Seit 2011 intensiviert sich in Ostägypten die bewaffnete Auseinandersetzung zwischen der ägyptischen Regierung und nichtstaatlichen Kriegsakteuren. Immer wieder geraten auch Touristen in das Kreuzfeuer, so erst im Juli 2019. Zur Lage auf der Sinai-Halbinsel.
Hintergrund
Durch die Rückgabe der von Israel besetzten Sinai-Halbinsel an Ägypten im Zuge des Camp-David-Abkommens 1978 verschärfte sich die wirtschaftliche und soziale Benachteiligung der indigenen Beduinen. Während das südliche Gouvernat weitgehend von Unruhen verschont blieb, entzündete sich im Norden ein bis heute schwelender Konflikt. 2011 kam es (erneut) zur bewaffneten Auseinandersetzung zwischen einheimischen Stämmen und der ägyptischen Regierung. Der „Arabische Frühling“ gab Anlass zur Hoffnung, mehr Unabhängigkeit für die Sinai-Halbinsel zu erlangen. Die Regierungen unter Mursi wie auch Mubarak reagierten mit repressiven Maßnahmen. Der Sinai gilt infolgedessen als stark militarisierte Zone, in der alle Register der Aufstandsbekämpfung gezogen werden. Eine Änderung dieser Policy ist auch unter dem derzeitigen Präsidenten As-Sisi nicht zu erkennen.
Die Beduinen
Am Sinai leben zwischen einem und zwei Dutzend Beduinenstämme, insgesamt rund 300.000 Menschen. Die Abgrenzung lässt sich nicht immer klar vollziehen, da Sprachen und Bräuche unterschiedlich eng miteinander verwandt sind. Hierin wird ein Teilgrund für die fehlende Einigkeit der Beduinen als politische Fraktion in Ägypten ausgemacht. Da diese unzureichend am Tourismus und dem Ausbau moderner Infrastruktur beteiligt werden, sind viele an illegalen Geschäften wie dem Warenschmuggel nach Gaza beteiligt. Derlei kriminelle Aktivitäten werden wiederum von der Regierung gewaltsam unterbunden. Somit kam es oft zu bewaffneten Zusammenstößen. Mit dem Auftreten salafistisch-dschihadistischer Milizen am Sinai arrangieren sich zwar immer mehr Stämme mit der Regierung, jedoch bleiben die Beduinen uneins und schließen sich nach Bedarf auch dschihadistischen Milizen an.
Die Regierung unter as-Sisi
Der frühere General und seit dem Militärputsch 2013 amtierende Präsident Abdel al-Fattah as-Sisi verfolgt eine harte Linie gegen rebellische Elemente am Sinai. Nebst massiver Luft-, Boden- und Seeoperationen gegen den Ableger des „Islamischen Staats“ wurde auch die Zerstörung der Schmugglertunnel der Beduinen, in denen Waren illegal nach Gaza geleitet werden, durchgeführt. Der Regierung wird von verschiedenen Seiten Kurzsichtigkeit vorgeworfen, die Beduinen als wichtige Partner gegen dschihadistische Zellen am Sinai zu verprellen. Gleichzeitig warnen Berichte vor der teilweisen Aufrüstung verbündeter Stämme durch die ägyptische Regierung, da sich Bündniskonstellationen in diesem Konflikt nicht selten ändern.
Dschihadistische Gruppierungen
Zwischen 1999 und 2004 etablierte Al-Qaida seinen Ableger Dschamaat at-Tawhid wa-l-Dschihad („Die Organisation des Monotheismus und des Dschihad“) am Sinai. Zeitweise präsentierte sich die Gruppe sogar als Verbündeter der Beduinen gegen die ägyptischen Streitkräfte. Seit dem jüngsten Konfliktausbruch 2011 gilt Ansar Bayat al-Maqdis („Die Unterstützer Jerusalems“) bzw. seit 2014 zum IS bekennend und zu Wilayat Sinai („Die Provinz Sinai“) umbenannt, als dominanteste dschihadistische Gruppe. Das Vorgehen der Radikalen gilt auch bei den Beduinen als kontrovers, da dieses oft über Angriffe auf Militärposten und Lösegeldforderungen hinaus geht. So hatten erst Mitte Juli 2019 Dschihadisten einen Reisebus angegriffen und vier Menschen enthauptet. Wenngleich das ägyptische Militär in den vergangenen Monaten massive Luftschläge und Bodenoperationen gegen den IS-Ableger durchführte, scheint die baldige Vertreibung aus dem Sinai nicht absehbar.
Fazit
Der Sinai-Konflikt stellt aufgrund seiner Komplexität und Tragweite ein großes Sicherheitsrisiko in Ägypten dar. Durch die repressive Politik Ägyptens gegen die Beduinen misslang jeder Versuch zur Stabilisierung des Nord-Sinai. Wechselnde Bündnisse mit den Beduinen sowie die Uneinigkeit selbiger, gemeinsam als politischer Akteur aufzutreten, verkomplexisieren die Situation. Währenddessen entwickelt sich die Region zu einem Rückzugsort für islamistische Elemente, die Sinai als Ausgangsbasis für Terroranschläge und Gebietsgewinne nutzen. Konfliktforscher empfehlen daher eine diversifizierte Strategie der Aufstandsbekämpfung, in der die Beduinen stärker in Deradikalisierungsprogramme, Wirtschaftsprojekte und im Kampf gegen den IS eingebunden werden.
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