„Euthanasie“: Der Tod, entschieden durch den eigenen freien Willen oder durch schmerzlindernde Medikamente. Diese Wortbedeutung wurde zur Zeit des Nationalsozialismusʾ allerdings drastisch umgedeutet und in Verbindung mit der sogenannten „Rassenhygiene“ verwendet und durchgeführt. Im Rahmen der „NS-Euthanasie“ wurden Menschen mit Behinderungen, mit psychologischen und neurologischen Erkrankungen oder sehr kranke und alte Menschen, wie beispielsweise KZ-Häftlinge, als „lebensunwerte“ und „arbeitsunfähige“ Menschen betitelt und auf Basis der „NS-Rassenideologie“ umgebracht.
Der Begriff der „Euthanasie“ stammt ursprünglich aus dem Altgriechischen und setzt sich aus den Wörtern „Eu“ (gut) und „Thanatos“ (Tod) zusammen. Geprägt wurde er schon zur Zeit der griechischen Antike und bedeutete damals den Tod ohne lange Leidensphase – eigentlich eine schöne Bedeutung.
Auch in der heutigen Zeit wird der Begriff beispielsweise in der Medizin für die „Erleichterung des Sterbeprozesses“ durch Verabreichung von schmerzlindernden Medikamenten oder gar für „Sterbehilfe“ verwendet. Zur Zeit der Weimarer Republik, gefolgt vom Nationalsozialismus, wurde der Terminus allerdings eindeutig negativ und im Sinne der „NS-Ideologie“ instrumentalisiert.
Woher stammt der Terminus „Euthanasie“ und wie wurde er geprägt?
In der Weimarer Republik war der allgemeine Diskurs der „Euthanasie“-Debatte stark durch die Nachkriegszeit ab 1918 geprägt – es wurde die Meinung vertreten, dass es „Situationen gebe, in denen das Wohl und Wehe der Starken das Lebensrecht der Schwachen außer Kraft setzt“. Der Gedanke an eine Ungleichverteilung, sowie die Kategorisierung von „stark“ und „schwach“ wurde somit auch damals schon öffentlich debattiert.
Zudem wurden Menschen mit einer Behinderung oder psychologischen beziehungsweise neurologischen Erkrankung allgemein weniger wertgeschätzt und oft missachtet. Mit der Veröffentlichung der Schrift „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“ durch den Psychiater Alfred Hoche und den Strafrechtler Karl Bindig im Jahr 1920 nahm die Debatte rund um das Thema „Euthanasie“ allerdings eine drastische Wendung.
Mit wachsender Unzufriedenheit und abnehmendem Vertrauen der Bevölkerung in die amtierende Regierung wendete sich nach und nach das Blatt. Die NSDAP gewann mehr und mehr an Zuwachs und betrieb in Bezug auf die Themen „Eugenik“ und „Rassenhygiene“ erheblich Propaganda; es wurden eugenische Organisationen sowie Öffentlichkeitsarbeit, in Form von Filmen, Ausstellungen und Weiterem durch die „Preußische Medizinalverwaltung“, unterstützt. Des Weiteren wurde 1923 der erste Lehrstuhl für „Rassenhygiene“ an der Universität München eingerichtet; ihm folgten weitere Universitäten in anderen Städten des Deutschen Reichs.
Von „Eugenik“ in der Weimarer Republik bis zur „Rassenhygiene“ im Nationalsozialismus
Wie schon zuvor erwähnt, findet der Begriff „Euthanasie“ seinen Ursprung nicht in der Zeit von 1933 bis 1945, sondern schon weitaus früher. Mit der Zeit entwickelte sich demnach die Bewegung der Eugeniker; sie brachte die zwei Gesichter der „Euthanasie“ erheblich durcheinander; die Ansicht von individueller Freiheit und dem freien Willen, zu sterben, bis hin zur Frage der „gesellschaftlichen Notwendigkeit“ und der Meinung, dass gewisse Belastung in „Grenzen“ gehalten werden müsse.
Der Grundgedanke der Eugenik sieht eine Gefahr des Verfalls der Gesellschaft, welchem mit der „Reinhaltung“ der Gesellschaft von „minderwertigem“ Erbgut entgegengewirkt werden soll; der Ideologie der „Rassenhygiene“, welche später von den Nationalsozialisten eingeführt wurde, war dies äußerst zuträglich. Zunächst berief sich das NS-System noch auf die Eugenik, was bis zur Einführung der „Rassenhygiene“ einen fundamentalen Wertewandel sowie eine stetige Radikalisierung der Bevölkerung zur Folge hatte. Die „Rassenhygiene“ sah den „Volkskörper“ durch Menschen mit Erbkrankheiten bedroht und verfolgte mit ihrem pronatalistischen Ansatz den Nachwuchs „rassisch wertvollen“ Erbguts durch „rassisch wertvolle“ Frauen und Männer.
