Zwanghaftes und impulsives Verhalten ist ein Merkmal der Borderline-Störung. Warum enden so viele Liebesbeziehungen immer in einem Desaster? Und warum können andere ihre toxische Beziehung nicht beenden und loslassen? Zufall oder psychologisch ableitbar?
Eine funktionale Beziehung zu führen, wenn man an einer Persönlichkeitsstörung erkrankt ist, ist kein leichtes Unterfangen. Die meisten Beziehungen scheitern und münden immer in demselben Schmerz. Einem Schmerz, den du bereits aus deiner Kindheit kennst. Doch es ist kein Zufall, dass du dir diesen Schmerz unbewusst (!) immer wieder selbst zufügst. Es ist nicht dein Partner oder die Umstände. Vielleicht ist dir auch schon aufgefallen, dass die einzige Konstante in deinen nicht-funktionierenden Beziehungen du selbst bist. Deine Partner können beliebig ausgetauscht werden, doch das Endresultat bleibt stets das Gleiche. Einfach nur Pech? Nein! Du bist gefangen in einem Muster, welches die Psychologie als „Wiederholungszwang“ deklariert.
„Wiederholungszwang“ – Ein Begriff der Psychoanalyse
In meinem letzten Artikel „Borderline als Traumafolgestörung“ erläutere ich, dass eine Persönlichkeitsstörung entsteht, weil erlebte Traumata aus der Kindheit nicht verarbeitet werden konnten. Wer traumatische Erfahrungen erleben musste, die nicht verarbeitet worden sind, steckt häufig in einer Art „traumatischen Neurose“ fest. Der Psychoanalyse zufolge, welche maßgeblich durch Siegmund Freud geprägt wurde, lässt sich die Ursache von neurotischem Verhalten auf frühkindliche Konflikte oder auch Traumata zurückführen. Wikipedia definiert den „Wiederholungszwang“ wie folgt: „Wiederholungszwang ist ein von Sigmund Freud definierter Begriff zur Begründung des sonst schwierig zu erklärenden menschlichen Impulses, unangenehme oder sogar schmerzhafte Gedanken, Handlungen, Träume, Spiele, Szenen oder Situationen zu wiederholen.“ Demzufolge können wir davon ausgehen, dass ein Mensch, der traumatische Erfahrungen erlebt hat, diese in seinen Beziehungen, meist in nahen Liebesbeziehungen, aber auch in Freundschaften oder im Beruf mit dem Chef reinszeniert. Dies soll dazu dienen, einen alten Konflikt durch wiederkehrende Neubelebung endlich zu überwinden.
Wiederholungszwang als Bestätigung und auferlegte Strafe
Dem Wiederholungszwang liegen vorwiegend unbewusst verdrängte Sachverhalte zugrunde. Ein für Borderline typisches Symptom ist die Abspaltung. Als Abwehrmechanismus können hier ganze Bewusstseinsinhalte, wie Erinnerungen, aber auch Gefühle und Gedanken, komplett verdrängt werden. Die Verdrängung ist ein wirksamer Mechanismus der Psyche, trotz traumatischer Erfahrungen, sein Leben weiter zu bestreiten. Doch hat man sein Trauma nicht aufgelöst und ist immer noch in Glaubenssätzen gefangen, welche durch das Täterintrojekt entstanden sind, wird der Wiederholungszwang auch als selbst auferlegte Strafe genutzt. Die Reinszenierung schmerzlicher Kindheitsverletzungen wird genutzt, um sich in seinen Kindheitstraumata und negativen Glaubenssätzen bestätigt zu wissen. Betroffene führen aktiv, jedoch unbewusst, gleiche Situationen herbei, beleben diese somit wieder, um den alten Schmerz nochmals zu fühlen, der an die ursprüngliche Verletzung des Traumas erinnert. Zudem versucht die menschliche Psyche durch zwanghafte Wiederholung, die damals erlebte Ohnmacht und Verzweiflung endlich aufzulösen und die Kontrolle über ebenjene Situation (zurück) zu erlangen.
Zwanghafte Wiederholungen dienen der Bewusstwerdung erlebter Traumata
Gerne möchte ich Beispiele anführen, um diesen Aspekt zu veranschaulichen. Ein Mensch, welcher in seiner Kindheit unter emotionaler Vernachlässigung leiden musste und eventuell von seinen nahen Bezugspersonen (Eltern) verlassen wurde, wird sich einen Partner suchen, der ebenfalls nicht wirklich verfügbar ist. Weder emotional noch physisch. Er wird in seiner Beziehung um Aufmerksamkeit und Liebe kämpfen, auch wenn dieser Kampf ein Kampf ins Leere ist. Denn der Partner, den er in sein Leben gezogen hat, um diese un-aufgelösten Traumata ins Bewusstsein zu drängen, wird ihm niemals die Liebe und Zuwendung zuteilwerden lassen, die er in seiner Kindheit entbehren musste. Dieser Partner, der stellvertretend für Mutter oder Vater steht, dient lediglich der Bewusstwerdung und kann dich ein stückweit in Richtung Heilung stoßen, wenn du selbst reflektiert genug bist, um dies zu erkennen. Ebenso kommt es häufig vor, dass Menschen, welche sexuellen Missbrauch und / oder Vergewaltigungen erfahren haben, dies in ihrer Tätigkeit als Prostituierte vermeintlich versuchen aufzulösen. Denn in einer solchen Tätigkeit ist die Rollenverteilung verkehrt zu dem Trauma, welches man erlebt hat. Wenn ich mich selbst anbiete, dann kontrolliere ich vermeintlich die Situation und bin dieser nicht mehr ohnmächtig erlegen. Ebenso kommt es häufig vor, dass Frauen, die unter einem gewalttätigen Elternteil gelitten haben wieder einen prügelnden Partner in ihr Leben ziehen und eine Beziehung eingehen.
Alles war und ist richtig gewesen zu seiner Zeit
Der Wiederholungszwang ist demnach ein Instrument, um Heilung herbeizuführen. Im optimalen Fall wird Betroffenen irgendwann in einer Psychotherapie bewusst, welche Sachverhalte verdrängt worden sind. Niemand sollte sich schämen für impulsive und zwanghafte destruktive Verhaltensweisen, die er in der Vergangenheit vollzogen hat. Alles war und ist gut und richtig zu seiner Zeit, als es passiert ist. Doch ein genaues Hinschauen auf seine Zwänge und Verhaltensmuster kann helfen, dass du in deiner Persönlichkeit nachreifst. Im Rahmen einer Psychotherapie kann man sich mithilfe des erfahrenen Psychotherapeuten seiner Muster und zwanghafter Verhaltensweisen bewusstwerden. Im Kontext der Borderline-Störung können somit längst verdrängte Bewusstseinsinhalte endlich an die Oberfläche und ins Bewusstsein geholt werden. Traumata lassen sich erst auflösen und integrieren, sobald sich diese offenbaren und ins Bewusstsein drängen. Das ist zwar erstmal schlimm und schmerzhaft. Doch der Weg aus dem Schmerz führt nur durch den Schmerz. Also habe Mut, schaue auf dich und erkenne, was sich eigentlich genau hinter deinem Verhalten verbirgt.
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