Man sieht den Mann erst spät im Fahnenmeer. Als er auftaucht, branden Jubel auf und Applaus. Während des Gangs zum Mikrofon bleibt er kurz stehen, blickt mit Wohlgefallen auf die Menge und ruft etwas, geht weiter, klatscht und ballt die Faust. Dann zeigt er mit dem Finger auf irgendetwas, worauf genau, kann die Kamera nicht sehen. Er tritt ans Rednerpult. In seiner Rede sagt er schließlich folgenden Satz:
„Manchmal sind das meiner Meinung nach keine Menschen. Aber das darf ich nicht sagen, weil die Linksradikalen das furchtbar finden. Das sind Tiere, okay, und wir müssen das stoppen.“[1]
Das sagte Donald Trump, als er schon nicht mehr Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika war, sehr wohl aber wieder werden wollte. Mit den „Tieren“ meinte er Migranten.
Wenn Du den 1. Teil dieses spannenden Themas verpasst hast, lies ihn Dir hier gerne nochmal durch!
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Immerhin wurde nach dem Mord an Walther Rathenau im Sommer 1922 das (erste) Republikschutzgesetz erlassen. Versammlungen, Kundgebungen, Vereine, aber auch Druckschriften, die für republikfeindlich erachtet wurden, durften künftig verboten werden.
Im Sprachgebrauch der Weimarer Republik waren Kraftausdrücke und Schmähwörter üblich, die nach den heutigen demokratischen Usancen nicht vorstellbar wären und sich jedem Diskurs entziehen. Der destruktiven Phantasie damaliger Zeitgenossen schienen keine Grenzen gesetzt zu sein. Selbst manchem Parlamentarier war bei diesem verbalen Abnutzungskrieg mitunter nicht wohl, was im preußischen Landtag 1925 in eine Ermahnung an die Pressetribüne mündete, sie möge doch von Beschimpfungen absehen. Gleichzeitig stellte jener Abgeordnete jedoch unter dem Gelächter seiner Kollegen klar, er habe damit nicht sagen wollen, „dass sie objektiv sein soll; denn dann würde sie langweilig sein.“ Bernhard Fulda hat dieses schöne Fundstück ausgegraben und kommt zu dem Schluss:
„Bei einem solchen Verständnis der politischen Funktion der Presse konnte eine kontrollierende ‚vierte Gewalt‘ als Gegengewicht zur Politik nicht entstehen.“[1]
Abgründe politischer Semantik
Neben aktuellen, oft ehrabschneidenden Wortschöpfungen gab es auch Vokabeln, die schon lange zuvor existierten und durch extremistische Interessengruppen eine Umwertung oder neue toxische Brisanz erfuhren. „Bonze“, ursprünglich ein ehrerbietendes Synonym für einen buddhistischen Geistlichen, degenerierte über den Umweg als spöttische Bezeichnung für einen pharisäerhaften christlichen Würdenträger zum Schimpfwort für Funktionäre demokratischer Parteien, die angeblich nur ihr eigenes Wohl im Sinne hätten und sich auf Kosten des Volks bereicherten.
Auch lautmalerisch schien dieser demagogische Kampfbegriff in die Karten derer zu spielen, die ihr Heil in Brachialsemantik suchten. Biologische Metaphern und Vergleiche fanden sich bereits im 16. und 17. Jahrhundert in antijüdischen Texten.[2] „Schädling“ erfuhr Ende des 19. Jahrhunderts eine begriffliche Übertragung auf den Menschen, zunächst auf Juden („jüdischer Schädling“), dann auch auf andere missliebige Personen: „In den politischen Kämpfen der 20er Jahre gehörte Schädling zum geläufigen Vokabular.“[3] Ähnlich verhielt es sich mit dem chemischen Fachterminus „zersetzen“. Vokabular früherer Zeiten, das geeignet war, ideologisch aufgeladen zu werden, wurde als Substrat für Neu- und Umdeutungen oder Zuspitzungen missbraucht und hatte in diesem Kontext mit der ursprünglichen Bedeutung nichts mehr zu tun.
Darüber hinaus bot (und bietet) die deutsche Sprache eine Fülle von Möglichkeiten, auf subtilere Weise ähnliche Effekte der „Stigmatisierung und Feindmarkierung“[4] zu erreichen. Ganz gegenständlich wurde dies durch pejorative Präfix- („Erz-“, „Miss-“) bzw. Suffix-Kompositionen („-ling“, „-itis“, „-erei“) erreicht, darüber hinaus weisen Fleischer/Barz auch noch auf den pejorativen Gebrauch des Circumfix „Ge-“/ „-el“ (z.B. „Gewimmel“, „Gemurmel“) hin.[5] Suggestivvokabeln wie „Entzügelung“, „Begierde“, „Erlahmung“, „fressen“ wurden nicht temporär genutzt, sondern systematisch gestreut.
