Unser Leben findet zunehmend im Internet statt. Wir informieren uns, erledigen unsere Einkäufe, buchen den nächsten Urlaub im virtuellen Reisebüro, kommunizieren mit Freunden und versprühen Liebe oder Hass in sozialen Netzwerken, um anderen Menschen zu imponieren, die wir oftmals nicht einmal persönlich kennen. Dabei geben wir vielfältige Daten weiter. Oft, ohne zu wissen, was damit geschieht. Ein Kommentar.
Natürlich muss man auf Facebook aufpassen, was man tut. Wenn ich im Internet kaufe, darf ich mich auch nicht wundern, ständig irgendwelche Produktempfehlungen via E-Mail oder in den sozialen Netzwerken zu erhalten. Und die NSA (National Security Agency) überwacht uns doch sowieso alle von den USA aus, oder? Seit 20 Jahren revolutioniert das Internet nicht nur unsere Kommunikation und verändert unser Leben grundlegend, es hat uns nachhaltig transparent gemacht. Man könnte fast meinen, wir leben in einer Hyperrealität. Einer Realität, in der die Grenzen zwischen Internet und dem „wahren“ Leben kaum noch zu erkennen sind bzw. gar nicht mehr existieren.
Mehr als nur Überwachung im Internet
Die Möglichkeiten des World Wide Webs werden vielfältig genutzt, jedoch nicht nur vom Endverbraucher, sondern ebenfalls von Geheimdiensten wie der NSA oder GHCQ (Government Communications Headquarters, dt: Regierungskommunikationszentrale), Firmen oder Hackern. Wer jetzt aber glaubt, er könne einer Überwachung der persönlichen Daten entgehen, indem er das Internet meidet, liegt falsch: Kameras, Fitnessarmbänder, Payback-Punkte, EC- und Kreditkarten, Datenschutz-Erklärungen, Newsletter oder das zweiwöchige Probeabo der Tageszeitung, das uns in der Stadt aufgedrückt wird. Das sind nur ein paar Beispiele, wie suggerierte Sicherheitstechnologien uns Einsicht und Kontrolle entziehen, wie Verbauchern die Konsumvorlieben entzogen werden, Angestellte evaluiert werden und das Individuum Stück für Stück seine Freiheit aufgibt.
Amazons permanente Überwachung für Zuhause
Eine neulich entfachte Diskussion zwischen einer Bekannten und mir über „Alexa“, ein Audio-Gerät, das mittels Spracherkennung und Mikrofonen einen digitalen Assistenten darstellt, ließ mich an unserem Umgang mit der permanenten Überwachung zweifeln. „Echo“ oder „Alexa“ greift auf verschiedene Wissensquellen zurück, ähnlich wie „Siri“ auf Apple-Geräten. Vom praktischen Helfer, der die Frage nach dem Wetter beantwortet, oder die aktuelle Verkehrslage wiedergibt, reagiert das Gerät auf jegliche Sprachaufforderungen. Es hört jederzeit und alles mit. Offiziell reagiert es jedoch nur, wenn das Wort „Echo“ oder „Alexa“ ausgesprochen wird. Was meine Gewohnheiten und Sicherheitsvorkehrungen Zuhause in den Händen von möglichen Hackern, die Zugriff auf die Daten des Gerätes haben könnten, ausmachen würden, will ich mir gar nicht erst vorstellen.
Fitness-Tracker als Weg in die “Gesundheitsdiktatur”?
„Ich habe doch nichts zu verbergen, außerdem bin ich sicherlich total uninteressant für solche Leute“, entgegnet mir meine Bekannte. Sie missverstand jedoch mein Kernproblem und ging einen Schritt weiter, indem sie mir den Wunsch offenbarte, sich einen Chip implantieren zu lassen, der ihre Gesundheit kontrollieren könne. Fitnessarmbänder – für mich die Vorstufe des zu implantierenden Chips – speichern schon jetzt tägliche Schrittzahlen, den Puls, das Schlafverhalten und die Essgewohnheiten. Der Trend zur Selbstvermessung scheint immer mehr verbreitet und auch unsere Krankenkassen bedienen sich dieser gesellschaftlichen Entwicklung. Bereits jetzt werden exklusive Prämien für die Anschaffung oder Verwendung solcher Tracker bei vielen Krankenkassen angeboten.
