Am 1. April wäre Fürst Otto von Bismarck 201 Jahre alt geworden. Zeit, um über sein politisches Erbe und seinen Verdienst zu sprechen. Aber wer war der Mann mit dem strengen Blick aus den alten Geschichtsbüchern noch gleich? Welche Rolle hat er in der deutschen Politik gespielt und was ist von ihm geblieben?
Wir schreiben das Jahr 1862. Einen geeinten deutschen Nationalstaat gibt es nicht, ein lockerer Staatenbund aus fast vierzig Einzelstaaten bildet den „Deutschen Bund“. Preußen spielt darin eine wichtige Rolle; Preußen, dessen Ministerpräsident in diesem Jahr Otto von Bismarck wird. Im Reichstag hatte es zuvor einen Streit gegeben: die Abgeordneten weigern sich die Erhöhung des Militäretats zu bewilligen – sehr zum Leidwesen des preußischen Königs, der die Armee stärken will. Hier kommt Bismarck ins Spiel: Er findet eine Lücke in der Verfassung. Seine „Lückentheorie“ besagt, dass das Wort des Königs als Stifter der Verfassung immer über dem des Reichstags stehe und er die letzte Entscheidungsbefugnis innehabe.
Einigung mit Blut und Schweiß
Die Zeichen im Deutschen Bund stehen auf Einigung. Die Menschen fühlen sich durch ihre gemeinsame Sprache, Geschichte und Kultur verbunden und hatten bereits in der gescheiterten Revolution von 1849 versucht, einen geeinten Nationalstaat mit einer parlamentarischen Monarchie zu etablieren. Im Jahr 1864 versucht Dänemark die Herzogtümer Schleswig und Holstein mit einer Verfassungsänderung zu annektieren. Daraufhin verbünden sich preußische und österreichische Truppen und siegen in der Schlacht bei den Düppeler Schanzen gegen die Dänen. Schleswig wird unter preußische, Holstein unter österreichische Aufsicht gestellt.
Zwei Jahre später führt ein Zwist über die Verwaltung der Gebiete zum Deutsch-Deutschen Bruderkrieg. Die tiefere Ursache liegt allerdings im preußisch-österreichischem Dualismus, beide Staaten konkurrieren um die Vorherrschaft im Deutschen Bund. In der Schlacht bei Königgrätz siegt das preußische Militär mit seinen Verbündeten über die Donau-Monarchie. Der Deutsche Bund wird aufgelöst und der Norddeutsche Bund tritt an seine Stelle. Mit der Verfassung von 1867 wird der Norddeutsche Bund zum ersten Deutschen Bundesstaat.
Als ein Abkömmling der preußischen Hohenzollern die spanische Thronfolge antreten soll, sieht sich Frankreich in seiner Machtstellung gefährdet. Nach der Veröffentlichung der Stellungnahme Napoleons III, der „Emser Depesche“, durch Bismarck erklärt Frankreich aufgrund des öffentlichen Drucks Preußen den Krieg. Bismarck weiß, durch die Thronverzichtsforderung und die Kriegerklärung steht nun Frankreich als Aggressor da. Vereint durch patriotische Euphorie kämpfen der Norddeutsche Bund und seine süddeutschen Verbündeten gegen die französischen Streitkräfte.
Reichgründung von oben
Am 18. Januar 1871, der Deutsch-Französische Krieg ist noch nicht beendet, wird im Spiegelsaal von Schloss Versailles in der Nähe von Paris das Deutsche Kaiserreich proklamiertet. Eine Schmach für Frankreich, war Schloss Versailles doch einst das Prunkstück der absolutistischen Herrscher und Symbol der Stärke Frankreichs. Kaiser soll der preußische König Wilhelm werden, doch der streitet sich noch mit Bismarck über seinen Kaisertitel. Er will nicht „Deutscher Kaiser“ genannt werden und einigt sich mit seinem Ministerpräsidenten auf „Kaiser von Deutschland“. Bismarck wird der erste Reichskanzler im Deutschen Kaiserreich.
