noch im Inneren manifestiert und nun fühlt sich der Borderliner durch den Trigger zurückversetzt in dieses Gefühl und merkt eigentlich nicht, dass die Gefahr nicht im Hier und Jetzt gegenwärtig ist.
Die erlebte Vergangenheit bestimmt das Jetzt
Fakt ist, ein Borderliner war in seiner Kindheit schlimmen Dingen ausgesetzt. Womöglich hat er oder sie Missbrauch, emotionale Vernachlässigungen oder Misshandlungen erlebt. Man kann die Vergangenheit leider nicht ungeschehen machen und so wirkt sich all das Erlebte nun im Erwachsenenleben in seinen nahen Paarbeziehungen aus, sofern ein bestimmter Trigger von außen erfolgt und die Kindheitswunden aufreißt. Die emotional instabile Persönlichkeitsstörung ist ein Beziehungsproblem. Der Borderliner hat Schwierigkeiten, Bindungen einzugehen. Verlust- und Bindungsängste sowie die Sorge, von einem anderen Menschen abhängig zu sein, sind ein Teil der Krankheit, welche der Borderliner tagtäglich mit sich herumträgt. Hinzu kommen Selbstzweifel in Bezug auf die eigene Person, welche sich nicht immer validieren lassen.
Borderline ist eine Lebensbürde – Und dem Narzissten gar nicht so unähnlich
Borderline zu haben, ist ein Bürde, welche sich niemand ausgesucht hat. Der Borderliner selbst leidet am meisten darunter. Besonders deshalb, weil er Menschen verletzt, die er eigentlich liebt. Die Nähe-Distanz-Problematik des Borderliners macht eine gesunde Beziehung eigentlich unmöglich. Ganz ähnlich geartet ist auch die narzisstische Persönlichkeitsstörung, welche häufiger bei Männern auftaucht. Diese ist ebenfalls geprägt von einem unsicheren Selbstbild, doch der Narzisst hat sich eine gut funktionierende Maske zugelegt, um sein fragiles Selbst zu kompensieren.
Hinzu kommt, dass der Narzisst im Gegensatz zum Borderliner nichts an sich ran lässt und im Rahmen seines Abwehrmechanismus alle Schuld für gewisse Trigger und Situationen anderen Personen überträgt. Fremdabwertung, um selbst besser dazustehen und sich zu schützen, dies ist sein Mechanismus und der Borderliner nimmt sich dieser leider unterwürfig an. Daher ziehen sich Borderliner und Narzissten wohl an, obgleich diese Verbindung beiden nicht gut tut und zerstören sich gegenseitig. Ich vermute allerdings, dass der Narzisst siegreicher aus der Schlacht hervorgehen wird, denn wie bereits ausgeführt, sieht er keine Fehler bei sich. Der Borderliner hingegen nimmt alle Schuld auf sich und bürdet sich noch mehr auf. Das ist mit einem Schlüssel-Schloss-Prinzip vergleichbar.
Dennoch ist die Begegnung mit dem Narzissten auch eine Chance für den Borderliner. Denn er kann sich so all seiner Defizite bewusst werden, da der Narzisst mit einer Präzision all die Wunden des Borderliners aufreißt und mit Salz betreut. So kann er daran arbeiten und wachsen. Natürlich gibt es auch andere Begegnungen mit “normal tickenden” Menschen, an denen der Borderliner wachsen kann – sofern ein Auslöser bzw. Trigger vorhanden ist.
Hilft eine Therapie oder sollte man Beziehungen lieber vermeiden?
Natürlich ist es sinnvoll, sich in Therapie zu begeben und seine Vergangenheit aufzuarbeiten. Auf diese Weise kannst du dich nämlich deinen Ängsten stellen. Im Rahmen einer Dialektisch-Behavioralen Therapie (=DBT-Therapie) lernt der Borderliner, sich mit Hilfe von angelernten Skills zu regulieren, damit Betroffene vernünftige (Liebes-) Beziehungen zu anderen Menschen eingehen können. Die Alternative wäre, sämtliche Situationen zu vermeiden, welche den Borderliner in seinen Ängsten antriggert. Dazu würde dann gehören, dass man niemanden mehr nah an sich ranlässt. Niemand hat es verdient, sich den Launen des Borderliners auszusetzen.
Doch frage ich mich, ob es noch Verständnis auf dieser Welt gibt? Gibt es Menschen, die sich von dem Borderliner nicht wegstoßen lassen, sich seiner annehmen und ihm auf seinem Weg der Heilung helfen? Oder ist es besser, wenn der Borderliner auf ewig allein bleibt und sich von dem Rest der Welt abkapselt? Fakt ist: Die Borderline-Störung erschwert das Eingehen einer (Paar-) Beziehung und erfordert viel Verständnis und ein stabiles Umfeld. Der Partner sollte über sichere Charaktereigenschaften verfügen, um das Verhalten des Borderliners nicht persönlich zu nehmen und sich von dessen Gefühlen und Emotionen abzugrenzen. Die Verantwortung für seine Heilung und sein Glück liegt beim Betroffenen selbst. Der Borderliner muss seine inneren Wunden heilen, denn sonst blutet er auf Menschen, die ihn nicht geschnitten haben.
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