Im Jahr 2020 erreicht uns eine Krise eines Ausmaßes, das wir Menschen weder kennen noch erwartet haben. Mit ihr einher geht jedoch auch Zeit für Solidarität und Dankbarkeit, Zeit zum Durchatmen und Innehalten, Zeit für eine Perspektiverweiterung und eine Chance. Werfen wir einen Blick auf unsere Zeit. Ein persönlicher Kommentar.
So langsam habe ich mich eingelebt im Isolationsmodus. Nicht, dass es mir besonders schwer fiele. Als jonglierender Kleinkünstler, wie ich mich wahlweise beruflich nenne, verbringe ich ohnehin viel Zeit zu Hause im mehr oder weniger kreativen Modus. Eigentlich also gar nicht so viel anders als sonst. Jonglieren, musizieren, texten, kreieren eben – wäre da nicht mein ziemlich leerer Kalender für die nächsten Monate.
Sah das Ganze Anfang März bei uns noch recht harmlos aus – ein paar hundert Fälle, Veranstaltungen wurden noch fest geplant – so sind wir Ende März an einem Punkt angelangt, wo ich mich fragen muss, ob es noch verantwortbar ist, mich mit einer befreundeten Person zu treffen und ob ich dieses Treffen dann lieber geheim halte gegenüber Menschen, die sich selbst in vorauseilendem Eifer komplett von der Außenwelt abschirmen. Verrückt, oder?
Dass ich mich als freiberuflicher Künstler von finanziellen Ängsten nicht allzu schnell ins Bockshorn jagen lasse, war mir schon lange klar – sonst hätte ich diesen Beruf nicht gewählt. Zu welcher relativen Gelassenheit ich nach vielleicht zwei Wochen der Besorgnis gefunden habe, überrascht mich dann doch ein bisschen. Wir KünstlerInnen sind kreativ und machen jetzt vermehrt Onlineformate im Livestream, auf Spendenbasis.
Wenn Krisen aufeinander treffen
Ich möchte den Kreis weiter ziehen, ein kleines bisschen über EU-Grenzen hinaus – etwa zu den 20.000 Flüchtlingen, die im Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos unter engsten und ärmsten Bedingungen gehalten werden, mittlerweile isoliert – denn sie sind für Corona eine tickende Zeitbombe.
Doch neben all den tickernden News um Corona bleibt kaum Platz für Entrüstung über ein Europa, das spätestens jetzt seinen humanitären Anspruch eben maximal auf Europa begrenzt. Ziehen wir den Kreis weiter, wird es noch bedrohlicher. Nicht für uns, sondern für abermillionen Menschen in afrikanischen und südamerikanischen Ländern, wo das Virus später begonnen hat sich zu verbreiten. Zwar können Länder wie Nigeria von den asiatischen und europäischen Erfahrungen profitieren und zügig Maßnahmen einleiten. Doch wie schnell sich das Virus in schlechter gerüsteten Ländern verbreiten wird und wie lange die Gesundheitssysteme dies aushalten, bleibt mit Unbehagen zu erwarten.
Genug Länder litten schon zuvor unter Krisenzuständen, die durch Corona nur verstärkt werden. Seien es politische Krisen wie Bürgerkriege und ausbeuterische Diktaturen oder Versorgungskrisen wie etwa Dürren und, vor der Coronakrise in den Schlagzeilen, Heuschreckenschwärme im Osten Afrikas, die riesige Flächen Land kahlfressen. Vermutlich hat der Klimawandel zu den guten Brutbedingungen für Heuschrecken beigetragen.
Corona und das Klima
Damit kann ich den Kreis nun erdengroß ziehen und auf die, gerade zu Unrecht in den Hintergrund getretene, größte Menschheitskrise blicken: Die Klimakrise. Die Corona-Krise bietet Chancen für Vergleiche, die Möglichkeit zu lernen und vielleicht sogar die Ruhe, umzusteuern.
Doch eins nach dem Anderen. Zunächst zum Vergleich: Auch wenn sich das neuartige Coronavirus ungleich schneller und dadurch sichtbarer ausbreitet, als wir die Folgen der menschengemachten Klimakrise erleben, so ist Letztere deutlich nachhaltiger. Denn Corona kommt voraussichtlich innerhalb von Monaten zu seinem weltweiten Höhepunkt, was die Fallzahlen angeht – binnen Jahren werden wir uns, je nach Weltregion, davon auch wieder erholt haben. Die Klimakrise jedoch spitzt sich seit Jahrzehnten mehr und mehr zu und hat vermutlich schon klimatologische Kipppunkte erreicht, die Auswirkungen für Jahrhunderte haben werden.
Einen interessanten Unterschied zwischen Corona- und Klimakrise gibt es: Von Ersterer sind neben immunschwachen Menschen vor allem Ältere betroffen, hier gilt es für junge Menschen, Solidarität zu zeigen, durch Kontaktvermeidung und Hilfsangebote. Andersherum bei der Klimakrise: Diese betrifft jüngere Menschen mit ihren Folgen offensichtlich umso mehr.