Mit der „Machtübernahme“ der Nationalsozialisten im Januar 1933 begannen auch die Propaganda-Maßnahmen, welche die Bevölkerung aufforderten, „rassehygienische Maßnahmen“ zu akzeptieren. Mithilfe der Gleichsetzung von Patienten mit Verbrechern versuchten die Nationalsozialisten die Bevölkerung zu manipulieren. Mit der allgemeinen Missachtung von Menschen ging auch die Missachtung durch Familienmitglieder einher – teilweise wurde den Opfern das Lebensrecht durch die eigenen Eltern abgesprochen und eine Tötung von diesen befürwortet.
„Euthanasie“ als „Gnadentod“ – Euphemismen des NS-Systems
„Endlösung“, „Sonderbehandlung“, „Anschluss“, „Gleichschaltung“ – all dies sind Begriffe, welche im und durch den Nationalsozialismus entstanden und geprägt worden sind. In der heutigen Zeit werden und müssen diese Begriffe im Schriftlichen in Anführungszeichen sowie im Mündlichen in imaginäre Anführungszeichen und/oder mit dem Beiwort „sogenannte“ gesetzt werden; somit wird eine eindeutige Distanz zu diesen Begrifflichkeiten verdeutlicht. Anführungszeichen bedeuten in der Geschichtswissenschaft allgemein die Distanzierung von einem Wort oder Ausdruck; in diesem Bereich der Geschichte ist dies allerdings besonders von Nöten. Was bedeutet aber nun die Verwendung von Euphemismen in Verbindung mit dem Nationalsozialismus?
Euphemismen waren das „täglich Brot“ des NS-Propagandaapparats. Sie dienten der Überzeugung, Aufhetzung gegen verfolgte Gruppe, Manipulation und vielem mehr. Propaganda und die Verwendung vermeintlich einfacher Sprache gaben den Menschen das Gefühl, sich von der Regierung verstanden zu fühlen, Unterstützung zu erhalten und eine „Einheit“ zu sein – dass sie aber nur „Mittel zum Zweck“ waren, war vielen zu dieser Zeit nicht bewusst oder sie verdrängten den Gedanken. Die Verwendung des Begriffs des sogenannten „Gnadentods“ in Verbindung mit der Ermordung von Menschen mit Behinderung stellt ebenfalls einen weiteren Euphemismus des NS-Systems dar.
Mit der sogenannten „Euthanasie“-Ermächtigung im Oktober 1939, persönlich von Adolf Hitler unterzeichnet, wurde das „Euthanasie-Programm“ von der „Kinder-Euthanasie“ auf erwachsene Patienten ausgeweitet. Mit der von nun an begonnenen Ermordung von erwachsenen Patienten bekam die Begrifflichkeit des „Gnadentods“ eine völlig andere Bedeutung. Laut Hitler sollte der „Gnadentod“ gewährt werden, wenn ausgewählte Ärzte den Krankenzustand des Patienten als „kritisch“ beurteilten.
Fortführende Literatur
- Bruns, Florian: Medizinethik im Nationalsozialismus. Entwicklungen und Protagonisten in Berlin (1939-1945). Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2009.
- Klee, Ernst: „Euthanasie“ im NS-Staat. Die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1983.
- Noack, Thorsten: „NS-Euthanasie“ und die internationale Öffentlichkeit. Die Rezeption der deutschen Behinderten- und Krankenmorde im Zweiten Weltkrieg. Verlag Campus, Frankfurt am Main 2017.
- Osterloh, Jörg/Schulte, Jan Erik (Hrsg.): „Euthanasie“ und Holocaust. Kontinuitäten, Kausalitäten, Parallelitäten. Verlag Brill ׀ Schöningh, Paderborn 2021.
- Osterloh, Jörg/Schulte, Jan Erik/Steinbacher, Sybille (Hrsg.): „Euthanasie“-Verbrechen im besetzten Europa. Zur Dimension des nationalsozialistischen Massenmords. Wallstein Verlag, Göttingen 2022.
- Vellguth, Klaus: „Aktion T4“ – Mord mit System. Das „NS-Euthanasieprogramm“ und die Geschichte eines Opfers. Topos Verlagsgemeinschaft, Kevelaer 2014.
Fortführende Hinweise
- https://www.firstlife.de/kaempfer-gegen-die-nazis-zum-70-todestag-kardinal-von-galens/ (Beitrag zum 70. Todestag Kardinal von Galens)
- https://stolpersteine.wdr.de/web/de/ (Verzeichnis der in Nordrhein-Westfalen verlegten Stolpersteine)
- https://www.gedenkstaette-hadamar.de/ (Website der Gedenkstätte Hadamar)
- http://www.gedenkstaette-grafeneck.de/startseite.html (Website der Gedenkstätte Grafeneck)
- https://gedenkstaette-bernburg.sachsen-anhalt.de/ (Website der Gedenkstätte Bernburg)
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