25 Jahre nach seinem Debütroman »Faserland« legt Christian Kracht mit »Eurotrash« sein bislang bestes Buch vor. Nach dem experimentierfreudigen »Die Toten« wendet sich Kracht nun der Innerlichkeit zu und zeigt hierbei seine Stärken als glänzender Stilist und brillanter Beobachter. Eine Rezension von Timo Feilen.
»Faserland« schlug seinerzeit wie eine eisgekühlte und hochansehnliche Bombe in das Literaturgeschehen ein. Der Erzähler wandelt durch die Bundesrepublik und sucht das Suchen, das er nicht findet. Sowohl das Feuilleton als auch gebeutelte Studenten mussten sich seitdem über Jahre mit der Frage nach der Autorschaft und dem Spiel mit der Identität auseinandersetzen: Was ist inszeniert? Ist der Erzähler der reale Kracht? Ist Kracht ein Dandy, ein übertrieben gekleideter Mensch, oder doch bloß ein Dandy-Darsteller?
Über diese Auseinandersetzungen, die nun in Schubladen und – dank der mittlerweile vergangenen 25 Jahre – auf Festplatten gespeichert sind, sind Krachts Reisebücher, wie »Der gelbe Bleistift« oder »Ferien für immer« (gemeinsam mit Eckhardt Nickel) in der Diskussion des Autors verloren gegangen. Nach kleinen Skandalen rund um »Imperium« schlug Kracht erst im Rahmen seiner Frankfurter Poetik-Vorlesungen im Jahre 2018 erneut Wellen. Kracht erzählte davon, dass er an einem kanadischen Internat sexuell missbraucht worden sei. Das Feuilleton horchte auf, so persönlich kannte man Kracht noch nicht. Die Poetikvorlesung kündigte damit eine neue Phase der Kracht-Rezeption an.
Die Handlung von »Eurotrash« ist schnell zusammengefasst: Der Erzähler Christian Kracht besucht seine psychisch kranke Mutter – samt vehementem Alkoholkonsum und künstlichem Darmausgang – in der als furchtbar empfundenen Schweiz, woran sich eine Fortsetzung der faserländischen Odyssee anschließt. Mutter und Sohn fahren im Taxi durch die Republik und der Erzähler stellt hier Beobachtungen über die Schweiz, Deutschland, sich selbst und seine Familie an.
Familie und Habitus
Wie schon in seinen anderen Romanen beweist Kracht einmal mehr, dass er nicht nur ein glänzender Beobachter ist, der die fragwürdigen Ergebnisse einiger Soziologen nichtig erscheinen lässt, sondern dass er gleichermaßen ein famoser Beobachter ist. Wenn der Erzähler Christian Kracht in etwa über sein brüchiges Verhältnis zu seiner etwas verkorksten Mutter spricht, spürt man förmlich die Lust an der Schilderung der feinfühligen Beobachtung. Wenn auch der Roman nur noch entfernt an das von »Unter Null« inspirierte Markenabklappern und Gepose »Faserlands« erinnert, so finden sich dennoch Elemente einer Beobachtung, die vor allen Dingen den Blick Pierre Bourdieus verinnerlicht zu haben scheinen. So lässt uns der Erzähler Kracht von seiner profunden Einschätzung des Modelabels »Bulgari« wissen:
„Und in den schrecklichen Luxushotels in Malaga und Venedig und Positano lagen immer Bulgari-Körperpflegeprodukte in den Badezimmern aus. Schreckliche Orte wie Kartar und Dubai wurden von schrecklichen Luxusfluglinien angeflogen, die in ihren In-Flight-Duschkabinen ebenfalls Bulgari-Produkte anboten. Meine Mutter hatte über die Jahre internalisiert, daß Bulgari etwas Elegantes, Erstrebenswertes darstellte, während in Wahrheit diese Produkte und dieser Name nur Depressionen auslösten und Selbstmordgedanken“
Abseits von Krachts altbewährtem Porträt der Verelendung des Geldadels ist »Eurotrash« in erster Linie ein Spiegel für die Verelendung der eigenen Familie, das in sanfter Sprache vorgetragen wird. In bislang keinem anderen Roman hat sich Kracht bei der Charakterisierung von Figuren soweit hervorgewagt– die Figur der Mutter, die den Darminhalt in dem einen und ungeheure Geldsummen in dem anderen Plastikbeutel durch die Schweiz spazieren fahren lässt, ist der Gipfel seines bisherigen Schaffens. Für gewöhnlich lässt Kracht höfliche Distanz zu seinen Figuren walten, hier jedoch deutet alles auf eine Reise ans Ende des Inneren hin. Die Reisebewegungen der Figuren fallen an verschiedenen Stellen zusammen und driften dann wieder auseinander. Doch ist die Familiengeschichte des Erzählers auch eng mit der Geschichte der Bundesrepublik und der Nazi-Deutschlands verbunden.
