Die Spiele der Champions League zählen zu den absoluten Highlights im europäischen Fußball. Wenn unter Flutlicht die glorreiche Hymne ertönt und sich auf der ganzen Welt die Augen gespannt auf die Bildschirme richten, dann schreiben wir die Geschichten der Helden auf ihrer Reise zum begehrten Henkelpott. Doch damit ist jetzt Schluss – der Grund: die „European Super League“.
Dass der europäische Spitzenfußball sich bereits unvorstellbar weit von der eigenen Basis entfernt hat, ist allseits bekannt. Exorbitante Spielergehälter, moderne Fußballtempel aus Stahl und Beton, Söldnermannschaften ohne Vereinsbindung, Eventisierung von Spielen und die Umgestaltung von Vereinen in börsennotierte Profitunternehmen haben aus dem Bolzplatzfußball des vergangenen Jahrhunderts eine Geldmaschinerie entwickelt.
Im Europäischen Fußball zeigte sich in der letzten Dekade immer deutlicher, dass die Schere zwischen den Spitzenteams und den Konkurrenten in den nationalen Ligen immer größer wurde, was vor allem durch die horrenden Start- und Siegprämien in der Champions League (CL) angeheizt wurde.
In Italien gewann Juventus Turin neun der letzten zehn Meisterschaften. Ähnlich sieht es in Deutschland und Frankreich aus, wo der FC Bayern München und Paris Saint-Germain die Liga nach belieben dominieren. Dagegen führt in England eine Spitzengruppe aus London, Liverpool und Manchester, die den Meistertitel mit wenigen Ausnahmen unter sich ausmachen. In Spanien gab es sogar seit 1985 nur zwei Meister, die nicht aus Barcelona oder Madrid kamen.
Trotz alledem hielten die Fans, die nach Ansicht mancher Funktionäre scheinbar nicht mehr als zahlungskräftige Zuschauer in einer Zirkusmanege darstellen, ihren Vereinen die Treue. Die spannenden Wettkämpfe fanden dadurch vor allem im Duell im die begehrten CL-Plätze und im Abstiegskampf der nationalen Ligen statt. Selbst in der Champions League klaffte eine immer größere Lücke zwischen den Platzhirschen der großen fünf Ligen und den kleineren Teams. Während es in der Ko-Phase zwischen Januar und Mai zu den großen Duellen kam, mussten die Spitzenteams im Herbst zunächst die Gruppenphase überstehen, um dabei Gegner aus Portugal, Russland oder Türkei schlagen.
Die Idee einer Superliga
Eine Liga der größten Vereine Europas wurde in den letzten 20 Jahren immer wieder diskutiert. Dennoch ist der Vorstoß des Real-Präsidenten Florentino Perez der erste konkrete und gleichsam revolutionäre Schritt. Die „European Super League (ESL)“ soll den startenden Vereinen also dreierlei Vorteile verschaffen: permanentes Startrecht ohne Qualifikation, kürzere Reisewege in Europa und deutlich mehr Geld durch Direktvermarktung ohne Abgaben an FIFA und UEFA. Zu den zwölf bekannten Vereinen, die an der ESL teilnehmen sollen, gehören jeweils die drei Schwergewichte aus Spanien und Italien sowie die sechs Spitzenteams aus England.
Weitere acht Plätze sollen noch vergeben werden, wobei dem FC Bayern München, Borussia Dortmund und Paris Saint-Germain ebenso feste Startplätze angeboten werden sollen. In einem Ligabetrieb werden die zwanzig Mannschaften in zwei Gruppen antreten, von denen sich die Plätze eins bis drei direkt für Viertelfinale qualifizieren und Platz vier und fünf in einem Wildcard-Spiel um die verbleibenden Tickets antreten.
