Die Finnen haben es getestet, eine Lotterie verlost es und in der Schweiz wurde sogar über eine Einführung abgestimmt – das bedingungslose Grundeinkommen ist in aller Munde! Dabei ist die Finanzierungsfrage nicht unser größtes Problem. Es geht vielmehr darum, an welches Menschenbild wir glauben. Ein Kommentar.

Schon seit einigen Jahren diskutieren wir in ganz Europa über das bedingungslose Grundeinkommen (kurz: BGE). Vor ein paar Jahren hat die spanische Regierung zwar ein Grundeinkommen eingeführt, doch sie koppelt es weiter an Bedingungen. Dabei ist es eigentlich an der Zeit für ein echtes BGE!
Warum das BGE notwendig ist
Die fortschreitende Digitalisierung bedroht vor allem in der westlichen Welt immer mehr Berufe. Bus- und Taxifahrer könnten schon bald aufgrund des autonomen Fahrens überflüssig werden. Industrielle Fertigungsprozesse sind bereits weitreichend automatisiert und so werden auf kurz oder lang auch die letzten Bandarbeiter verschwinden. Das Online-Banking bedroht zudem Berufe im Bankwesen und den Urlaub bucht sowieso jeder im Internet selbst, anstatt in ein Reisebüro zu gehen. Droht uns also bald eine Massenarbeitslosigkeit?
Gegner dieser Ansicht argumentieren, die Digitalisierung schaffe genügend neue Berufe. Doch seien wir ehrlich: Wird ein Busfahrer auf einmal Robotik-Ingenieur? Oder schult die Tourismuskauffrau auf Virtual Reality Design um? Hier bahnt sich vielmehr ein Fachkräftemangel an. Doch gerade Menschen im fortgeschrittenen Alter werden noch vor Erreichen ihrer ohnehin schon unsicheren Rente unweigerlich arbeitslos werden. Der Staat hat damit die Aufgabe seine Bürger finanziell abzusichern. Ist doch klasse, dass es bei uns Hartz IV gibt – oder etwa nicht?
Gesellschaftliche Stigmatisierung von Arbeitslosen
Abgesehen davon, dass der Hartz-IV-Regelsatz recht gering ausfällt, führt das Abrutschen in Hartz IV oder die Arbeitslosigkeit ganz allgemein in unserer Gesellschaft zu einer Stigmatisierung. Wenn von Arbeitslosen oder Hartz IV die Rede ist, denken viele sofort an Menschen, die nachmittags auf diversen Privatsendern zur Schau gestellt werden. Arbeitslosigkeit ist gerade in Deutschland verpönt und stark negativ konnotiert.
Würde nun aber jeder das gleiche bedingungslose Grundeinkommen erhalten, nähme auch die Stigmatisierung der Arbeitslosigkeit ab. Denn dieses Geld bekämen sowohl die 136 in Deutschland lebenden Milliardäre[1] als auch der Ärmste unter den Armen. Da dieses Einkommen steuerfrei und bedingungslos ist, kann sich, wer Arbeit hat, weiterhin etwas dazuverdienen. Aber bei einem ausreichend hohen BGE muss niemand mehr einen Job annehmen, der ihm eigentlich gar nicht gefällt. Keiner fährt mehr morgens mit Bauchschmerzen zur Arbeit. Das BGE als menschenwürdige Absicherung ermöglicht jedem, den Beruf zu wählen, der ihm Freude bereitet. Und dies muss auch so sein, denn die freie Berufswahl ist nach Artikel 12 unserer Verfassung ein Grundrecht!
Da das bedingungslose Grundeinkommen jeder erhält, werden Grundsicherung, Hartz IV und Arbeitslosengeld überhaupt obsolet. Selbst Rentner würden weiterhin BGE beziehen. Somit fällt für den Staat ein großer bürokratischer Aufwand weg. Es müssen keine Anträge mehr geprüft und Bezüge berechnet werden. Durch das BGE ist sowieso jeder abgesichert. Das durch den Wegfall der Sozialleistungen eingesparte Geld kann zu einer teilweisen Finanzierung des Grundeinkommens beitragen.
Traumjob Kanalreiniger – was wird aus unbeliebten Jobs?
Tatsächlich gibt es Berufe, die nicht wirklich beliebt sind, aber nicht automatisiert werden können beziehungsweise sollten. Gerade das Pflegepersonal würde sich bei der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens wahrscheinlich zweimal überlegen, ob es seinen körperlich harten Job für das derzeitige geringe Gehalt weiterhin macht oder für ungefähr das gleiche Geld zuhause bleibt. Dennoch möchte wohl niemand, dass die eigenen Eltern im Altenheim von einem Pflegeroboter versorgt werden, was in Japan bereits teilweise Realität ist.