Hinzu kamen „namenpolemische Sprachspiele“ als „weit verbreitete sprachliche Strategie zur Delegitimierung des politischen Gegners“[6] – etwa „Hitlerstrolche“ oder „Zörgiebel-Polizei“[7]. Auch wenn diese speziellen Beispiele aus der Nomenklatur der paramilitärischen Verbände stammen: Davon gab es immerhin einige Dutzend in der Weimarer Republik, und in der Summe waren solcherlei Schmähungen nicht mehr nur Randnotizen. Die Angewohnheit, Eigennamen programmatisch zu deuten und einzusetzen, ist allerdings auch heute noch üblich, durchaus nicht in positiver Absicht, man denke an die Kreation des Wortes „Merkel-CDU“ als Synonym dafür, dass die Partei unter Führung von Angela Merkel eine Entwicklung in die politische Mitte nahm und dafür so manche konservativen Positionen räumte – was bekanntlich nicht nur für Zustimmung sorgte.
Dann gab es das Werkzeug der politischen Metaphern, die im schlechtesten Fall eine nüchterne Auseinandersetzung unmöglich machen. Etwa, wenn es sich um Sprachbilder handelt, die synonym für schlechte Eigenschaften stehen – Verlogenheit, geistige Schlichtheit, Gier – oder dem Adressaten schlicht das Menschsein aberkennen. Diese Sprache, die zum Ende der Weimarer Republik exponentiell zuzunehmen schien, spielte mit Assoziationen und Emotionen, die das eigene Publikum in seiner Meinung bestärkten: etwa Krankheits-, Fäulnis- und Abfallmetaphern („Nazi-Seuche“, SPD-Plakat zur Wahl vom 14. September 1930, „braune Mordpest“, KPD-Plakat zur selben Wahl, Juden als „Tuberkel-Bazillus“, Rede von Joseph Goebbels, Völkischer Beobachter vom 11./12.5.1930).[8] Oder die bereits erwähnten Tiermetaphern, die frühzeitig gerne von Extremisten links wie rechts verwendet wurden („Bluthund Noske“, „Horden“, „Meute“, „Brut“). Der Rückgriff auf Theatermetaphorik („Possenspiel“, „Maskerade“, „Marionetten“)[9] wirkt im Vergleich dazu fast harmlos.
Im Lauf der Zeit kristallisierten sich im Kampf um möglichst viele Wählerstimmen zwei Begriffe heraus, die auf dieses Konto besonders einzuzahlen schienen und eine zunehmend dominante Wirkung entfalteten: Nation und Sozialismus. Lagerübergreifend wurde darauf Bezug genommen und politische Entwicklungen und auch demokratische Entscheidungsprozesse daraufhin regelrecht abgeklopft, so dass die politische Auseinandersetzung unter diesen Überschriften geführt wurde und ein Wettbewerb auf das authentischste und überzeugendste politische Angebot in diesem Kontext reduziert wurde. Jede Splittergruppierung und selbst innerhalb der Parteien jede Strömung versuchte sich darüber zu profilieren. Alles wurde durch diese Brille gesehen.
Bruderkrieg in den Zeitungen
Interessanterweise gifteten sich die sogenannten nationalen Blätter gegenseitig auch aufs Schärfste an. So beklagte sich die Verbandszeitung „Der Stahlhelm“ vom 15. August 1926 in einer Meldung darüber, der „Völkische Beobachter“ bezichtige ihn der „nationale[n] Verlogenheit“, stelle ihn gar als „als judenfreundlich“ hin.[10] Den Gegenbeweis war der „Stahlhelm“ freilich bereits an Ort und Stelle angetreten, indem er den Aufmacher dieser Ausgabe mit „Der Ungeist von Weimar – der Reichsverfassung zum Geburtstag“ übertitelt und in einer Zwischenüberschrift festgestellt hatte, „der Weg zu Deutschlands Freiheit geht nur über die Leiche der Weimarer Verfassung“. Am 11. April 1930 mussten Stahlhelm-Anhänger im NS-Blatt „Der Nationale Sozialist“ lesen, sie seien „Fremdenlegionär[e] der Wallstreet“ [sic!].[11]
Diese Holzhammer-Metaphorik verband sich mit einer Sprachmelodie des eschatologischen Raunens, das im deutschen Blätterwald die Erwartungshaltung einer besseren Zukunft bedienen sollte und damit die Gegenwart diskreditierte. Der Puls der ohnehin schon erregten Öffentlichkeit schlug dadurch noch schneller. Im Inneren der Republik stieg die Betriebstemperatur, die fatale Außenwirkung martialischer Formulierungen wurde nicht bedacht, sträflich unterschätzt oder schlicht provoziert. Anderer Meinung zu sein, die vielschichtigen tatsächlichen Ursachen für das Scheitern der kaiserlichen Armee im Ersten Weltkrieg zu hinterfragen und pragmatisch – ohne Getöse – mit den Folgen umzugehen, konnte lebensgefährlich sein. Da auch die bürgerliche und demokratiefreundliche Presse in dieses Lamento partiell einstimmte, freilich ohne die brutale Desavouierung der handelnden Mandatsträger, erscheint hier der Begriff der Agitationsspirale plausibel.
