Der belgische Priester Werenfried van Straaten setzte sich nach dem Zweiten Weltkrieg für Versöhnung unter den Völkern und vertriebene Deutsche ein. Seine schwierigste Mission: Zehn Jahre nach dem Massaker von Vinkt musste er vor den Hinterbliebenen der Opfer sprechen. Doch gerade hier konnte er seine Saat des Friedens ausbringen. Ein Bericht von Benedikt Bögle
Die Geschichte und Verantwortung Deutschlands steht uns gerade dieser Tage deutlich vor Augen: Während am 8. Mai des 75. Jahrestags des Endes des Zweiten Weltkriegs und der Befreiung Europas von der Nazi-Diktatur gedacht wurde, war schon am darauffolgenden Tag „Europatag“. Am 9. Mai 1950 hatte der französische Politiker Robert Schumann eine Rede gehalten, in der er seine Vision von einem neuen, friedlichen Europa schilderte und damit einen wichtigen Grundstein für die Europäische Union legte. Eben diese Union mutet aber doch bisweilen wie ein Wunder an: Nur Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg konnten sich die Länder Europas in Frieden zusammenschließen, beseelt von dem Willen, gemeinsam an der Zukunft dieses Kontinents zu arbeiten.
Friede statt Hass
An die Stelle des Hasses trat das Miteinander, an die Stelle des Krieges der Frieden. Viele Menschen haben an dieser Vision mitgearbeitet. Einer von ihnen war der Prämonstratenser-Pater Werenfried van Straaten. Der Ordensmann gründete 1944 eine „Anti-Hass-Liga“: Nach dem Ende der deutschen Besatzung in Belgien und den Niederlanden sah van Straaten die Gefahr, dass sich neuer Hass in Europa breitmachen könnte. Wer der Liga beitrat, verpflichtete sich, mindestens einmal am Tag ein Gebet für seinen schlimmsten Feind zu sprechen – und damit ein Wort aus dem Vaterunser wahr zu machen: „Wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“.
Hilfe für vertriebene Deutsche
Als 1945 vierzehn Millionen Deutsche ihre Heimat verlassen mussten, war der Pater alarmiert: Die Heimatvertriebenen lebten unter schwierigen Bedingungen, fern ihrem Zuhause. Also veröffentlichte Pater Werenfried van Straaten einen Zeitungsartikel, in dem er kurz vor Weihnachten Parallelen zwischen der Heiligen Familie auf der Suche nach einer Herberge und den vertriebenen Deutschen zog. Die Resonanz war groß, viele wollten helfen. 1948 sammelte der Prämonstratenser Speck für die Heimatvertriebenen, später nannte man ihn daher den „Speckpater“.
Das Massaker von Vinkt
1950, in dem Jahr als Schumann seine berühmte Rede hielt, hatte van Straaten in Vinkt zu sprechen. Zehn Jahre zuvor hatten die deutschen Besatzer in dem belgischen Dorf ein Massaker angerichtet. Die deutschen Truppen richteten 86 Personen hin – alles Zivilisten. Das jüngste Opfer war erst 13 Jahre alt. Beinahe jeder in Vinkt hatte einen Angehörigen verloren. Zu seinem geplanten Vortrag wollte zunächst keiner kommen, das hatte ihm der Pfarrer des Dorfes schon mitgeteilt. Nach dem, was geschehen war, wollte niemand seine Bitten für leidende Deutsche hören. Am Sonntag predigte van Straaten in allen Gottesdiensten. Seine Worte müssen Eindruck hinterlassen haben: Der abendliche Vortrag war dann auch voll. Die Menschen gaben Geld, spendeten für die Deutschen und ihre Priester. „Das war Vinkt! Der Mensch ist besser, als wir denken!“, erinnerte sich Pater Werenfried van Straaten später. 2003 starb Werenfried van Straaten. Er hatte das Hilfswerk „Kirche in Not“ gegründet, das sich heute weltweit für verfolgte und leidende Christen einsetzt. Sein Leben lang setze sich Werenfried van Straaten für Frieden unter den Völkern ein. „Kirche in Not“ setzt dieses Engagement fort.
Dieser Beitrag entstand in freundlicher Kooperation mit Kirche in Not.
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