Laut einer Umfrage der Website www.yougov.de aus dem Jahr 2015 würde jeder dritte Bürger seine Daten bereitwillig der Krankenkasse übermitteln. Damit stünde einer “Gesundheitsdiktatur” nicht mehr viel im Wege. Und genau das ist mein Kernproblem: der Gedanke an eine Diktatur durch Abtretung unserer persönlichen Freiheitsrechte. Noch basiert viel auf freiwilliger Überlassung unserer Daten oder durch Nutzung gewisser Geräte. Ob das jedoch auch in Zukunft der Fall sein wird, wage ich stark zu bezweifeln. Für mich ist der Begriff der Freiheit in unserer heutigen Gesellschaft eine Illusion, in der Menschen bereitwillig ihre privaten Daten hergeben und damit auch gleichzeitig ihre Freiheit.
Innenministers Thomas de Maizière (CDU) suggerierte „Sicherheit“
Kameras in Warenhäusern ähneln für mich Spiegeln, in denen wir uns sehen. Sie sollen uns Sicherheit geben, als würde es in unserer Macht liegen zu bestimmen, was mit diesen Aufnahmen geschieht und was nicht. Die deutsche Rechtslage sieht vor, dass eine Überwachung kenntlich gemacht werden muss, beispielsweise durch ein Hinweisschild, und dass die Daten zu unserer eigenen Sicherheit dienen, also auch nur dafür zu nutzen sind und dann gelöscht werden sollen. Fälle wie die von US-Amerikaner Edward Snowden unterstreichen meine Zweifel an der Umsetzung dieses Gesetzes. Die Überwachung von SMS und Telefon reicht den Behörden auch hierzulande nicht. Ein im Juni 2017 festgelegter Beschluss zur Überwachung von WhatsApp und anderen Messengerdiensten ist der nächste Schritt in Richtung Enteignung gewesen. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) hält diesen Schritt für längst überfällig: „Es kann nicht sein, dass es für die Verfolgung von Straftaten faktisch rechtsfreie Räume gibt“, verkündete er nach dem Beschluss.
Nein, sehr geehrter Herr de Maizière, es kann nicht sein, dass wir unser aller Grundrecht einschränken müssen. Artikel 2 des deutschen Grundrechts besagt: „Die Freiheit der Person ist unverletzlich.“ Aber jemand der einer permanenten Überwachung unterzogen wird, kann niemals frei sein.
Es scheint, als habe der Kampf um die Grundrechte gerade erst begonnen. Liebe Politiker, liebe Entwickler neuer Technologien, Hand aufs Herz: Es geht nicht um unsere Sicherheit, auch nicht um Effizienz im Alltag. Vielmehr ist es die Abtretung unserer Rechte als Individuen und viel wichtiger noch ein Abschied von jenen Werten, die unsere Politik vorgibt beschützen zu wollen im Kampf gegen Terror. Gewalt wird in einer wahrhaftigen Demokratie niemals komplett zu verhindern sein, das ist nun mal der Preis, den wir alle für Freiheit hergeben müssen.
Wacht auf! Es geht um unser aller Freiheit
Also liebe Mitmenschen, wacht bitte endlich auf im Kampf um die Freiheit des Einzelnen, bevor wir uns sehr bald schon in einem autoritären Überwachungsstaat wiederfinden. Es geht nicht um eure Urlaubsbilder auf Facebook, Gespräche auf WhatsApp oder euren letzten Einkauf bei Rewe, es geht um unser aller Freiheit, für die vor nicht einmal 30 Jahren Menschen in Ostdeutschland zum Protest auf die Straße gegangen sind. Und wie das Beispiel der DDR zeigte, wird nicht einmal die totale Kontrolle in der Lage sein, jegliche Art von Gewalt zu unterbinden.
Tobias Stollen
Ein sehr wichtiges Thema, gut geschrieben.
Habnix
@Andrea Keller
Danke.
Johann Vollstedt
Die Überwachung wird im Kommentar gut verständlich gemacht, sodass die Problematik direkt bewusst ist. Bitte mehr davon hier 🙂
Hendrik Neuheider
Finde es gut, dass der schleichende Übergang zum Überwachungsstaat der vielen wohl egal ist hier mal klar gestellt wird!
Wäre zu schön, wenn mehr so denken würden..
Sofia
Danke fürs Teilen deiner Eindrücke! Werde den Artikel definitiv weiter verbreiten.