Entwicklung zunehmender Radikalisierung
„Dass sich die Sprache radikalisierte, auch und gerade in der Presse der republikfreundlichen Demokraten, ist mitverantwortlich für die Radikalisierung auf der Straße, mithin für das Scheitern der Republik.“[12]
Anfangs gab es Versuche, die physische Gewalt der Straße medial einzuhegen. An blutigen Ereignissen wurde scharfe Kritik geübt, zugleich war zumindest das zeitweise Bemühen um „eine gewisse Entdramatisierung und Rationalisierung des Geschehens“[13] erkennbar. Diese Zeitungen hatten ihre originäre Aufgabe, den politischen Alltag des Ringens um Sachentscheidungen zu begleiten, zumindest nicht vollkommen verdrängt – wobei auch hier offenbar nicht auf einen deutlich kommentierenden und auf Suggestivvokabeln zurückgreifenden Ton verzichtet werden konnte. So gut eine moderate, leise Sprache der allgemeinen Stimmung getan hätte, sie hätte ihr nicht entsprochen und wäre nicht gehört worden. Die politische Schlagseite dieser Zeitungen war unverkennbar.
„Zwar verfiel auch die Gewalt rechter Republikgegner scharfen Verdikten der bürgerlichen Zeitungen, doch fehlte hier die dehumanisierende Ausgrenzung.“[14]
Als der KPD im Krisenjahr 1923 in Sachsen und in Thüringen eine Koalition mit der SPD gelang und „Proletarische Hundertschaften“ in Stellung gebracht werden sollten, ging das publizistische Fallbeil nieder. Denn auf einmal „eröffnete sich für die bürgerliche Presse im Herbst 1923 eine ganz neue Schreckensdimension […], was sich im nun auch an die SPD gerichteten Bürgerkriegsvorwurf niederschlug.“[15]
Spirale verbaler Eskalation
Mit der Gleichsetzung der Sozialdemokratie mit Kommunismus nahmen diese bürgerlichen Blätter eine der Grundfesten der Weimarer Republik unter Feuer. Und damit das Gesellschaftsmodell, das aus Untertanen Republikaner machen wollte. Eine merkwürdige Solidarität mit den alten, restlos gescheiterten Kräften hatte sich über die Jahre gehalten, und mit ihnen zu brechen, mangelte es weiten Teilen des Weimarer Bürgertums an Mut und Entschlossenheit. Insofern war ein scheinbar paradoxer Paradigmenwechsel zu beobachten: einerseits die institutionelle Etablierung einer Kultur der Freiheit anstelle von Zensur und Unfreiheit, andererseits unter Rückgriff auf diese Freiheit ein immer menschenverachtenderer Aktivismus in Wort und Tat.
Ein Gastbeitrag von Dr. Birgit Rätsch. Lest in Kürze den 3. und letzten Teil dieses spannenden Themas!
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[1] Fulda, Politik der ‚Unpolitischen‘, S. 49.
[2] Vgl. Christian A. Braun, Nationalsozialistischer Sprachstil, Heidelberg 2007, S. 251.
[3] Cornelia Schmitz-Berning, Vokabular, S. 556.
[4] Bernhard Pörksen, Die Konstruktion von Feindbildern, Wiesbaden ²2005, S. 152.
[5] Vgl. Wolfgang Fleischer/Irmhild Barz, Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache, Berlin/Boston ⁴2012, S. 56.
[6] Sebastian Gräb, Der Sprachgebrauch paramilitärischer Kampfbünde: Eine Untersuchung zur politisch-ideologischen Kommunikation in der Weimarer Republik, Hamburg 2018, S. 182 f.
[7] Ebenda, S. 200. Karl Friedrich Zörgiebel war ein Sozialdemokrat und als Berliner Polizeipräsident verantwortlich für die Niederschlagung der Mai-Demonstrationen der KPD 1929.
[8] Zit. n. Christian Schottmann, Politische Schlagwörter in Deutschland zwischen 1929 und 1934, Stuttgart 1997. S. 348, S. 354 sowie S. 221.
