Die Stadtviertel Manhattans sind abwechslungsreich. So spaziert man beispielsweise in einem Moment an den wunderschönen Wohnhäusern in West Village vorbei und fragt sich, ob man sich eines von diesen wohl jemals leisten können wird, ehe man im nächsten Moment auch schon das trendige Soho mit seinen schicken Schaufensterauslagen und den gusseisernen Gebäuden durchquert. Noch bevor man sich in eines der vielen Geschäfte verirrt, betrachtet man auch schon fasziniert die ungewohnten Gemüsesorten am Stand eines Asiaten mit Strohhut in China Town, nur um sich ein paar Schritte weiter plötzlich schon wieder an einem ganz anderen Ort zu befinden.
Einwanderer, soziale Brennpunkte und die Mafia
Buntes Treiben auf der Straße, zahlreiche italienische Restaurants. Wo ist man denn hier gelandet? Der Schriftzug hoch oben über den Köpfen der Passanten verrät es: „Welcome to Little Italy“. Italien in New York? Das muss man sich doch gleich mal etwas genauer anschauen. In diesem Sinne: Willkommen in Italien! Oder etwa doch nicht?
Das „kleine Italien“ befindet sich in Lower Manhattan und verdankt seinen Namen den ungefähr 40.000 Italienern, die sich im späten 19. Jahrhundert hier angesiedelt haben. Die ersten unter ihnen waren überwiegend Kinder, die von ihren Eltern nach New York geschickt wurden um als Wandermusiker für die Familie Geld zu verdienen. Mit der Zeit stieg der italienische Einwandererzustrom stetig an, sodass bereits im Jahr 1920 ungefähr 400.000 Italiener im Big Apple lebten. Diese zogen in siebzehn Blocks rund um die Mulberry Street ihr eigenes Viertel auf und wer Filme wie „Der Pate“ oder „Gangs of New York“ kennt, hat eine gewisse Vorstellung davon, wie es in Little Italy einst zuging. Insbesondere das Armenviertel „Five Points“ wurde von der Mafia kontrolliert und war vom organisierten Verbrechen gezeichnet.
Auch wenn die Mafia heutzutage noch nicht vollständig aus New York verschwunden sein soll, ist von dieser Kulisse inzwischen nicht mehr viel übrig. Was geblieben ist, sind geführte Touren zu überteuerten Preisen, die einen Einblick in den Aufstieg und Fall der amerikanischen Mafia und Geschichten über die blutigen Auseinandersetzungen der verfeindeten Familien Little Italy’s versprechen.
Als die Italiener aus Little Italy verschwanden
Doch in der Realität wird das kleine Italien seinem Namen inzwischen nicht mehr ganz gerecht. Lediglich fünf Prozent der heutigen Bewohner sind tatsächlich noch italienisch-stämmig. Denn die Gentrifizierung machte auch vor Little Italy keinen Halt. Steigende Mietpreise vertrieben die Bewohner in günstigere Gebiete, umliegende Stadtteile breiteten sich weiter aus und schluckten das ehemalige italienische Viertel. Nachdem im Jahr 1965 zudem Einwanderungsbestimmungen gelockert wurden, siedelten sich vermehrt Chinesen im benachbarten China Town an, welches nach und nach das kleine Italien verdrängte. Inzwischen erstreckt es sich gerade mal noch über drei Blocks rund um die Mulberry Street.
Wer also ein authentisches ‚Bella-Italia‘-Feeling erwartet, wird dieses hier nur spärlich finden, obwohl die vielen italienischen Restaurants und Shops mit italienischer Küche, Musik und den omnipräsenten italienischen Nationalfarben ihr Bestes geben, den Touristen gerade ein solches vorzuspielen. So nett ein Ausflug nach Little Italy auch klingen mag, ist das Viertel unter New Yorkern heute allerdings weniger für seine italienisch-stämmige Bevölkerung bekannt, sondern vielmehr als Touristenfalle, die nichtsdestotrotz gute und günstige italienische Küche bereithält. Denn ein Restaurant reiht sich an das nächste, wobei jedes von ihnen die vorzüglichsten italienischen Köstlichkeiten anbietet und das sogar zu moderaten Preisen. Doch auch wenn man hier bereits ein Mittagsmenü bestehend aus Vor- und Hauptspeise für elf Dollar – umgerechnet rund zehn Euro – findet, sucht man Italiener oft vergebens.
Ein Spaziergang durch Little Italy lohnt sich aber trotzdem. Denn seien wir mal ehrlich, ein kleines „Ciao Bella“ oder ein Teller „Tagliatelle alla Boscaiola“ haben noch niemanden geschadet. Doch dann reicht der kleine Ausflug eigentlich schon wieder und mit einem „Arrivederci, Little Italy!“ verabschiedet man sich in den nächsten New Yorker Stadtteil, gespannt darauf, was dieser wohl zu bieten hat.
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