Bianca Vogel ist 53 Jahre alt und kam als Contergan-Kind, ohne Arme und mit Hüftschaden, zur Welt. Die zweifache Weltmeisterin im Dressurreiten gewann bei den Paralympics 2004 zweimal Silber. Sie lebt in Sinzig und arbeitet als Erzieherin.
Frau Vogel, Sie empfinden das Reiten als höchste Form der Harmonie. Wie sind Sie auf den Reitsport aufmerksam geworden?
Als ich zehn Jahre alt war, machte ich in Münster ein Selbstständigkeitstraining und dort durfte ich einmal reiten. Zu Hause ging ich mit meinen Eltern spazieren und wir konnten drei Reiter beobachten, von denen einer plötzlich rief: „Bianca, bleib stehen!“ Ich fühlte mich angesprochen, jedoch erklärte der Reiter mir, dass er sein Pferd gemeint habe, welches auch Bianca hieß. Daraufhin lud er mich ein, doch einfach mal auf dem Reiterhof vorbei zuschauen.
Wie unterscheidet sich Ihr persönliches Training vom Regelsport?
Ich muss disziplinierter arbeiten, weil ich immer auf die Hilfe anderer angewiesen bin, zum Beispiel beim Satteln des Pferdes. Durch ein kompensatorisches Hilfsmittel wurde mir das Reiten erleichtert, letztendlich habe ich aber auch viel meinem Instinkt und meinem Gefühl zum Pferd vertraut. Einen passenden Reitlehrer zu finden war nicht einfach, vieles brachte ich mir selber bei.
Wie kamen Sie dazu, den Reitsport nicht nur als gewöhnliches Hobby auszuüben, sondern auch an Turnieren teilzunehmen?
Mit 17 oder 18 Jahren packte mich der Ehrgeiz und eine Freundin fragte mich, wieso ich nicht an einem Behindertenreitturnier teilnehme. Erst war ich dagegen, da ich schon bei Regelturnieren ein paar Erfolge feiern konnte, aber schließlich überzeugte sie mich und ich fuhr hin. Ich ritt in Wiesbaden beim Pfingstturnier und wurde 1991 erste Weltmeisterin im Behindertensport, heute sagt man Parasport dazu. Zur dieser Zeit war der Behindertensport noch nicht so populär, oftmals kam die Verwechslung mit therapeutischem Reiten vor. Ich fand es toll, auf diese Weise die Werbetrommel zu rühren und dadurch vielleicht andere aus ihren Löchern locken zu können. Ich gehörte sozusagen zu den Pionieren dieser Sportart.
Durch Ihre Behinderung ist Ihr Alltag mit einem erheblichen Mehraufwand verbunden und Sie sind auf fremde Hilfe angewiesen. Können Sie sich durch das Arbeiten mit dem Pferd ein Stück weit von den Zwängen befreien, die Ihre Behinderung mit sich bringt?
Auf dem Pferderücken fühle ich mich frei und selbstständig, denn ich bin die Bestimmende, die Pilotin. Das ist mein höchstes Glück und ich kämpfe dafür, immer wieder dieses Ziel zu erreichen. In diesem Punkt sind alle Sportler gleich, denn wir verlangen von unseren Körpern Höchstleitungen.
Nachdem Sie schon auf zahlreiche Erfolge zurückblicken konnten, nahmen Sie 1996 an den Paralympics in Atlanta teil…
Wir bekamen fremde Pferde zu gelost und ich war natürlich auch ein bisschen aufgeregt. Eine Medaille zu gewinnen war für mich allerdings zweitrangig, denn ich empfand es als eine große Ehre und Chance, dabei sein zu dürfen. Das war einfach ein besonderes Gefühl.
Ist für Sie Ihr erstes Pferd Achlam oder eines Ihrer „Medaillenpferde“ das Wichtigere?
Keinem meiner Pferde möchte ich eine größere Bedeutung zuteilen als einem anderen. Jedes Pferd hat seine ganz eigene und persönliche Note und war zu der Zeit, als ich es besaß, genau richtig.
Im Kinofilm „Nobody is perfect“, der 2008 in die Kinos kam, spielten Sie eine der Hauptrollen. Wie wichtig ist es für Sie, die Öffentlichkeit auf die Conterganproblematik und insbesondere den Behindertensport aufmerksam zu machen?
In erste Linie geht es darum, möglichst viele Leute zu erreichen. Im Jahr 2011 musste ich aus gesundheitlichen Gründen mit dem Reiten aufhören. Ich habe viel geleistet, manchmal auch über meine eigenen Grenzen hinaus und musste viel einstecken. Das kann einerseits positiv, aber auch negativ sein. Für mich ist es beides, denn das Reiten hat mich gerettet. Mit meiner Lebenssituation möchte ich die Leute aufmerksamer und offener machen, allerdings auch Aufklärungsarbeit leisten. In dem Film mit zuspielen war dazu eine tolle Möglichkeit, denn ich geniere mich nicht, nackt zu sein und es war eine Chance, den Menschen zu zeigen, was die Pharmaindustrie angestellt hat. Der Film stellt deutlich, aber dennoch sensibel die Situation dar.
Sie haben sportlich viel erreicht, wie sind Sie so stark geworden?
Ich wollte zeigen, dass ich gut bin und gleichwertig wie andere. Erfolg macht stark und vor allem stolz, schließlich ist das Reiten mein Lebensinhalt.
Was erhoffen Sie sich für Ihre persönliche Zukunft und die des Behindertensports?
Ich wünsche mir, dass der Behindertensport gezielter unterstützt wird, zum Beispiel im Bereich Management oder auch psychische Betreuung. Für meine persönliche Zukunft erhoffe ich mir, dass ich in gewissen Bereichen noch eingesetzt werde, denn ich finde, dass ein alter Hase nicht einfach „weggeworfen“ werden sollte. Meinen Werdegang würde ich gerne zahlreicher mitteilen können oder Reitunterricht geben. Mein größter Wunsch wäre es, die Paralympics moderieren zu dürfen.
Frau Vogel, vielen Dank für das Gespräch!
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