[9] Zit. n. Gräb, Sprachgebrauch, S. 202 ff.
[10] Der Stahlhelm, „Der Völkische Beobachter“, 15. 8. 1926. Hintergrund war, dass die Stahlhelm-Ortsgruppe Düsseldorf auf lokaler Ebene einen „Burgfrieden“ zwischen Reichsbanner und Stahlhelm herbeigeführt hatte, der offenbar weitgehend hielt.
[11] Ebenda, „Ein unerhörter Angriff“, 20. 4. 1930.
[12] Schewe, Weltvertrag, in: Schlosser, Das Deutsche Reich, S. 61.
[13] Dirk Schumann, Politische Gewalt in der frühen Weimarer Republik (1919–1923) und ihre Repräsentation in der politischen Tagespresse, in: Ute Daniel/Inge Marszolek/Wolfram Pyta/Thomas Welskopp, Politische Kultur und Medienwirklichkeiten in den 1920er Jahren, S. 279–310, hier: S. 294.
[14] Ebenda, S. 309. Die KPD arbeitete im Krisenjahr 1923 auf Weisung Moskaus an einem bewaffneten Umsturz. Als sie unter der Überschrift einer linken “Einheitsfront” im Oktober 1923 mit der SPD in Thüringen und Sachsen Regierungsbündnisse einging, schien die Gelegenheit günstig. „Proletarische Hundertschaften“ sollten sich erheben. Berlin intervenierte und verlangte, die bewaffneten Einheiten aufzulösen und die kommunistischen Minister zu entlassen. Ende des Monats marschierte die Reichswehr in Sachsen ein, in Thüringen trat die Regierung zurück.
[15] Ebenda.
Literatur:
Braun, Christian A., Nationalsozialistischer Sprachstil, Heidelberg 2007.
Eitz, Thorsten/Wengeler, Martin, Semantische Kämpfe in der Weimarer Republik. Zur vergessenen Geschichte politischer Sprache in Deutschland, in: Jörg Kilian/Thomas Niehr, Politik als sprachlich gebundenes Wissen (Hrsg.), Bremen 2013, S. 33–44.
Fleischer, Wolfgang/Barz, Irmhild, Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache, Berlin/Boston ⁴2012.
Fulda, Bernhard, Die Politik der „Unpolitischen“. Boulevard- und Massenpresse in den zwanziger und dreißiger Jahren, in: Frank Bösch/Norbert Frei (Hrsg.), Medialisierung und Demokratie im 20. Jahrhundert, Göttingen 2006, S. 48–72.
Gräb, Sebastian, Der Sprachgebrauch paramilitärischer Kampfbünde: Eine Untersuchung zur politisch-ideologischen Kommunikation in der Weimarer Republik, Hamburg 2018.
Klemperer, Victor, Lingua Tertii Imperii, Stuttgart ²²1975/2007.
Krämer, Andreas, „Fort mit Erzberger!“ „Knallt ab den Walther Rathenau!“ – zwei politische Morde im Spiegel der Presse, in: Horst D. Schlosser, Das Deutsche Reich ist eine Republik, Frankfurt a. Main 2003, S. 79–90.
Pörksen, Bernhard, Die Konstruktion von Feindbildern, Wiesbaden ²2005.
Reichardt, Sven, ‚Vor allem sehne ich mich nach Euch, Kameraden.‘ Eine mikrohistorische Analyse der SA, in: Hans-Peter Becht/Carsten Kretschmann/Wolfram Pyta (Hrsg.), Politik, Kommunikation und Kultur in der Weimarer Republik, Heidelberg u.a. 2009, S. 89–112.
Rödder, Andreas, Das Ende der grünen Hegemonie, F.A.Z. vom 8. 1. 2024, S. 6.
Schewe, Lars, Der uns aufgezwungene Weltvertrag. Die Presse zum Frieden von Versailles, in: Horst D. Schlosser, Das Deutsche Reich ist eine Republik, Frankfurt a. Main 2003, S. 51–61.
Schmitz-Berning, Cornelia, Vokabular des Nationalsozialismus, Berlin ²2007.
Schneider, Sabine (Hrsg.), Die Grenzen des Sagbaren in der Literatur des 20. Jahrhunderts, Würzburg 2010.
Schottmann, Christian, Politische Schlagwörter in Deutschland zwischen 1929 und 1934, Stuttgart 1997.
Schumann, Dirk, Politische Gewalt in der frühen Weimarer Republik (1919–1923) und ihre Repräsentation in der politischen Tagespresse, in: Ute Daniel/Inge Marszolek/Wolfram Pyta/Thomas Welskopp, Politische Kultur und Medienwirklichkeiten in den 1920er Jahren, S. 279–310.
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