Da es Berufe gibt, für die zwischenmenschliche Interaktion unerlässlich ist, müssen diese Arbeiten in Zukunft besser oder sogar überdurchschnittlich gut bezahlt werden. Verdient haben vor allem die Pflegerinnen und Pfleger es sowieso absolut. Ähnliches wird auch in unbeliebten Tätigkeiten wie der Müll- oder Abwasserentsorgung der Fall sein. Wahrscheinlich wird auch das echte Handwerk höher geschätzt werden. Es macht einen Unterschied, ob ich ein Regal aus Pressspan bei Ikea kaufe oder meine Bücher in eine in Handarbeit gefertigte Etagere aus dunkler Eiche stelle.
„Warum soll jemand für’s Nichtstun bezahlt werden?“
In der Schweiz war es im Sommer 2016 endlich so weit: Es kam zu einer Volksabstimmung über die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Das Ergebnis fiel deutlich aus – zu Ungunsten des BGE. Eine überwältigende Mehrheit von knapp 77% stimmte gegen eine Einführung.[2] Doch woher rührt diese Ablehnung des BGE in der Bevölkerung?
Im deutschsprachigen Raum stellt man in der Diskussion um das BGE fast reflexartig zwei Fragen: „Wer soll das bezahlen?“ und „Warum soll jemand für’s Nichtstun bezahlt werden?“. Die Finanzierungsfrage ist durchaus berechtigt. Allerdings könnte eine umfassende Finanztransaktionssteuer hier Abhilfe schaffen. Die zweite Frage ist viel interessanter, denn sie impliziert ein gewisses Menschenbild. Wenn man fragt, warum jemand für’s Nichtstun bezahlt werden solle, geht man davon aus, dass erstens nur Lohnarbeit echte Arbeit ist und zweitens jemand der ein BGE bekommt, aufhört zu arbeiten.
Hier plädiere ich eindeutig für ein positiveres Menschenbild. Vielleicht wird der eine oder andere die Sicherheit des BGE nutzen, um sich voll und ganz einem Ehrenamt zu widmen. Die Vereine in Deutschland suchen händeringend nach solchen Menschen. Vordenker mit guten Ideen können diese verwirklichen und beispielsweise Start-ups gründen. Insgesamt wird der Weg in die Selbstständigkeit mit einem geringeren Risiko verbunden sein. In Anbetracht der Tatsache, dass der klassische Arbeiter ausstirbt, wird Selbstständigkeit in Zukunft keine Seltenheit mehr in der Arbeitswelt darstellen.
Der Mensch ist ein kreatives Wesen, das Freude daran hat, seine Umwelt zu gestalten. Das hat die Geschichte deutlich gezeigt. Ein BGE wird dem keinen Abbruch tun, sondern ganz im Gegenteil den Menschen völlig neue Entfaltungsmöglichkeiten eröffnen. Geben wir ihnen die Chance – am besten jetzt!
Einzelnachweise
1. Forbes: Billionaires 2021.
2. Schweizer Bundeskanzlei: Vorlage Nr. 601, Resultate in den Kantonen.
Das BGE kann aktuelle in der BRD nicht eingeführt werden.
Dazu zähle ich verschiedene Punkte auf:
1. Die Finanzierung wäre auf lange Sicht nicht realisierbar, da die Effekte des BGE sich negativ auf unsere steuerlichen Einnahmen auswirkt. Das gesamte Steuer- und Abgabensystem müsste dafür geändert werden.
2. Der globale Markt fordert täglich Deutschland heraus, da wir noch stark in der Digitalisierung anderen Ländern hinterher eifern. Für die Vollautomatisierung ist dies aber zwingend notwendig.
3. Unser statisches und nicht einheitliche Bildungssystem erschwert das Herranreifen von Kreativität und Eigenverantwortung. Somit können sich notwendige Qualitäten im Land nur schlecht entwickeln, die Deutschland während des BGE einen neuen Stellenwert gibt.
4. Die Regierung, welche gespickt ist von Inkompetenz und Missmanagement, ist aktuell nicht in der Lage einen Beschluss fürs BGE zu erstellen.
Danke für Deinen Kommentar. Ich stimme Dir in allen Punkten zu und ziehe dennoch den Schluss, dass das BGE notwendig bleibt.