Im Husarenritt geht es durch Krachts Familiengeschichte und zugleich durch die Makrogeschichte der politischen Umfriedung. Die Mikrogeschichte ist hier gekonnt in die großen Narrative eingewebt, sodass die deutsche Geschichte zur Familiengeschichte wird und die Familiengeschichte nicht denkbar ist ohne die deutsche Geschichte. Diese unheilvolle Verkettung bringt die Protagonisten des Romans immer wieder an die Grenzen des Sagbaren, des Fühlbaren und des Denkbaren – ein Schweigen soll gebrochen werden, doch darüber schweigt man lieber. Am Ende dieser Reise wartet dann noch das unvermeidbar schmerzhafte Äußere. Der Großvater früh bei der SS, der Vater, ebenfalls mit dem Namen Christian Kracht, schwerreiche rechte Hand von Axel Springer. Anders als die äußerst lebhaft gestaltete Mutter existiert der Vater nur noch in der Erinnerung des Erzählers, der zu keinem allzu freundlichen Urteil gelangt:
„So war mein Vater ein enormer Machtmensch gewesen, der durch die Quälerei und die Erniedrigung anderer sich den für ihn nötigen Abstand und die undurchdringliche Schutzhaut erschaffen konnte. Und manchmal hatte ich mich gefragt, ob nicht meine gesamte Familie und auch das gesamte Umfeld meiner Familie sich von der Erniedrigung anderer nährte, von einem Elitebewußtsein, das in Wirklichkeit das Gebaren einer Mittelschicht war, die in die Oberschicht hinaufwollte und gleichzeitig vor nichts mehr Angst hatte als vor ihrer eigenen proletarischen Herkunft“
Kracht erzählt weiter von der Unfähigkeit seines Vaters, sich der englischen Elite anzupassen. Es haperte vor allen Dingen an der komplizierten Kleidungsetikette. Krachts Analysen sind durchaus vergleichbar mit dem wachen Blick eines Michel Houellebecq, eines Joris-Karl Huysmans oder eines Henri Murger. Mit dem Habitus-Rüstzeug im Gepäck durchforstet Kracht das brachliegende Gelände eines sozialen Milieus, das Geld hat, Stil zu haben versucht und ansonsten recht dürftig dasteht.
