Das ist der erste Satz, der einem Freund von mir rausrutscht, als ich ihn bitte, mich zum Flughafen zu fahren. Wenn man an Russland denkt, hat man meist Putin, Bären und Fellmützen im Kopf. Man kauft sich lieber ein Flugticket nach Barcelona, anstatt zwei Stunden von Berlin nach Moskau zu fliegen. So auch ich selbst – bis ich für das Deutsch-Russische Jugendforum „Hauptstadtgespräche“ die Hauptstadt Russlands erlebte – und ich in vielen Hinsichten überrascht wurde.
Die Zahl von Teilnehmern am Deutsch-Russischen Jugendaustausch sinkt
Ich studiere Internationale Beziehungen und Russland ist bei vielen Themen zentral. Und auch fast 28 Jahre nach dem Fall der Sowjetunion bestehen immer noch Vorurteile gegenüber Russland in allen Generationen. Daher mein Interesse am Deutsch-Russische Jugendforum, welches von DRJUG, dem Alumniverein des deutsch-russischen Jugendparlamentes, organisiert und finanziell unter anderem vom Auswärtigen Amt unterstützt wird. Die Zahl der deutschen Studenten, die jährlich in Russland studieren, lag 2014/15 bei 254. Zum Vergleich: Im gleichen Jahr waren 5.221 deutsche Studenten im beliebtesten Austauschland Spanien (ich eine von diesen), das sind fast 21-mal so viele, wie diejenigen, die zum gleichen Zeitraum in Russland studierten.
Das Deutsch-Russische Jugendforum wird organisiert, um eben dieser Entwicklung entgegenzuwirken und junge Deutsche und Russen für eine Woche zusammenzubringen, die zur Verbesserung der bilateralen Beziehungen beitragen möchten. Das Forum ist in die fünf Themen Geschichte, Politik, Wirtschaft, Medien und Zivilgesellschaft aufgeteilt. Zu jedem Thema stehen verschiedene Programmpunkte auf der Tagesordnung, wie etwa der Besuch von staatlichen Institutionen, sowie Treffen mit Politikern, Journalisten und Vertretern aus NGOs und Wirtschaft in Form von Workshops, Panel-Diskussionen und Expertengesprächen. Ein besonderer Programmpunkt ist außerdem der Besuch eines Balletts im Kreml-Theater.
Bahn fahren in unterirdischen Palästen
Eines der ersten Highlights, die ich in Moskau erlebe, ist die Fahrt mit der Metro vom Flughafen zum Hostel. Alle zwei Minuten kommt eine neue Bahn, außerdem gilt die Moskauer U-Bahn als die schnellste der Welt, freies Wi-Fi inklusive. Doch das eigentlich Interessante sind die Metrostationen selbst, sie gleichen einem Museum: Es gibt Statuen, Gemälde und Kronleuchter. Wären nicht die großen Menschenströme, so könnte man fast vergessen, dass man sich in einer U-Bahn-Station befindet. Von einer russischen Teilnehmerin wird mir erzählt, dass die prunkvollen Stationen ein Überbleibsel aus der Zeit Stalins sind und auch die „Paläste der Bürger“ genannt werden.
Am ersten Abend laufen wir zum Kreml, machen begeistert Fotos von den Zwiebeltürmen der Basilius-Kathedrale aus der Ferne, kommen auf der Brücke zum Kreml an der Gedenkstelle für den 2015 ermordeten Boris Nemzow vorbei. Viele Blumen liegen dort, der Mord wurde nie vollkommen aufgeklärt. Wir gehen weiter. Der Rote Platz ist hell erleuchtet, wirkt sehr einladend. So schön hatte ich es mir nie vorgestellt. Später setzen wir uns in eine Bar und trinken Medowucha und Kwas, ein leichtes Bier, das aus Brot hergestellt wird und oft statt Wodka als das offizielle russische Nationalgetränk gesehen wird.