Zu 1. Ganz offensichtlich muss zur Finanzierung des BGE unser Steuersystem geändert werden. Eine Finanztransaktionssteuer wäre hier eine Möglichkeit, die allerdings mindestens europaweit eingeführt werden muss. Allerdings ist die Finanzierungsfrage nicht Gegenstand dieses Artikels.
Zu 2. Mir ist bewusst, dass Deutschland deutlich weniger digitalisiert ist als andere Industrienationen. Weit voraus sind uns – wie so oft – die Skandinavier. Auch aufgrund deren Sozialpolitik kann ich mir vorstellen, dass ein BGE dort zuerst eingeführt wird.
Zu 3. Unser Bildungssystem muss sich grundlegend ändern, um junge Menschen auf die kommende neue Arbeitswelt vorzubereiten. Das ist richtig.
Zu 4. Ich sehe derzeit keine deutsche Partei, die den Mut hätte, ein BGE einzuführen. Das bedeutet nicht, dass es nicht trotzdem an der Zeit ist.
Wie Du richtig erkannt hast, haben wir in Deutschland einiges verschlafen (Digitalisierung, Umstrukturierung des Bildungssystems). Das darf uns mit einer menschenwürdigen finanziellen Absicherung der Bürger nicht auch noch passieren. Immer ziehen wir nach, wann sind wir endlich wieder Vorreiter?
Eines noch: Ich möchte in der Diskussion um das BGE den Menschen in den Mittelpunkt rücken. Wenn wir nur über wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit oder Digitalisierungsrückstand reden, kommt der Mensch unter die Räder. Es geht um ihn, um uns und wie wir leben wollen.
Mich würde zu folgenden Punkten Ihre Meinung interessieren.
– Wer soll das BGE bekommen ? Nur deutsche Staatsbürger oder auch Migranten ?
Wenn nur Deutsche, wird es zu einer Zweiklassengesellschaft kommen, die wir nicht wollen. Wenn es jeder bekommen soll wird es vsl. solange zu einer Migrationsbewegung nach D. kommen wie es ein Wohlstandsgefälle zu anderen Ländern gibt oder bis die Aufnahmebereitschaft erschöpft ist.
– Höhere Einkommen sind immer mit höheren Preisen verbunden, s. Schweiz. Identische Produkte kosten dort mehr als hier. Warum sollte der Handel auf diese Differenz verzichten wenn er weiss das die Kaufkraft, nach Einführung des BGE, ähnlich wie in der Schweiz ist ? Dann würden aus jetzt 1200€ vielleicht 1000€.
– Bei einigen wird das BGE reichen bei anderen nicht (z.B bei Mietrückständen und Schulden). Lässt der Staat Obdachlosigkeit zu oder nicht ? Springt er bei fehlender Krank.vers. ein oder nicht ?
– Ich weiss aus eigener Erfahrung wie schwer es ist wieder um 5.30 h aufzustehen um 2h später in der Arbeit zu sein wenn man einmal bis 2-3 h wach war und dann bis 12.00h geschlafen hat.
Noch schwerer ist es für die, die einmal angefangen haben sich ab 12.00 h mit ihren Freunden zu treffen und dann die ersten Biere zu zwitschern. Wer in diesem Kreislauf einmal drin ist kommt aus eigener Kraft kaum noch heraus. In solchen Fällen würde dann, der manchmal notwendige Antrieb, von aussen fehlen.
Ich danke auch für Ihren Kommentar.
Eine Auszahlung des BGE ist – auch auf lange Sicht – nur für die Staatsbürger des jeweiligen Landes denkbar. Dennoch muss Migranten die Möglichkeit einer Einbürgerung offen bleiben, die dann ein Anrecht auf das BGE nach sich zieht. Für eine Einbürgerung ist schon heute eine gewisse Bildung und Motivation erforderlich. Daran sollte sich nichts ändern. Die Höhe des BGE, sollte es zumindest europaweit erreicht werden, wird aufgrund der unterschiedlichen Lebenshaltungskosten in verschiedenen Staaten unterschiedlich ausfallen. Um zu verhindern, dass ein höheres BGE im Ausland gegenüber dem Mutterland einen Anreiz zur Einwanderung schafft, muss es leider Gottes den jeweiligen Staatsbürgern vorbehalten bleiben.
Die Preissteigerung ist eines der größten Probleme, die das BGE mit sich bringt. Bei der Finanzierung des BGE durch eine europaweite Finanztransaktionssteuer ist die Senkung der Mehrwertsteuer womöglich ein probates Mittel, um die Preise stabil zu halten. Eine Erhöhung der Kaufkraft kann aber sogar zu einem Preisverfall führen, da aufgrund der Erschwinglichkeit mehr Käufer auf das jeweilige Produkt kommen und so der Gewinn bei gleichbleibendem Preis steigt. Rabattaktionen und Angebote oder dauerhafte Reduzierungen sind dann denkbar, da weiterhin eine Konkurrenz verschiedener Wettbewerber besteht.