Damit steht die Super League in einem bisher nie dagewesenen Kontrast zu der etablierten Champions League. Da die ESL bereits im August starten soll, kommt es nun zum offenen Kampf der SL-Vereine gegen die Verbände FIFA und UEFA. Diese teilten bereits mit, dass sie Spieler und Vereine aus allen Wettbewerben ausschließen wollen, falls jene tatsächlich an der SL teilnehmen werden. Man stelle sich also vor, dass Lionel Messi, Christiano Ronaldo und Toni Kroos sowohl die Champions League als auch die kommenden Europa- bzw. Weltmeisterschaften verpassen werden. Auch der Abbruch der gegenwärtige Champions League wird diskutiert, da drei der vier Halbfinalisten an der ESL teilnehmen werden.
Der Blick in die Glaskugel
Es ist schwer vorherzusagen, wie sich der Streit zwischen den Verbänden und den Vereinen entwickeln wird. Aufgrund der Schärfe in den Aussagen und der Entschlossenheit der Protagonisten ist aus heutiger Sicht nicht vorstellbar, dass die ESL-Vereine doch noch einen Rückzieher machen. Ist dies also das Ende oder doch nur ein logischer nächster Schritt im Fußballgeschäft? Um zu verstehen, wie sich ein solcher Konflikt entwickeln kann, werfen wir einen Blick in andere Sportarten.
Im Profiboxen haben sich vier globale Verbände gebildet, die miteinander in Konkurrenz stehen. Sie funktionieren dabei wie Sportkonzerne, deren Anliegen nicht der sportliche Wettkampf, sondern die Gewinnmaximierung ist. Viele Boxer treffen daher nicht direkt gegeneinander an, weil die Veranstalter Verträge mit den Sportlern abschließen. Man stelle sich also diese Situation im Fußball vor, dass die besten Mannschaften der Welt einfach nicht gegeneinander spielen werden, da ihre Verbände in Konkurrenz stehen.
Die amerikanischen Ligen NFL, MLB, NHL und MLS funktionieren zwar ganz anders als der europäische Fußball, doch mit der Einführung der ESL kommt dieser den Franchises der USA näher. Franchise-Unternehmen folgen einem bestimmten Konzept mit einer global einheitlichen Marketing- und Vertriebsstrategie. Im Gegensatz zu McDonald’s, Subway und Co bezieht sich hier der Franchise vor allem auf das Logo und das Unternehmen hinter einem Sportteam.
Ein Franchise kann an beliebigen Orten eingesetzt werden, daher kam es in der Sportgeschichte auch zu einigen Standortwechseln, wie z.B. 2016, als St. Louis sein NFL-Team an Los Angeles verlor. Durch die interessanten Märkte in Asien, Arabien oder Nordamerika könnte auch die ESL an verschiedenen Orten stattfinden oder auch dauerhaft wechseln. Vielleicht richtet der einst glorreiche AC Mailand bald seine Heimspiele in Miami aus, währenddessen Liverpool in Boston spielt.
Wie eine völlige Loslösung von der eigenen Basis aussehen kann, zeigt das Beispiel der Formel 1. Während noch vor ein paar Jahrzehnten tausende begeisterte Fans in Italien, England und Deutschland die Rennen verfolgten, sieht man heutzutage in Abu Dhabi, Baku und Bahrain kaum noch etwas von einst. Das hochglanzpolierte Geschäft wird von russischen Oligarchen, arabischen Scheichs und amerikanischen Banken dominiert, was unlängst zu astronomischen Ticketpreisen führte. Zwar finden die Rennen immer noch in Europa statt, aber die öffentliche Aufmerksamkeit ist nicht annähernd so groß wie einst.
Die ESL stellt den europäischen Fußball vor eine nie dagewesene Revolution. Rollt der Ball im August 2021 tatsächlich zum ersten Mal, werden wir ganz neue Konstellationen im Fußball erleben, die nicht nur die Spitzenteams, sondern auch alle nationalen Ligen verändern werden. Quo vadis Profifußball? Diese Frage sollte uns zu denken geben.
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