Erich Fromm wusste nicht nur über die Liebe etwas sehr Wahres zu sagen, („Es ist, was es ist“), sondern auch über die Kreativität des Menschen traf er eine zutreffende Aussage: „Kreativität erfordert den Mut, Sicherheiten loszulassen.“ An dieses Zitat sollten wir uns öfter erinnern, wenn wir mal wieder vor einem leeren Blatt Papier sitzen, in der Kiste mit Künstlerbedarf kramen, die wir mit den besten Vorsätzen gefüllt und dann nie wieder angerührt haben oder wenn wir das eine Kleidungsstück traurig und ungetragen im Schrank hängen sehen, das einfach für jeden Anlass zu ausgefallen scheint. Kreativität braucht Mut! Und dann gibt es da noch diesen zweiten Satz der auf einem Post-It in unserem Hinterkopf haften bleiben sollte und der in etwa das Gegenstück zu Fromms Feststellung ist. Die Schriftstellerin Sylvia Plath („Die Glasglocke“) sagte: „Der schlimmste Feind der Kreativität ist der Selbstzweifel.“
Hier lässt sich ablesen, wie wichtig es für jeden Menschen und besonders für Künstler ist, an sich und das eigene Schaffen zu glauben. In der sogenannten Postmoderne – was immer das genau ist – überfällt einen schnell das Gefühl, alles wäre so oder ähnlich schon da gewesen und da wäre nichts, was man dieser übersättigten Welt noch zu geben hätte. Dazu kommt, dass wir in einer (Arbeits-)welt leben, die zuerst nach dem ökonomischen Nutzen einer Sache fragt. Dieses Denken hat sich uns schon in der Schule eingeprägt, wo wir zu möglichst effizienten Arbeitnehmern und Unternehmern am Wirtschaftsmarkt herangezogen werden. Dabei bleiben die künstlerischen Talente schon mal auf der Strecke. Oft fehlt uns im Alltag, der einen Großteil unserer Energien verschlingt, die nötige Muse. Ein andermal ist es der Saboteur in uns, der heimtückisch Zweifel in unser Vorhaben säht.
Schicksal eines Schreiberlings
Dazu möchte ich meine persönliche Geschichte des Schreibens schildern, das immer meine große Leidenschaft gewesen ist: Ich habe einen ermüdenden Kampf hinter mich gebracht, bis ich zu einer gewissen Schreibsicherheit gefunden habe. Ich war geplagt von Selbstzweifeln darüber, ob das, was ich tue, einen Wert hat. Bin ich talentiert genug? Tauge ich wirklich fürs Schreiben? Wird sich auch nur eine Person außer meiner Mama dafür interessieren? (Mama, wenn du das liest, ich hab dich lieb!) Was aus meiner Feder stammte, gefiel mir grundsätzlich nicht. Ich hatte Probleme, damit zu meinen Gedichten zu stehen und gleichzeitig habe ich aber davon geträumt, irgendwann entdeckt zu werden. Und das zu einem Zeitpunkt, da ich so von destruktiven Gedanken blockiert war, dass ich kaum etwas zu Papier bringen konnte. Jedes Mal, wenn ich produktiv sein wollte, hat sich sofort eine Stimme in meinem Kopf eingeschaltet und mein Amateurdasein gnadenlos kommentiert. In einer Umgebung, in der es von Haus aus wenig Menschen gab, die sich überhaupt für Lyrik interessierten (gleichaltrige Jugendliche fanden das in der Regel schwer uncool) war ich diejenige, die die gemeinsten Sprüche klopfte. Ich war immer mein schlimmster Kritiker.
Die Geburt einer Mimose
Dass man gleichzeitig quasi nach Zuspruch giert, um sich daraufhin Erfolgsfantasien hinzugeben, mag auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen. Ich denke aber, beide Seiten gehen Hand in Hand. Einerseits ist da der Wunsch, aus eigener Kraft etwas hervorzubringen, das als gut tituliert werden kann. Das innere Drängen, Output zu liefern und nicht nur unter dem Strom an Eindrücken unterzugehen, die jeden Tag auf einen niederprasseln. Der Olymp ehrenwerter Persönlichkeiten, zu denen man aufblickt und zu deren Club man unbedingt einen Mitgliedsausweis will. Oft ist es ja der eigene gute Geschmack, der einen überhaupt erst ins Spiel gebracht hat. Auf der anderen Seite stößt man als Anfänger wie in jedem Handwerk zu Beginn an seine Grenzen. Man weigert sich, einzusehen, dass es zum besseren Gelingen Geduld und Übung braucht. Es klafft ein Abgrund zwischen dem, was einem gefällt und dem, was man im Stande ist selbst hervorzubringen. Und je unsicherer man ist, desto mehr zählt man auf die Meinung von Außenstehenden. Eine Mimose ist geboren!
