Ein ereignisreiches Wochenende hat die politische Landschaft in Österreich erschüttert: Ein versteckt aufgenommenes Video bringt Vizekanzler Heinz Christian Strache (FPÖ) in Bedrängnis. Der tritt mit sofortiger Wirkung zurück. Am Abend ruft Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) Neuwahlen aus. Wie geht es jetzt weiter? Und was bedeutet die Zäsur für Europa und die anstehende Europawahl?
Eine so spontane und zahlreiche Demonstration hatten auch die österreichischen Polizeibeamten noch nicht gesehen. Mehr als 7.000 kamen bis zum Nachmittag auf den Ballhausplatz in Wien. Viele, vor allem Regierungskritiker, forderten ein rasches Handeln von Bundeskanzler Sebastian Kurz. Doch der ließ sich Zeit mit einem offiziellen Statement.
Ein Video und seine Folgen
Schon am Freitagabend überschlugen sich die Ereignisse: Ein Video, das der SPIEGEL und die Süddeutsche Zeitung veröffentlichten, zeigte FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache gemeinsam mit Wiens Vizebürgermeister Johann Gudenus (FPÖ). Auf Ibiza in einer noblen Villa trafen sie sich mit einer angeblichen russischen Investorin, die der FPÖ einen Wahlerfolg durch Finanzhilfen verspricht. Unter anderem diskutieren die Anwesenden die Übergabe der KRONEN-Zeitung, Österreichs größter Boulevardzeitung und versprechen der Russin anschließend die Vergabe von staatlichen Bauaufträgen. Gudenus selbst hat in seiner Amtszeit für die FPÖ bereits viele Kontakte nach Russland hergestellt, sich unter anderem durch sein Studium in Moskau mit Funktionären vernetzt.
Strache äußert sich am Mittag als Erster: In seiner gut zwölf-minütigen Rede stiliert er sich zuerst als Opfer, spricht von einem “politischen Attentat”, das systematisch gegen ihn und die Freiheitliche Partei gesteuert wurde. Erst gegen Ende kommen die entscheidenden Worte: Strache, der die FPÖ als längster Parteiopmann geführt hatte, tritt mit sofortiger Wirkung als Vizekanzler und Parteivorsitzender zurück. Als Nachfolger nennt er Norbert Hofer, der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie im Kabinett der Kurz-Regierung ist.
Sebastian Kurz verschiebt sein Statement
Kurz darauf wird es immer lauter auf dem Ballhausplatz vor dem Kanzleramt. Die Demonstranten machen dem Bundeskanzler Druck, die Opposition fordert Neuwahlen. Pamela Rendi Wagner, Parteichefin der SPÖ, fordert: „Er soll endlich Verantwortung übernehmen. Er kennt das Video seit 48 Stunden und lässt ein ganzes Volk warten wie es weitergeht.“ Um kurz vor 20:00 Uhr folgt endlich das Statement: Darin lobt Sebastian Kurz anfangs die bis dato gute Zusammenarbeit mit der FPÖ, erklärt die Regierung kurz darauf aber für gescheitert und spricht sich für Neuwahlen aus. „Nach dem gestrigen Video muss ich sagen: Genug ist genug! Die FPÖ schadet dem Ansehen dieses Landes und entspricht nicht den politischen Zugang, den ich habe.“ Bei einer Wiederwahl seiner Partei könne er den Trend seiner politischen Neuentwicklung fortsetzen.
Eine Stunde später kommt es zur bereits dritten Pressekonferenz des Tages. Alexander Van der Bellen spricht von Respektlosigkeit allen Bürgerinnen und Bürgern gegenüber: „So ist Österreich nicht.“ Van der Bellen appelliert an den unabhängigen Journalismus und lobt das Vorgehen der Medien als Vierte Macht, die in den vergangenen Tagen und Wochen des Öfteren von der FPÖ angegriffen wurde. In den kommenden Tagen wird Kurz mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen die nächsten Schritte besprechen und die Neuwahlen festsetzen. Sie werden im September stattfinden.
Was die Entscheidung nun für Österreich und die Europawahl bedeutet
Österreich steht also vor einem kompletten Umbruch in der Politik. Am Montag wurde auch noch Innenminister Herbert Kick entlassen, nachdem er Peter Goldgruber, bis dato Generalsekretär im Bundesministerium, zum Direkter für öffentliche Sicherheit ernennen wollte. Daraufhin traten die restlichen fünf FPÖ Minister geschlossen zurück. Laut Kurz werden die Ministerien durch Experten ersetzt. Für die Opposition ist das aber noch nicht genug: Sie fordern geschlossen den Rücktritt der gesamten Regierung. Das Chaos geht also in die nächste Runde.
Bei der Nationalratswahl erhoffen sich vor allem auch die NEOS mit und die ÖVP einen Prozentwachstum. Die NEOS sind eine recht junge Partei, die sich als Kraft der Mitte sieht und noch keinen Skandal erlebt haben. Die angeschlagene SPÖ wird nach dem Silberstein-Skandal 2017 versuchen, das Vertrauen der Wähler zurückzugewinnen. Nichtsdestotrotz wird es ein schwieriger Wahlkampf, da das Budget schon für die Europa-Wahl verbraucht wurde.
Bei der Europawahl wird dennoch ein Plus der Rechtsparteien erwartet, wenn auch ein geringeres als vor dem Skandalvideo. “Die Wähler werden sich jetzt zweimal überlegen, ob sie solchen Leuten ihre Stimme geben”, so der Politwissenschaftler Werner Patzelt gegenüber dem “Tagesspiegel”. Das “Ibizagate” ist zumindest ein Bremser für die Rechtspopulisten Europas. Wie groß, wird man am Sonntag sehen.
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