Nach der ersten Ernüchterung über die fehlende Barrierefreiheit und einer eher schlaflosen ersten Nacht, startete mein Romabenteuer. Ich hatte viele Pläne geschmiedet. Gerade zur Osterzeit ist Rom eines der größten Pilgerziele für Katholiken aus aller Welt. Daher hatte ich mit dem Vatikan näher beschäftigt.
Mein erster Tag nach der Anreise war der Palmsonntag in Rom. Mein Hostel lag ganz in der Nähe des Kolosseum, daher beschloss ich, mit meinem Rad und einer Stadtkarte im Gepäck den Weg zu finden. Sehr schnell fielen mir die sieben Hügel auf, auf denen die Stadt Rom gegründet wurde. Für mich mit meinem Fahrrad gleichen diese Hügel eher Bergen. In der Nähe meines Hostels befindet sich die Basilika Santa Maria Maggiore, die sich auf dem Esquilin befindet. Vom Hügel Esquilin führt eine Straße bergab direkt zur Piazza Colosseo.
Unter einem strahlend blauen Himmel bahnte ich mir auf dem Fußgängerweg mit meinem Fahrrad meinen Weg. Stets musste ich aufpassen, nicht in Schlaglöcher zu fahren, andere Fußgänger nicht zu überfahren oder die passenden Absenkungen zu finden. Das stellte sich als große Herausforderung heraus.
Die Mühe lohnte sich, denn schon von der Straße aus bot sich ein wunderschöner Blick auf die Piazza del Colosseo mit dem Forum Romanum, dem italienischen Nationaldenkmal und dem Kolosseum. Zu diesem Zeitpunkt fand die Palmsonntagsprozession statt, welcher ich mich kurzzeitig anschloss. Mit Gesang, Palmzweigen oder einem Kreuz in der Hand zogen Klosterschwestern und andere Gläubige durch die Straßen am Kolosseum vorbei. Zum Gedenken an die verschiedenen Stationen des Kreuzweges blieben alle Teilnehmenden stehen und beteten. Das war ein sehr ergreifendes Erlebnis für mich.
Eigentlich hatte ich über das deutsche Pilgerzentrum in Rom per Mail auch Karten für die Palmsonntagsmesse auf dem Petersplatz bestellt. Da ich dann erst einen Tag vorher nach Rom reisen konnte, dachte ich enttäuscht, diese Messe nicht besuchen zu können. Erst später entdeckte ich auf der Homepage, dass das Pilgerzentrum zur Osterzeiten auch am Wochenende geöffnet ist. Haltet daher eure Augen immer offen und durchsucht vor der Anreise immer zuerst die Homepage.
Im Gespräch mit der „High Society“ vom Vatikanstaat
Beim deutschen Pilgerzentrum in Rom hatte ich eine Karte für die Generalaudienz des Papstes bestellt. Zunächst hatte ich keine genaue Vorstellung davon, wie eine Generalaudienz beim Papst abläuft und dachte, jeder Besucher könnte über sein Anliegen mit dem Papst sprechen. Nach kurzer Recherche im Internet waren meine naiven Vorstellungen schnell zurechtgerückt: Bis zu 20.000 Leute können bei einer Generalaudienz anwesend sein. Da hat der Papst sicher keine Zeit, mit jedem Gläubigen zu sprechen.
Eine halbe Stunde vor Einlass wartete ich zusammen mit bereits ungefähr 100 weiteren Besuchern brav in der Schlange, um eingelassen zu werden. Die nette Dame im Pilgerzentrum hatte mir geraten, sehr frühzeitig zu kommen. Zu meiner Freude wurde ich irgendwann von Mitarbeitern des Vatikans herausgewunken und durfte wegen meiner Behinderung einen anderen Eingang nutzen. Dabei kontrollierten sie angesichts der hohen Terrorgefahr in Rom sehr höflich meine Taschen und führten mich zu einem Bereich ganz vorne rechts neben dem Altar.
Dabei hielten sie mich stets an der Schulter fest, als könnte ich von meinem Fahrrad runterfallen und waren mehr als verwundert, dass ich ganz alleine gekommen bin. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass sie mir wegen meiner geringen Körpergröße nicht geglaubt haben, dass ich wirklich volljährig bin. Das passiert mir leider öfter.
Dafür war der Mitarbeiter des Vatikan, der sich ausschließlich um ums Besucher mit Behinderung kümmern sollte, umso netter. Ich setzte mich auf einem Stuhl neben ein Mädchen, das ungefähr zwölf Jahre alt war. Sie war zusammen mit ihrer Mutter und Schwester im Rollstuhl gekommen. Rechts von mir saß eine Frau aus Spanien mit ihrem Sohn im Rollstuhl.
Dank meiner eher schlechten, aber immerhin vorhandenen Italienischkenntnisse konnte ich mich mit dem Mitarbeiter des Vatikans unterhalten. Mit seinen über 70 Jahren hatte er schon fünf Päpsten gedient. Er stellte im Gespräch schnell fest, dass ich kein Kind sein kann und zeigte großes Interesse an meinem Fahrrad, da eine Freundin von ihm in Italien ebenfalls solch ein Gefährt gut brauchen könnte.
Papst Franziskus – gefeiert wie ein Popstar
Irgendwann begannen sämtliche Würdenträger, Grüße in verschiedensten Sprachen zu verlesen und erwähnten einige Pilgergruppen. Bis ein Jubel durch die Menge ging – der Papst kam mit dem Papa-Mobil angefahren und wurde von allen wie ein Popstar begrüßt.