Manchmal ist es auch die Angst, missverstanden zu werden, die einem die Schranken weist. Es ist mir immer wieder passiert, dass ich mit meinen Gedichten verwechselt wurde. Viele Leser denken, wenn sie vor einem halbwegs tiefgründigen Gedicht von mir sitzen, automatisch, mein Jahr bestünde aus 365 verregneten Tagen, an denen ich gedankenversunken mit dem einen Auge aus dem Fenster und mit dem anderen in die Abgründe meiner Seele blicke. Stößt euch so etwas zu, seht euch mit der altbekannten Tatsache konfrontiert, dass die Menschen gerne Labels verteilen, um sich die Welt besser zu erklären. Früher hat es mir Sorgen gemacht, dass andere glauben könnten, ich sei ein trauriger Clown. Heute denke ich, nur weil ein Maler eine Giraffe malt, ist er noch keine. Außerdem müsste man sich für ein Dasein als trauriger Clown oder Giraffe nicht entschuldigen.
„The best way out is always through” – R. Frost
Früher war ich insgeheim überzeugt, wenn mir nicht täglich ein genialer Text zufliegt, läge das an mangelndem Talent. Dann müsste ich ab jetzt ein sinnentleertes Dasein führen als langweiliger Nicht-Autor/Musiker/Maler/Fotograf. Wie schrecklich! Zum Glück ist die Welt nicht so schwarz-weiß, wie mein damaliges Ich sie gesehen hat. Man hätte denken können „Wieso lässt sie es nicht einfach, wenn es ihr gar keinen Spaß macht?“ Aber dass ich die inneren Kämpfe ausgetragen habe, zeigt mir nur umso mehr, wie dringend mir die Sache war. Alles führte mich wieder zum Schreiben zurück. Heute bin ich mit meinen Startschwierigkeiten ausgesöhnt. Wieso ich dennoch diesen ellenlangen Monolog schreibe ist: Es hilft von den Sorgen und Nöten anderer Kreativer zu hören.
Produktiv sein ist alles
Alle da draußen, die ihr von Zeit zu Zeit unsicher seid, ob ihr das Zeug habt zum Künstler habt, sollt wissen, dass ihr es bereits in dem Moment seid, in dem ihr etwas Wahrhaftiges aus euren Gefühlen und Gedanken formt. Du musst nicht noch mehr kluge Bücher wälzen oder nochmal durchs Internet fliegen für Inspiration oder noch ein Jahr Lebenserfahrung sammeln für den Stoff. Wenn du ein Autor sein willst, gibt es nur einen einzigen Weg: Du musst schreiben! Das gleiche gilt für bildende Kunst, Fotografie und andere verwandte Disziplinen. Und du wirst viel Unverwertbares produzieren, jede Menge Durchschnittliches, aber das ist der Weg zu den Perlen. Alle Dinge der Welt brauchen Entwicklung. Die Kreativität sollte ein wertfreier Ort sein.
Stell dich nicht in Frage, wenn dir die genialen Kniffe nicht wie von Zauberhand zufliegen. Es wird viel zu selten gesagt, dass Kreativität auch Arbeit bedeutet. Bei den anderen sieht es immer so leicht aus, nicht wahr? Und wie befreiend es sein kann, wenn ein Schriftsteller auf die Frage nach seiner größten Inspiration einmal nicht antwortet: „Begegnungen und die Natur“ (die selbstverständlich auch sehr wichtig sind), aber nein, wenn er antwortet: „Am meisten inspirieren mich Deadlines“. Hallelujah! Also, liebe kreative Zweifler lasst diese ganzen ungesunden Bedenken hinter euch, seid euer eigener Maßstab und schert euch nicht darum, wie die Postpostmoderne oder irgendwer über euch denkt. Greift zum Pinsel, zum Bleistift, zur Kamera, zur Tinte und tragt dieses ausgefallene Teil aus dem Schrank mit der größten Selbstverständlichkeit, die ihr aufbringen könnt!
Checkliste für kreative Zweifler:
– Erlaube dir ein Anfänger zu sein!
– Folge deinem Instinkt!
– Kehre immer wieder zu den Dingen zurück, die dich inspirieren!
– Vergleiche dich nicht mit anderen, sondern sei dein eigener Maßstab!
– Sei dein eigener Unterstützer und Förderer!
– Befreie dich von unrealistischen Ansprüchen und Erwartungen!
– Tausche dich mit anderen Künstlern aus!
– Hab Geduld und sei stolz auf deine Entwicklung!
– Geh spielerisch an die Dinge heran und erlaube dir zu scheitern!
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