Michael Mertes hat sich mit Bundeskanzlerin Angela Merkel besonders genau befasst. Der Chefredenschreiber von Helmut Kohl und Staatssekretär hat die Zyklen der Macht miterlebt und ein Buch darüber geschrieben: Hat Angela Merkel ihren Niedergang zu spät erkannt? Hat sie damit der CDU nachhaltig geschadet? Oder war es ein ganz natürlicher Zyklus der Macht?
Den 1. Teil des Interviews verpasst? Hier kannst Du ihn nachlesen.
Herr Mertes, Merkels Umfragewerte stiegen wieder an, nachdem sie durch ihre Entscheidungen bei den Griechenland-Hilfen und der Euro-Krise gefallen waren. Inwiefern passt das zu dem von Ihnen beschriebenen Zyklus der Macht?
Wenn meine These stimmt, dass irdische Macht vom ersten Augenblick an der Erosion unterliegt, dann lässt sich ihr Niedergang nur verlangsamen. Bestenfalls kann man ihn durch ein Zwischenhoch unterbrechen. Aber man kann ihn ebenso wenig überwinden, wie wir Menschen Alter und Tod überwinden können.
Merkel wurde von vielen als „Mutti“ bezeichnet. Sie kümmert sich problemlos um alles.
Den Spitznamen „Mutti“ habe ich zum ersten Mal 2009 aus dem Mund eines Bundestagsabgeordneten gehört. Das war nach meinem Eindruck nicht freundlich gemeint – es hatte geradezu einen Beigeschmack von Boshaftigkeit: Mutti kümmert sich um alles, sie ist aber auch ein Kontrollfreak.
Die Kanzlerin wurde immer wieder mit Vorwürfen konfrontiert, initiativlos zu sein, in der CDU keine lebhafte Debatte über den zukünftigen Kurs der Partei zuzulassen. Zurecht?
Es ist etwas dran an der Kritik, dass unter der Kanzlerschaft von Angela Merkel die Politik entpolitisiert wurde. Dem Publikum wurde suggeriert: „Macht euch keine Sorgen, wir kümmern uns!“ Putins Aggression in der Ostukraine und auf der Krim? „Alles wird gut!“ Energiewende ohne Kernenergie? „Nord Stream 2!“ Deutschlands Rückstand bei der Digitalisierung? „Wir arbeiten dran!“
Im Jahr 2017 machte die CDU Wahlkampf mit dem völlig unpolitischen Slogan „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“. Nennen Sie mir eine Partei, die GEGEN ein Deutschland ist, in dem wir gut und gerne leben! Ich fühlte mich an ein Lied erinnert, das im Deutschen Reich nach 1870/71 besonders populär war: „Lieb’ Vaterland, magst ruhig sein“. Die Überparteilichkeit dieses Slogans erinnerte mich auch ein wenig an Kaiser Wilhelms Ausspruch „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche“.
Viele Wählerinnen und Wähler waren damit einverstanden. Sie waren mit Beginn der Corona-Pandemie sogar froh, sich nicht auch noch um die Politik zu sorgen. Was ist daran verwerflich, wenn es offenbar in den Umfragen ankommt?
Es ist eine höchst problematische, ja demokratieschädliche Konstellation, wenn die politischen Hauptrivalen – in Deutschland waren das bisher Union und SPD – allzu lange als Partner in einer Koalition vereint sind. Man schont einander, man übt sich in Harmonie. Auf Dauer ist es jedoch ungesund, wenn Sie sich nur von Donuts und Limonade ernähren.
Politik bedeutet immer auch Wettbewerb, Debatte, Auseinandersetzung. Die politischen Akteure dürfen, ja müssen eine eigene Überzeugung haben, für die sie kämpfen – eine inhaltliche Position, die über das bloße Machterhaltungsinteresse hinausgeht. Ich plädiere nicht für Streit um seiner selbst willen, den lehne ich ab. Aber auch Harmonie ist kein Selbstzweck. Streit – zivilisierter Streit – ist sinnvoll und notwendig, wenn es um inhaltliche Positionen geht, die einander widersprechen. Ich sage „zivilisierter Streit“, denn in der Demokratie ist mein politischer Gegner kein Feind, den es zu vernichten gilt.
Rückblickend: Hat Angela Merkel zu spät ihren Rücktritt bekannt gegeben und damit die CDU nachhaltig in ihrer Neuaufstellung geschwächt?
Ich denke, wir haben es hier mit einem Verhalten zu tun, das Sie überall – nicht nur in der Politik, sondern beispielsweise auch in Familienunternehmen – antreffen können. Es passiert nicht oft, dass ein Macht-Inhaber über so viel innere Souveränität und Weitblick verfügt, dass er rechtzeitig einen qualifizierten Nachfolger oder eine starke Nachfolgerin aufbaut: Die könnten ja seine Konkurrenten werden.
Aus heutiger Sicht hat es der CDU nachhaltig geschadet, dass Angela Merkel im Herbst 2018 nur den CDU-Parteivorsitz, nicht jedoch die Kanzlerschaft aufgab. Ihre Dominanz als Kanzlerin ließ die beiden nachfolgenden CDU-Vorsitzenden, Annegret Kramp-Karrenbauer und Armin Laschet, drei lähmende Jahre lang als Zwerge erscheinen, die der Riesin im Kanzleramt nicht das Wasser reichen konnten. Und Angela Merkel hat – vorsichtig formuliert – nichts dazu beigetragen, diesem Eindruck entgegenzuwirken.
Ihr menschlich verständlicher Ehrgeiz, das eigene Bild in der Geschichte vor Kratzern zu schützen, verhinderte eine ehrliche Analyse der Stärken und Schwächen ihrer Regierungszeit. In gewisser Weise ist dieses Problem immer noch aktuell. Ich vermisse bei CDU und CSU eine schonungslose Aufarbeitung der zum Teil fatalen Fehler und Versäumnisse in der Russlandpolitik, der Energiepolitik und der Klimaschutzpolitik, um nur drei Beispiele zu nennen.
Wie gelang der Ampelkoalition der Aufstieg nach der Zeit von Angela Merkel? Klingen die meisten Politiker-Sätze heute wirklich alle gleich? Und: Sollte man die Regierungszeit eines Kanzlers nicht auch, wie in den USA, zeitlich begrenzen, um damit effektiver auf dynamische Herausforderungen zu reagieren? Erfahrt es in Kürze im dritten und letzten Teil des Interviews.
Über das Buch „Zyklen der Macht“ hat f1rstlife-Chefredakteur Timo Gadde mit Michael Mertes nach seinem Vortrag für die Jakob-Christian-Adam-Stiftung und das Seniorenhaus St. Josef in Meckenheim gesprochen. Mehr über das Buch von Herrn Mertes erfahrt Ihr hier: https://www.amazon.de/Zyklen-Macht-Stagnation-Aufstieg-Niedergang/dp/3416040848
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