Ich hatte mit großer Begeisterung die Äußerungen des Papstes in den Medien verfolgt, ihn jetzt aber live zu sehen, war einfach unbeschreiblich. Wie ein Papparazzo knipste ich ein Foto nach dem anderen, in der Hoffnung, ein schönes Bild mit dem Papst zu haben. Nachdem er ein paar Runden mit dem Papa-Mobil durch die Menge gedreht hatte, stieg er auf dem Weg zum Altar beim Petersdom eine Anhöhe hinauf.
Danach begann der Papst mit einer kleinen Ansprache über das anstehende Osterfest und sein zentrales Thema, die Barmherzigkeit. Am 8. Dezember hatte Papst Franziskus in der Zentralafrikanischen Republik das „Heilige Jahr der Barmherzigkeit“ eröffnet. Auf der Rückseite der Eintrittskarte stehen die fünf Gebote der Barmherzigkeit. Einen Tag nach den Anschlägen in Brüssel und angesichts der angespannten Situation in ganz Europa hätte es kein besseres Thema geben können.
Dolmetscher begrüßten für den Papst all die Gläubigen auf den Petersplatz. Besonders hoch war der Jubel bei den spanischsprachigen Gläubigen, denen sich Franziskus verständlicherweise besonders verbunden fühlt, da er aus Argentinien kommt.
Trotzdem fühlte ich mich nicht als Deutsche benachteiligt. Franziskus versteht es, alle Gläubigen in den Bann zu ziehen und für sich zu gewinnen. Und dabei trotz all der sprachlichen Unterschiede alle gleich zu behandeln.
Besonders positiv fiel mir auf, dass auch die arabischsprachige christliche Gemeinschaft vom Papst gegrüßt wurde. Das setzt für mich ein großes Zeichen. Der Papst will der Welt und den Gläubigen verdeutlichen, dass Christen rund um den Globus zusammenhalten müssen.
Zudem bat er alle Anwesenden, mehrmals an ihre Kinder, Kranke und Behinderte besondere Grüße auszurichten. Für mich als Behinderte war das ein sehr schönes und stärkendes Zeichen, dass der Papst den Auftrag der katholischen Kirche ernst nimmt, für alle und ganz besonders für die eher schwächeren Mitglieder der Gemeinschaft ein offenes Ohr zu haben. Franziskus verurteilte auch ganz deutlich die Anschläge in Brüssel und sprach sein Beileid für alle Angehörigen aus. Das gemeinsame Gebet widmete er den Opfern.
Einmal kurz mit dem Papst sprechen?
Zum Schluss erklärte mir der Mitarbeiter des Vatikans, dass der Papst alle Behinderten begrüßen wird. Damit hatte ich nicht gerechnet und die Aufregung stieg. Ich sah, wie der Papst mit kirchlichen Mitarbeitern sprach, ehe er zu den Pilgern mit Behinderung ging. Freudig riefen wir alle „Francesco“ und alle klatschten wie bei einem Konzert.
Die Aufregung stieg noch mehr. Ich beobachtete, wie er mit den ersten Pilgern sprach, sie umarmte und segnete. Daneben standen drei Fotografen und machten einige Fotos. Francesco widmete jedem Einzelnen Zeit und begrüßte auch alle Begleiter.
Wenig später erreichte Papst Franziskus meine Reihe und die Mutter mit ihren beiden Töchtern fiel weinend vor Franziskus auf die Knie und umarmte ihn. Dieser richtete die Frau behutsam wieder auf und tröstete sie. Gerade in dem Moment sind mir das Einfühlungsvermögen und die Bescheidenheit von Franziskus sehr bewusst geworden.
Er wirkte auf mich eher zurückhaltend. Er versteht es, so in Ruhe auf seine Mitmenschen zuzugehen. Gleichzeitig zieht er die Anwesenden in seinen Bann. Der Papst segnete die Frau und den Rosenkranz, den sie mitgebracht hatte. Danach segnete er ihre beiden Töchter und sprach kurz mit ihnen.
Als der Papst vor mir stand, wusste ich nicht weiter. Man trifft ja auch nicht jeden Tag den Papst. Mit einer Mischung aus Aufregung und Freude grüßte ich den Papst mit „Buongiorno Franceso“, auf Deutsch „Guten Morgen Franziskus“. Dann blieb mir schlicht die Sprache weg. Franziskus fragte mich „Come stai?“, auf Deutsch „Wie geht es dir?“ Nur war ich so überwältigt, dass die Worte kaum zu mir durchdrangen. Der Papst meinte dann in einem fragenden Ton „Bene“ auf Deutsch „Gut“ und begann, mich zu segnen.
Er legte seine Arme um mich und machte das Kreuzzeichen auf die Stirn. Währenddessen war ich völlig gebannt und blieb wie erstarrt sitzen. Bis heute bewegt mich der Moment sehr. Anschließend ging der Papst weiter und mir kam in den Sinn, wie doof ich doch war, dass mir auf die einfache Frage vom Papst nichts eingefallen ist.
Jeder Einzelne bekam einen vom Papst gesegneten Rosenkranz und eine Karte mit der Unterschrift des Papstes und einen Spruch über die Barmherzigkeit geschenkt. Beides sind für mich sehr schöne Erinnerungsstücke an dieses besondere Erlebnis.
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