Das Schweigen wird in Stil gebannt
Stil hat Christian Kracht, besser: den hatte er schon immer, bloß ist »Eurotrash« insbesondere deshalb so erfreulich, da die Stilsucht hier nicht mehr, wie im letzten Roman »Die Toten«, unentwegt stilisiert wird. In Krachts Elfenbeinturm putzt man sich nicht die Zähne, sondern man „bürstet“ sie. Selbstverständlich – schließlich handelt es sich nicht um einen Zahnputzapparat, sondern um eine Zahnbürste. Die Liebe zum Detail, mitunter zur spielerischen Verwegenheit ist hier an keiner Stelle ostentativ und nervig, sondern die große Stärke des Romans. Es scheint, als habe die Dekadenz ausgedient, um einem feinfühligeren Stil Platz zu machen. Die in sich verwundene und besonders stilvolle Reise bietet neben einer für Kracht ungewohnten emotionalen Tiefe nicht wenig Raum für allerlei Geschmacksurteile. An einer besonders prägnanten Stelle wird so auch die Schuld der Deutschen in eine Frage geschmacklicher Natur überführt:
„Aber dann dachte ich mir, daß ich ja Glück hatte, in der Schweiz sein zu dürfen und nicht in Deutschland sein zu müssen, dort, wo das Blut der ermordeten Juden immer noch überall in den Gassen klebte und die Menschen kein bißchen schüchtern waren, obwohl es ihnen gut zu Gesicht stehen würde, ein wenig schüchtern zu sein. Ein Deutschland, dessen männliche Einwohner immer in ihre männlichen Mobiltelefone hineinschrien in der Öffentlichkeit, besonders wenn sie in der Schweiz waren, und wo es so klang und aussah, als telefonierten sie mit der Reichspropagandaleitung, breitbeinig hingefläzt in den Sesseln der Senator-Lounge, während sie in Wirklichkeit nur mit einer Werbeagentur telefonierten oder mit ihrem Ressortleiter. Ein Glück dachte ich, ein Glück, ein Glück war ich in der Schweiz“
Der vom Protagonisten erlebte Weltschmerz sowie das innerliche Darben werden immer wieder in eine scheinbar masochistische Überhöhung des Stils umgewandelt. So begleitet der Leser den Erzähler auf seiner ganz eigenen Reise der nicht gelingenden Sublimierungsversuche, die letztlich doch im Nirgendwo enden. Bei alledem kommt man nicht um das Gefühl umhin, hier einem literarischen Geständnis beizuwohnen – ganz gleich, ob es nun vom ‚echten‘ Kracht oder dem Erzähler Kracht verfasst ist. Der Roman will das Eis des Schweigens brechen und zeigt dabei vor allen Dingen, wie schwer dieses Unterfangen ist. Kracht schlägt sanfte Töne an und wird selten laut. »Eurotrash« ist ein erstklassiges Dokument des Scheiterns, der Vorsicht und eines Tons, hinter dem sich die Schwere der Welt verbirgt. Doch wird auch das Schweigen in Stil gebannt:
„Meine Güte, dieses Leben, was für ein perfides, elendes, kümmerliches Dramolett es doch war, dachte ich, während ich weiter an die Decke des Hotelzimmers starrte und sah, daß dies tatsächlich die ewige Wiederkunft war, unser Unvermögen, der Zeit einen Anfang zu setzen“
Bei alledem erweist sich Kracht einmal mehr als Meister mal subtiler und mal offenkundiger Komik, nicht selten mit Slapstick-Charakter. Kracht versteht sich meisterhaft auf das Handwerk des unterhaltsamen Schreibens. Gekonnt wandert er an den Abgründen des Absurden, ohne jedoch jemals lächerlich zu sein – so etwa, wenn eine vegan-faschistische Republik gegründet werden soll oder wenn sich grandios inhaltsverachtende Dialoge aneinanderreihen. Krachts Gespür für Komik ist Teil seiner Handschrift und wesentliches Element seiner handwerklichen Exzellenz, die es vermag, dass sich süffisantes Schmunzeln und schmerzhafte Stille die Hand reichen.
Die kommenden Hausarbeiten und Promotionen werden sich auf Krachts Selbstreferenzialität stürzen und sein entweder verhasstes oder in den Himmel gehobenes postmodernes Spiel untersuchen. Man wird darüber schreiben, wie sich der Missbrauchsfall nun auch literarisch manifestiere. Man wird überlegen, ob und inwieweit »Eurotrash« eine Fortsetzung von »Faserland« sei und man wird wieder mit Begriffen wie »Popliteratur« und Namen wie »Bret Easton Ellis« um sich werfen. Kracht wird unterhaltsame Interviews geben und einen etwas fragwürdigen Instagram-Kanal betreiben – mutmaßlich wird auch dieser schon auf seinen ästhetischen Gehalt hin ausgewertet. Neben den fragwürdigen Bemühungen der Wissensverwaltung darf aber zu hoffen bleiben, dass der Glücksfall Christian Kracht der Literaturlandschaft möglichst lange erhalten bleibt. Sein einzigartiger Stil, sein Gespür für Tragik und Komik sind ein Sonderfall und suchen derzeit seinesgleichen und mit »Eurotrash« zeigt Kracht, dass das wohl auch in Zukunft so bleiben wird. Ein Glück.
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