Zu Gast im russischen Außenministerium und bei „ausländischen Agenten“
Am nächsten Morgen geht es mit dem Besuch der Lomonossow-Universität los. Hier studierte schon Gorbatschow. Danach steht das russische Außenministerium, das МИД, auf dem Programm. Die prunkvolle Eingangshalle wirkt fast ein bisschen protzig. Im Außenministerium befindet sich auch das diplomatische Museum. Zum Schmunzeln ist hier ein Geschenk von Hillary Clinton an den russischen Außenminister: ein roter „Reset“ Plastikknopf, symbolisch für den Neubeginn der Beziehungen. Doch die russische Übersetzung stimmt nicht: statt Reset steht dort „Überladen.“
Am nächsten Tag geht es in das russische Parlament, die Staatsduma. Hier treffen wir zum ersten Mal einen Russen, wie man ihn sich wohl mit all seinen eigenen Vorurteilen vorstellt, ein Abgeordneter in der Duma. Angesprochen auf die Bundestagswahlen in Deutschland spricht er über seine Hoffnung auf einen Sieg der AfD. Das ist keine Einzelmeinung in Russland: Hier sehen viele Deutschland von Flüchtlingen überflutet.
Am Nachmittag kommt das Kontrastprogramm: Wir sind zu Gast bei „Memorial“, eine Menschenrechtsorganisation, die sich mit der Aufarbeitung der Vergangenheit in der Sowjetunion beschäftigt. Da die Vereinigung finanziell vom Ausland bezuschusst wird, ist sie als „ausländischer Agent“ eingestuft. Uns wird erzählt, dass das Memorial ein Dorn im Auge der Regierung ist, da die Organisation Einfluss auf die Gedächtniskultur nimmt. Diese ist laut Memorial in Russland auf „Sieg“ zentriert. Beispiel dafür ist die Verharmlosung von Stalin, man feiert die Modernisierung, die der sowjetische Diktator herbeigerbacht hat, doch deren Opfer durch Verfolgungen und Zwangsarbeiter will man vergessen. Seit einigen Jahren werden sogar neue Stalin-Statuen in Russland aufgestellt, in Schulbüchern nur ein Teil der Geschichte erzählt.
Frischer Wind in Russland: Die neue Start-Up Szene Moskaus und die anstehende Fußball-WM
Auf der anderen Seite boomt so wie in Deutschland auch in Moskau die Start-Up-Branche: Wir treffen zwei Deutsche, die Start-Ups wie LaModa.ru und UberEATS in Russland aufgebaut haben. Sie sagen, sie lieben die russische Start-Up Szene. Einziges Manko: Das soziale Netzwerk LinkedIn wurde von der russischen Regierung gesperrt, was Vernetzung schwieriger mache. Einen Lichtblick gibt es auch bei der Deutschen Bank: Russland exportiert zwar Waffen, aber inzwischen auch genauso viele IT-Produkte.
In den Gesprächen stellen die jungen Russen in unserer Gruppe auch kritische Fragen, viele haben ein Semester im Ausland verbracht, sprechen nahezu perfekt Deutsch. Informationen holen sie sich auch über englischsprachige und deutschsprachige Nachrichtenportale, Russia Today sehen sie ähnlich wie viele Deutsche als unzuverlässige Quelle. Doch nur 30 Prozent der Russen haben einen Reisepass und kommen daher nur selten in Berührung mit dem Ausland. Geändert werden könnte das durch die Fußball-WM, vorausgesetzt, dass die vielen Ausländer, die nach Russland kommen werden, sich nicht nur für den Fußball, sondern auch für die russische Kultur und Gesellschaft begeistern, abseits von Vorurteilen.
Gelernt von dem Forum habe ich, dass man keine Angst haben muss vor Russland. Gerade in Zeiten, in denen es auf höchster politischer Ebene viele Unstimmigkeiten gibt, sind Kontakte der Zivilgesellschaften wichtiger denn je. Und Moskau schlägt einen in den Bann. Wie Michael Ritter, der bei CLAAS Russland (ein deutscher Hersteller von Landtechnik) arbeitet, sagt: “Es gibt zwei Sorten von Menschen in Bezug auf Russland: die einen, die nie in ihrem Leben nach Russland fahren, und diejenigen, die einmal kommen und dann immer wieder zurückkehren.”
Einige Tage nach meiner Rückkehr treffe ich den Freund, der mich zum Flughafen gefahren hat. Ich erzähle ihm begeistert von Moskau. Nach einigem Zögern erklärt er sich schließlich bereit, für die Fußball-WM selbst in ein Flugzeug nach Russland zu steigen.
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