Die Höhe eines BGE steht noch offen. Hierzu möchte ich ungern Vorschläge machen, da zuvor eine ausgiebige Kalkulation notwendig ist. Über seine Verhältnisse kann auch heute niemand leben. Dass das jetzige System vor Obdachlosigkeit schützt, ist ein Irrglaube. Ein BGE, dass deutlich über der Grundsicherung liegt, ermöglicht es jedem am Wohlstand unseres Landes teilzuhaben. Ein BGE wird trotzdem Obdachlosigkeit nicht verhindern, aber verringern können. In puncto Krankenversicherung bin ich Anhänger einer Bürgerversicherung.
Ihr letzter Punkt gefällt mir sehr. Er berührt die große Frage: Was passiert wenn jemand arbeitslos wird? Wird er destruktiv oder wird er kreativ? Beides ist denkbar. Ich glaube allerdings, dass vieles für den Hang des Menschen zur Kreativität spricht. Mit einer finanziellen Absicherung kann sich jeder Mensch ganz seiner Passion widmen bzw. eine Leidenschaft finden, die ihn erfüllt. Wie viel Geld sie schließlich einbringt, ist durch das BGE eher zweitrangig.
Da Sie Alkoholismus ansprechen: dieser ist ein Krankheitsbild. Eine Alkoholabhängigkeit wird das BGE nicht verhindern können. Eine Argumentation damit geht also völlig fehl.
Ich hoffe, ich konnte bei Ihnen ein wenig Optimismus gegenüber der Zukunft und dem Menschen wecken. Um mit Goethe zu sprechen: “Edel sei der Mensch, hilfreich und gut! Denn das allein unterscheidet ihn von allen Wesen, die wir kennen.” Kehren wir zu dieser humanistischen Weltanschauung zurück, die älter ist als der Pessimismus und ihre Wurzeln schon in der Antike hat.
Vielen Dank Herr Rolfs für Ihre ausführliche Antwort !
ich bin zu 100% , also bedingungslos 🙂 , optimistisch was die Zukunft und die Menschheit angeht. Ich möchte aber noch zwei Punkte anmerken.
Es gibt kein Recht auf eine Wohnung aber ein Recht auf Unterbringung. Spätestens wenn Kinder involviert sind kann der Staat keine Obdachlosigkeit zulassen. Eine Änderung wäre eine Verschlechterung der Verhältnisse.
Sie trennen scharf zwischen Menschen mit und ohne Alkoholabhängigkeit, aber die Grenzen sind fliessend und die Problematik für die Betroffenen selber nicht immer erkennbar.
Trotz meiner Bedenken finde ich die Idee ausgesprochen sympatisch und glaube auch das sie irgendwann kommen wird. Auch wenn es sich nicht so angehört hat, aber ich drücke Ihnen die Daumen !
Vielleicht ist es die Chance, dass sich vieles – nicht alles, aber vieles – zum Guten wendet. Haben wir Menschen den Mut zu einer grundlegenden Veränderung?
Was hindert / behindert?
Nicht an der Finanzierung, an unserem „Menschenbild“ scheitert es. Die Politik macht es vor – Spaltung / wir sind die Guten und die Anderen sind die Bösen. Spaltung aller Orts – so wie auch – macht euch die Erde untertan. Zur Erde / zur Mutter Natur gehören wir Menschen auch, und haben es vergessen – „aus dem Staub kommst du, im Staub wirst du enden“ – dies ist kein religiöser Spruch, sondern eine „Volksweisheit“, die offensichtlich verloren gegangen ist.
Abgesehen davon, dass das Grundeinkommen von unseren Mitmenschen, die Politiker*innen sind, unerwünscht ist, da sie um ihre Verteilungsmacht und damit Kontrollmacht fürchten, ist es auch von Mitmenschen unerwünscht, die es selbst brauchen würden, weil Neid unsere Gesellschaft spaltet. Gestern habe ich mich mit einem Mitmenschen aus meiner Nachbarschaft gesprochen. Er möchte es nicht, weil dann niemand mehr arbeiten geht.
Jaja, er selbst natürlich schon – aber alle anderen nicht …
Zumindest ist es eine Chance, dass sich unser aller Leben zum Guten (hin)wendet …