Eine Gemeinsamkeit aber haben verschiedene gefährliche Viren und multiresistente Keime mit dem menschengemachten Klimawandel: Sie haben viel mit unserem Umgang mit Tieren zu tun. Das neuartige Corona-Virus wurde vermutlich von exotischen Tieren, die im chinesischen Wuhan zum Verkauf angeboten wurden, auf Menschen übertragen. Weitere Beispiele für Krankheiten, die aus der Nutzung von Tieren entstanden: Schweinegrippe, Vogelgrippe, BSE, Maul- und Klauenseuche. Nur Covid-19 ist jetzt nochmal deutlich schlimmer. Der anthropogene Klimawandel wird durch einen immer weiter steigenden Ausstoß an Treibhausgasen ausgelöst und diese stammen zu einem ordentlichen Teil aus der Tiernutzung, vor allen Dingen aus der Massentierhaltung.
Der allergrößte Teil, der in der westlichen Welt verspeisten Tiere, stammt aus ebensolchen Anlagen. Wenn ich nur einen Tipp geben dürfte, wie jede/r die Welt ein bisschen besser machen könnte, wäre es der, keine tierischen Produkte mehr zu konsumieren. Das ist heute leichter denn je und hat mehr und weitreichendere positive Auswirkungen als jede andere individuelle Maßnahme.
Eine Chance für unsere Zukunft
Corona ist für die Klimabewegung und damit, salopp gesagt, für unser aller Zukunft, Fluch und Segen zugleich: Es nimmt zunächst den Fokus weg von der größeren Krise, zeigt uns aber auch: Wenn wir Einzelnen und ganze Staaten eine Krise ernst nehmen, sind drastische und wirkungsvolle Schritte möglich. Gerade im fürs Klima so entscheidenden Jahr 2020 bekommen wir also eine Verschnaufpause von der alltäglichen Hektik und die Chance, zu reflektieren und zu erkennen, was wir wirklich brauchen und welche Dinge wir auch weglassen können, ohne uns die Chance auf ein glückliches Leben zu nehmen. Ein wenig Demut also. Wir könnten uns fragen, ob wir etwas tun müssen, nur weil wir es können. Ob wir an die exotischsten Orte der Welt reisen müssen, nur um bei unserem Instagram-Feed mithalten zu können.
Wir, in der westlichen Welt, leben mehr oder weniger im Übermaß. Wie sehr, das kann sich jede/r online ausrechnen lassen in Form eines ökologischen Fußabdrucks. Dafür wäre jetzt eine gute Zeit. Ein paar Vorsätze für die Zeit nach Corona machen, in der dann immer noch Klimakrise herrscht. Weniger Klimaschädliches, mehr Gutes (wieder)entdecken.
Vorletzten Sommer war ich nach langer Zeit mal wieder im Urlaub. Ich bin zwei Wochen mit dem Auto durch Deutschland gefahren. Zugegeben: Eine teure Flugreise wäre nicht drin gewesen – war aber auch gar nicht nötig, bei all den interessanten Landschaften im Osten und Norden der Republik, die ich bereist habe. Relativ simpel ausgestattet, mit Gaskocher und veganen Tütengerichten, erlebte ich diesen Roadtrip als vielleicht größeres Abenteuer als ich mir eine Pauschalreise durch Sri Lanka vorstelle. Zugegeben: Zu Fuß durch Deutschland zu wandern, wäre ökologisch am besten gewesen. Aber das kann ja noch kommen.
Nachhaltigkeit cool machen
Ich glaube es reicht leider nicht aus, bei Menschen für die Klimaproblematik Verständnis wecken. Nachhaltigkeit muss cool werden. Durch positive Beispiele, nicht belehrend, sondern inspirierend. Da gibt es schon Menschen, die voran gehen. Seien es Initiativen für weniger oder biologisch abbaubare Verpackungen, Unverpacktläden, Foodsharing, die Plattform Traivelling, die Zugreisen durch ganz Europa und bis nach Asien erleichtert oder all die kleinen veganen Marken mit allerlei interessanten Produkten – es gibt ja diese Phrase: Der Fantasie sind keine Grenze geboten.
Grenzen gibt es, das merken wir zur Zeit besonders, und wird es immer geben. Doch was ich als Kreativer Euch mitgeben möchte: Je klarer und enger die Grenzen gezogen werden, desto stärker treibt das unsere Kreativität an – klingt komisch, ist aber so. Und wenn ich nur meine paar Quadratmeter Wohnung habe in dieser Krise, so kann in diesen Wochen eine berührende Jongliernummer entstehen, die in normalen Zeiten des Überdrusses so nicht zustande käme. Zugegeben, das ist dann „nur“ Unterhaltung. Aber vielleicht auch Inspiration für manche. Und so lasst uns Grenzen nicht nur als Beschränkung sehen sondern als Chance, unter neuen Bedingungen das Beste aus der Situation zu machen. Für uns als Einzelne, für uns als Weltgemeinschaft. Hach, jetzt werd ich doch noch pathetisch. Genug. Ich höre auf. Für heute. Danke für’s Lesen.
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