493 Mal Corona. Genauso oft verwendete die Wochenzeitung „Die Zeit” den Begriff „Corona” im Zeitraum vom 30. Januar 2020 bis zum 29. April 2020. Betrachtet man, inwiefern sich die Berichterstattung durch die Pandemie verändert, ist diese Zahl ein guter Anhaltspunkt. Denn: Die Zahl sagt nicht nur aus, wie oft das Coronavirus erwähnt wurde, sondern auch, wie oft andere relevanten Themen nicht erwähnt wurden. Sie ist ein Indikator für die Veränderung der Nachrichtenberichterstattung seit Beginn der Pandemie.
Es wird momentan permanent über das Coronavirus und seine Folgen diskutiert. Über (zu frühe) Lockerungen, über die Maskenpflicht, über Freiheitsberaubungen durch Ausgangsbeschränkungen und darüber, wie gefährlich das Virus tatsächlich ist. Zu Recht. Der Informationsbedarf der Bevölkerung über Covid-19 ist riesig. Genau deshalb müssen Medien ihrem Informationsauftrag auch nachkommen. Es erscheinen in regelmäßigen Abständen Podcasts, in denen Virologen interviewt werden, die Bundespressekonferenz mit dem Chef des Robert-Koch-Instituts informierte bis zur vergangenen Woche mehrmals wöchentlich über die aktuellen Fallzahlen und Maßnahmen, und die Tageszeitungen sowie die Fernsehnachrichten übermitteln mehrmals täglich relevante Corona-News.
Aber so wichtig diese Informationen für uns alle sind, erdrücken sie durch ihre Präsenz nicht regelrecht andere, ebenso wichtige, diskussionsreife Themen? Wird die Waage zwischen Information und Sensation überhaupt gehalten? Und werden die Medien ihrem ursprünglichen Auftrag wirklich noch gerecht?
Information versus Sensation
Sofern das informierende Angebot genutzt wird, kann es zu einer aufgeklärten Gesellschaft führen. Die schnellen Entscheidungen der Regierung werden über Pressekonferenzen veröffentlicht und die Medien arbeiten dies im Rahmen ihres Informationsauftrages für die Bürger*innen auf. Sie tragen aber auch eine gewisse Verantwortung für die Ängste und Sorgen der Bevölkerung, was sie ebenso zu einer sachgerechten Berichterstattung verpflichtet. Insofern ist eine Zuspitzung der Wortwahl in der aktuellen Situation nicht nötig.
Im Pressekodex, der ethische journalistische Grundregeln vereint, steht außerdem unter Ziffer 14: „Bei Berichten über medizinische Themen ist eine unangemessen sensationelle Darstellung zu vermeiden, die unbegründete Befürchtungen oder Hoffnungen beim Leser erwecken könnte”. Betrachtet man die momentane und vor allem die bereits vergangene Berichterstattung, fällt auf, dass manches Mal die Waage zwischen Sensation und Information nicht gehalten wurde.
Man wurde mit Eilmeldungen bombardiert, die in keinster Weise den Status einer Eilmeldung verdient hätten, der Anteil der Corona Nachrichten in der Tagesschau war überwältigend und die gewählten Überschriften mancher Tageszeitungen waren reißerischer denn je. Die Kritik, die Medien würden Ängste schüren, ist sicher deshalb teilweise begründet. Je öfter über ein beunruhigendes Thema berichtet wird, desto schneller verbreitet sich auch ein gewisses Unbehagen in der Bevölkerung. Zu weniger Angst führt dies definitiv nicht. Man muss allerdings dazu sagen, dass sich hinter vielen der provokanten Überschriften gut recherchierte, sachliche und fundierte Beiträge verbergen. Insofern wurde meist gute Recherche betrieben. Die omnipräsente Corona-Berichterstattung schiebt jedoch einiges in den Hintergrund.
