Deutschland als Zufluchtsort und neue Heimat? Das Land gibt sich in der Frage gespalten, doch trotzdem erreichen jeden Tag neue Asylbewerber und flüchtende Menschen das Land. Seit Jahresbeginn wurden bereits wieder 50.000 Menschen gezählt. Deutschland und die Kanzlerin stehen vor enormen humanitären Herausforderungen. Werden wir es schaffen?
Wahrscheinlich werden auch Jahre nach der Silvesternacht von 2015, in der zahlreiche Frauen sexuell belästigt und/oder bestohlen wurden und angesichts der darauffolgenden, hochemotionalen Debatte, noch zahlreiche Menschen wissen, wo sie damals waren oder was sie an dem Tag getan haben, egal wie betrunken sie gewesen waren. Die Silvesternacht in Köln und anderen deutschen Großstädten wird sich in die Köpfe der Menschen sowie in die Geschichtsbücher einbrennen. Zugleich hat sich das Meinungsbild vieler Bevölkerungsteile in der höchst kontrovers geführten Debatte um den Umgang mit geflüchteten Menschen auch und gerade nach Köln gewendet, was nicht weniger problematisch erscheint. Denn der zu Beginn der Flüchtlingsbewegung so hochgelobten Willkommenskultur haben diese Ereignisse sicherlich geschadet. Zwar helfen weiterhin jeden Tag dutzende Menschen in Flüchtlingsunterkünften, doch auf der politischen Meinungsebene hat sich dieses Land schon lange nicht mehr so gespalten gezeigt.
Vertrauen spielt zurzeit eine wichtige Rolle. Laut aktuellem Politbarometer sind 33 Prozent der Bevölkerung verunsichert. Etwa 60 Prozent wenden sich von Kanzlerin Merkel und Ihrer Flüchtlingspolitik ab. Diese beiden Zahlen symbolisieren die aktuelle Stimmungslage. Befeuert wird die ohnehin schon kontroverse Diskussion von den PEGIDA-Kundgebungen. Hier werden nach den Verbrechen in Köln auf einmal Frauenrechte auf befremdliche Art und Weise als Argumentationsinstrument gegen Asylbewerber und bereits hier beheimatete Ausländer missbraucht.
Kann Deutschland Heimat sein?
Während der Sommerpressekonferenz vom 31.08.2015 entkam der Kanzlerin ein Satz, der sehr viel Optimismus auf der einen und gleichzeitig Angst auf der anderen Seite ausgelöst hatte: „Wir schaffen das“, wurde zum Überbegriff für Merkels Flüchtlingspolitik. Oder anders ausgedrückt: Wir schaffen Heimat für flüchtende Menschen. Dieser Satz löste jedoch in den Kommunen des Landes manchmal auch negative Reaktionen aus, weil sie sich vor enorme humanitäre Herausforderungen gestellt sahen. Erschwerend hinzu kam die Sorge vor einem stärker werdenden rechten Protest, wie man ihn zum Beispiel in Heidenau erleben musste. Merkels Offenheit erntete unter den zahlreichen Asylsuchenden natürlich viel Sympathie.
Die Perspektive des Flüchtlings einnehmen
Flüchtlinge suchen ein besseres Leben oder eine neue Heimat. Doch was bedeutet eigentlich für sie ein besseres Leben? Welche Kriterien haben sie dafür? Natürlich ist die eigene Ansicht dazu immer subjektiv, denn jedes Individuum definiert „ein besseres Leben“ und „Heimat“ anders. Trotzdem möchte ich versuchen, mich in die Lage eines flüchtenden Menschen hineinzuversetzen. Wie würde ich mir meine potenzielle neue Heimat vorstellen? Eine Antwort auf diese komplexe Frage ist gar nicht so einfach. An einer Stelle würde die Sicherheit stehen. Doch auch das Ankommen, der erste Eindruck im neuen Land, wäre mir sehr wichtig.
Wenn ich aus einem von Krieg geplagten Land wie Syrien käme, hätte ich die Hoffnung, an meinem Zufluchtsort in Frieden, mit einem Dach über dem Kopf und einer Aussicht auf eine bessere Zukunftsperspektive leben zu können. Wie würde ich die Stimmung in Deutschland nach den heftigen Debatten um die Ereignisse der Silvesternacht erleben? Ich würde die Wut und den Hass der bisweilen geäußert wurde, sicherlich deutlich wahrnehmen. Ich würde mich hier in diesem Land, welches mich zu Beginn so herzlich empfing, vielleicht nicht mehr wohlfühlen. Vielmehr hätte ich Angst. Angst davor, in einen Topf mit den Tätern der Silvesternacht geworfen zu werden. Der Verallgemeinerung zum Opfer zu fallen. Nur als Problem, gar als Bedrohung tituliert zu werden. Jedoch möchte ich als Bereicherung für meine neue Heimat angesehen werden. Ich möchte nicht nur in meiner Rolle als Flüchtling und als anonymer Teil einer großen „Massenbewegung“ angesehen werden, sondern im besten Fall als Bereicherung für meine neue Heimat.
Kanzlerin Merkel setzt mit ihrem „Wir schaffen das“ ein Ausrufezeichen in der Flüchtlingspolitik. Sie will letztlich verdeutlichen, dass es hierbei um einzelne, konkrete Menschen geht, die einen weiten Weg angetreten sind, in der Hoffnung auf eine bessere Lebensperspektive. Doch inzwischen senden manche Flüchtlinge ein nicht weniger bedeutungsvolles Ausrufezeichen in Richtung Berlin. Indem sie das Land wieder verlassen, weil sie die Sorge umtreibt, dass Deutschland womöglich doch nicht ihre Heimat werden kann.
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