Staatsstreichdrohung und Kulturkampf
Die Verfassung des Deutschen Kaiserreichs besteht aus der des Norddeutschen Bundes mit einem zusätzlichen Wahlrecht für alle Männer ab 25 Jahren, das die süddeutschen Staaten gefordert hatten. Doch von einer liberalen Verfassung kann noch lange nicht gesprochen werden. Die Menschenrechte sind in ihr nicht verankert und eine Gewaltenteilung existiert nur eingeschränkt. Der Reichstag besitzt zwar das Recht, Gesetze vorzuschlagen und den Haushalt zu bewilligen, aber der Kaiser kann den Reichstag faktisch jederzeit auflösen. Diese Ambivalenz im Verfassungssystem weiß Bismarck zu nutzen. Die ständige Drohung, den Reichstag aufzulösen, macht die Abgeordneten konform.
Die innenpolitischen Spannungen, die Ambivalenz im Verfassungssystem, Nationalitätenkonflikte und die gesellschaftliche Kluft wusste Bismarck in den früheren Jahren mit den Einigungskriegen zu überwinden. Jetzt allerdings ist die Gefahr zu groß, dass sich ausländische Truppen gegen das Deutsche Kaiserreich verbünden. Aber Bismarck weiß seine Macht als Reichskanzler auch anderweitig geschickt für seine Interessen einzusetzen. Der wachsende Einfluss des politischen Katholizismus durch die Zentrumspartei ist ihm ein Dorn im Auge. Er diffamiert die Anhänger des Zentrums als „Reichsfeinde“, und erlässt die Gesetze gegen sie. Mit dem Kanzelparagraph, dem Schulaufsichtsgesetz, dem Verbot des Jesuitenordens, der Einführung der Zivilehe und der Unterstellung der Kirche unter staatliche Aufsicht sucht er in den Jahren 1871 bis 1875 im sogenannten Kulturkampf den Einfluss des Katholizismus auf das Kaiserreich zu schmälern, zumal Preußen hauptsächlich protestantisch geprägt ist.
Mit der Verordnung „wider die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ von 21. Oktober 1878 lässt er die Anhänger der Sozialistischen Arbeiterpartei verfolgen und ihre politische Tätigkeit verbieten. Die von Bismarck begründete Sozialgesetzgebung mit dem Kranken-, Unfall- und Invalidenversicherungsgesetz soll die Arbeiterschaft an den Staat binden – und hat bis heute Bestand im modernen Sozialstaat. Die SAP allerdings geht gestärkt aus der Zeit hervor, sie hat sich im Untergrund organisiert und erfährt einen enormen Wählerzuwachs.
Außenpolitisches Genie
Außenpolitisch zeigt sich Bismarck territorial saturiert und bemüht sich um die Aufrechterhaltung des Status quo. Dabei hat er keine pazifistischen Absichten, denn er weiß um die drohende Gefahr eines Zwei-Fronten-Krieges. Im Jahr 1873 schleißt er das Dreikaiserabkommen mit Österreich-Ungarn und Russland. Auf dem Berliner Kongress im Jahr 1878 tritt Bismarck als „ehrlicher Marker“ auf und vermittelt nach dem russisch-osmanischen Krieg zwischen den Konfliktparteien. Im Jahr 1879 schließt er den Zweibund mit Österreich-Ungarn, der im Jahr 1881 im Dreikaiserbündnis mit Russland aufgeht. Im geheimen Rückversicherungsvertrag von 1887 sichern sich Deutschland und Russland ihre Neutralität im Falle des Angriffs einer anderen Macht zu – damit bricht Bismarck das Dreikaiserabkommen. Aber er ist sich sicher: in Friedenszeiten wird dieser Widerspruch nicht auffallen.
Bismarcks Erbe
Bismarck scheitert letztendlich an dem Faktor, der ihm seine politische Karriere sichert: dem Vertrauen des Kaisers. Im Jahr 1888 besteigt Wilhelm II den Thron – er denkt imperialistisch, will für Deutschland einen „Platz an der Sonne“ schaffen. Zwei Jahre später wird Bismarck entlassen. Er ist bereits hoch betagt, hat gesundheitliche Probleme.
Der geheime Rückversicherungsvertrag wird unter dem neuen Reichkanzler von Caprivi nicht verlängert. Das gibt Russland die Möglichkeit, sich mit England und Frankreich zu verbünden. 24 Jahre nach der Entlassung Bismarcks bricht der Erste Weltkrieg aus.
Im Juni 1919 wird der Friedensvertrag mit der deutschen Kriegsschuld im Spiegelsaal von Versailles unterzeichnet; genau dort wo einst der „Eiserne Kaiser“ das Deutsche Kaiserreich gegründet hatte.
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