Themenvielfalt und Kontrolle
Der Informationsauftrag der Medien beschränkt sich aber nicht nur auf ein bestimmtes, gerade besonders bedeutsames Thema. Andere politisch und gesellschaftlich relevanten Ereignisse sollten ebenfalls einen Platz finden. Christian Laesser, ein Interaktionsdesigner aus Berlin, analysiert seit November 2019 die Printausgabe von „Die Zeit” hinsichtlich des Anteils der Coronaberichterstattung. Neben der Anzahl der Erwähnungen jeglicher Begriffe in Zusammenhang mit dem Virus, stellt Herr Laesser dar, wo genau welche Begriffe zu finden sind. Nahezu in jedem Ressort wurde die Pandemie zum Thema. Das bedeutet, dass viele andere relevante Themen schlichtweg nicht aufbereitet werden. Das schränkt die Themenvielfalt und die gesellschaftliche Diskussion enorm ein.
Die Medien besitzen zusätzlich eine wichtige Kritik- und Kontrollfunktion. Gerade in Bezug auf getroffene Maßnahmen ist es die Aufgabe der Journalist*innen diese zu hinterfragen. Beispielweise finden Pressekonferenzen momentan ohne sie statt. Die Fragen werden vorher schriftlich eingereicht und während der Konferenz beantwortet. Dies schließt ein konkretes Nachfragen aus und ist ein Eingriff in die Pressefreiheit. Hier hätte seitens der Journalist*innen sicherlich mehr diskutiert werden müssen. Gleiches gilt für die Ausgangsbeschränkungen. Gleichwohl die getroffenen Maßnahmen richtig und wichtig waren, ist der Auftrag der Medien nicht die bloße Wiedergabe politischer Entscheidungen, sondern das kritische Auseinandersetzen mit ihnen.
Aufgaben für die Zukunft
Mittlerweile hat sich die Situation etwas entspannt. Die Podcasts werden unregelmäßiger und die Berichterstattung etwas diversifizierter. Zweifelhaft ist dennoch, dass manche Zeitungen, wie beispielsweise „Zeit-Online“, kein gesondertes Corona-Ressort haben, sondern ein gesondertes Ressort mit Nachrichten, „die nichts oder nur wenig mit der Corona-Pandemie zu tun haben“. Ausgeglichene Berichterstattung sieht anders aus. Es besteht allerdings noch immer eine enorme Notwendigkeit über die Pandemie zu berichten.
Ein Grund dafür ist das sogenannte Präventionsparadox. Es beschreibt die Nicht-Sichtbarkeit des ausgebliebenen Schadens aufgrund der bisher getroffenen Maßnahmen. Die Intensivbetten sind nicht leer, weil alles gar nicht so schlimm ist, sondern, weil unser Vorgehen gegen das Virus funktioniert. In unserer momentanen Situation nährt dieses Phänomen den Boden für Verschwörungstheorien und unterstützt nebenbei auch die Meinung derer, die den Lock-Down sowieso für nicht nötig hielten. Verschwörungstheorien und damit einhergehend auch Falschmeldungen schleichen sich ganz allmählich in unseren Alltag ein. Sie verbreiten sich durch Soziale Medien vergleichsweise schnell und manchmal sogar unbemerkt. Es führt dazu, dass sich die Sicht auf die Pandemie verschiebt. Das ist ein immenses Problem und zeigt zugleich wie wichtig funktionierender Journalismus ist. Faktencheck-Redaktionen können jetzt einen wertvollen Beitrag leisten und tun es auch schon. Über Verschwörungstheorien muss aufgeklärt werden und Falschmeldungen müssen als solche entlarvt werden. Das ist das Gebot der Stunde und sollte auch in Zukunft mehr Beachtung finden. Dies gilt gleichermaßen für alle Tages- oder auch Wochen-Zeitungen, von der Bild bis hin zur FAZ.
Journalismus ist systemrelevant, er sollte sich in dieser Rolle aber nicht selbst vergessen.
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