Der CSD Berlin steht in diesem Jahr mit einem besonders provokanten Motto: „Danke für nix!“ kritisiert die Stagnation in der gesellschaftlichen und rechtlichen Etablierung der LSBTI* Community. Was hat sich seit dem ersten CSD verändert und vor allem was nicht? Eine Bestandsaufnahme vor Ort von Pia Steckelbach.
Aufstand mit Symbolwirkung
New York in den 60er Jahren: in den USA toben die Proteste gegen den Vietnamkrieg, die Hippiebewegung lebt Sex, Drugs & Rock & Roll. Ein neuer Zeitgeist bewegt die Gesellschaft. Nur die Homo- und Transsexuellen im Land leben meist immer noch versteckt und werden geächtet. In den einschlägigen Schwulenbars der Stadt finden regelmäßig Razzien der Polizei statt, wer sich in eine der Bars wagt, muss damit rechnen, verhaftet zu werden. Ärger staut sich in der homo- und transsexuellen Szene auf – die Unzufriedenheit mit dem gesellschaftlichen Status und der Polizeigewalt entlädt sich am 28. Juni 1969. In einer Schwulenbar in der Christopher Street wehren sich die Homosexuellen zum ersten Mal gegen die Polizei. Demonstranten, Sprechchöre und Straßenschlachten: Polizisten verbarrikadieren sich in der Bar, draußen schmeißt die wütende Menge mit allem, was sie in die Hände bekommt auf die Einsatzkräfte. Erst eine Spezialeinheit kann die entschlossenen Lesben, Schwulen und Transsexuellen unter ihre Kontrolle bringen. Der sogenannte Stonewall-Aufstand legt damit den Grundstein für die Gay Pride Bewegungen in den USA – die Protestwelle schwappt schnell auf andere Länder und Kontinente über. Aus einer Schwulenbar in der New Yorker Christopher Street ist ein weltweites Symbol für die Emanzipation der queer Community geworden. Erst in den späten 70er Jahren kommt der Christopher Street Day nach Deutschland. Damals besteht die wichtigste Forderung in der Abschaffung des §175, ein Grundsatz aus der Nazizeit, der homosexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellt. Am letzten Samstag des Juni 1979, zehn Jahre nach dem Stonewall-Protest, treffen sich rund 450 Lesben, Schwule, Transsexuelle und Aktivisten, um den ersten CSD-Straßenumzug zu proben. Ihre Anliegen richten sie auch an die eigene Community: Lesben und Schwule sollen sich endlich zu ihrer eigenen Homosexualität bekennen. Die Stimmung ist ausgelassen und fröhlich, endlich braucht man sich bei Demonstrationen nicht mehr zu verstecken. Beim diesjährigen CSD werden rund eine Millionen Teilnehmer erwartet, die Parade findet bereits zum 38. Mal statt.
Frustration und neue Forderung
2016 ist der Berliner CSD politischer denn je – „Danke für nichts ist ein Motto, das polarisiert. Die Veranstalter beklagen damit die immer noch vorhandene Diskriminierung von LGBTI* in der Gesellschaft und noch nicht erreichte politische Gleichstellung. In dem zuvor veröffentlichten Forderungspapier spricht der CSD e.V. sowohl queere Familienpolitik, die Situation von LSBTI* Flüchtlingen, als auch das Klima innerhalb der Community an. Der Verein fordert die Öffnung der Ehe für alle, gleiche Rechte bei Familienplanung und Adoption, die Anerkennung der Elternschaft in eingetragenen Lebenspartnerschaften sowie die rechtliche Anerkennung von Regenbogenfamilien mit mehr als zwei Elternteilen. Außerdem kritisiert der Veranstalter die Stigmatisierung von HIV-Positiven und spricht sich für eine Gesundheitsversorgung und Grundsicherung für alle sowie bezahlbaren Wohnraum in zentraler Lage für chronisch Kranke aus. Geschlechtliche und sexuelle Vielfalt sollten laut den Forderungen als Themen in die schulischen Rahmenlehrpläne aufgenommen und Bildungseinrichtungen zu Orten ohne Gewalt und Diskriminierung gemacht werden. Die LSBTI* Community müsse mehr mediale Präsenz erreichen und auch innerhalb der Gemeinschaft benachteiligte Gruppen stärker berücksichtigen. Geschlechtsnormierende Operationen von Intersexuellen ohne deren Einverständnis müssten gesetzlich verboten sowie Verurteilte nach §175 rehabilitiert und entschädigt werden. Ein weiteres wichtiges Thema sieht der CSD e.V. in der Betreuung von LSBTI* Flüchtlingen: gesicherter Wohnraum und in queeren Angelegenheiten geschulte Vermittler müssten zur Verfügung gestellt sowie ein generelles Asylrecht für LSTI* geflüchtete geschaffen werden.
Seit dem ersten CSD in Deutschland hat sich wenig im Hinblick auf die rechtliche Gleichstellung von LSBTI* verändert. Erst im Jahr 1994 wurde der Paragraph 175 vollständig abgeschafft, seitdem sind homosexuelle Handlungen auch rechtlich Privatsache. Im Jahr 2001 wurde das Lebenspartnerschaftsgesetz eingeführt, homosexuelle Paare haben seitdem die Möglichkeit ihre Beziehung in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft zu führen. Trotzdem haben gleichgeschlechtliche Paare kein volles Adoptionsrecht – auch die Ehe ist nach wie vor Mann und Frau vorbehalten.
Der CSD ist mehr als eine Parade der Paradiesvögel und Regenbogenflaggen, sondern eine hochpolitische Veranstaltung. Das zeigt auch das Bühenprogramm am Brandenburger Tor: eine Mischung aus Musik, Dragqueen-Shows und vor allem politischen Anliegen. Besonders das Orlando-Attentat ist ein wichtiges Thema: in einer Schweigeminute wird den Opfern gedacht, ein Song einer amerikanischen Liedermacherin über den Anschlag gesungen. Daneben treten Culcha Candela und DJ Wankelmut auf, es wird gefeiert und der Stolz auf die eigene Sexualität nach Außen getragen. Denn das ist das eigentliche Anliegen des Christopher Street Day: Unter dem Regenbogen sind wir alle gleich, nämlich einfach nur Menschen. Die LSBTI* Community wird sich den Herausforderungen Emanzipation und Akzeptanz weiterhin stellen müssen; die Regenbogenstadt Berlin könnte dabei Vorreiter sein. Trotzdem sind es Politik und Gesellschaft die ihre Vorbehalte ablegen, und auf die queere Community zukommen müssen.
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