In Bayern funktioniert das Wahlsystem etwas anders als im Bund. Warum manche Kandidaten trotzdem im Parlament sind – obwohl ihre Partei überhaupt nicht genug Stimmanteile hat.
Meine jüngste Schwester ruft mich an. Das passiert sonst nie. Auch wenn ich sie anrufe, gibt sie sich immer nur sehr wortkarg. Typisch Teenager halt. Sieben Jahre Altersunterschied sind doch manchmal ganz schön viel. Umso erfreuter bin ich, dass sie mich anruft. Seit ich in meinem Auslandssemester in Korea bin, telefonieren wir noch seltener.
„Was gibt´s? Wie geht´s dir so?“, frage ich.
„Ich bin ja sowas von im Stress“, seufzt meine 13-jährige Schwester.
„Im Stress? Mit 13? Wovon hast du denn bitte schön Stress? Pass auf, sonst kriegst du noch mehr Pickel“, warne ich sie.
„Ich habe eh schon einen ganz großen am Kinn“, sagt sie und schaltet die Videokamera ein, um ihn mir zu zeigen.
„Ich hab gerade auch einen ganz großen an der Lippe“, sage ich und schalte auch meine Frontkamera an und zoome an den Pickel ran.
„Ihhhh“, sagt meine kleine Schwester, „voll eklig.“
„Also mein Kind“, sage ich, „woher rührt also der ganze Stress?“
„Ich habe ja sooooo viel für die Schule zu tun“, jammert sie.
Die Kleine hat Glück, noch keinen Unistress erlebt zu haben.
„So so. Was steht denn so an?“, frage ich.
„Ich muss morgen einen Wochenbericht in Gemeinschaftskunde halten und du studierst ja Politik, ich wollte fragen, ob du mir helfen kannst“, sagt sie.
Ich platze fast vor Stolz. Als Politikstudent ist man leider nicht nur in der Gesellschaft ziemlich nutzlos, sondern in einer Ärztefamilie wie der meinen ungefähr so nutzlos wie der Kehrbesen, seit meine Mutter den Staubsaugerroboter gekauft hat.
„Natürlich! Ich helfe dir gerne“, erkläre ich stolz.
„Kannst du mir erklären wie die Bayerische Landtagswahl funktioniert? Irgendwie verstehe ich das nicht“, meint sie.
„Die Bayerische Landtagswahl? Oh, ja, ähm, natürlich kann ich dir das erklären“, sage ich langsam und klappe in Windeseile meinen Laptop auf und google „Bayerische Landtagswahl“. Auf Wikipedia ist Verlass.
„Irgendwie verstehe ich das mit der Erst- und Zweitstimme nicht, das ist anders als bei der Bundestagswahl“, sagt sie.
„Anders als bei der Bundestagswahl?“, frage ich und versuche, so schnell wie möglich den Artikel über Erst- und Zweitstimme in der Bayerischen Landtagswahl zu lesen. So kompliziert war ja noch nie ein Wikipedia-Artikel.
„Ja, und ich verstehe den Unterschied nicht“, sagt sie.
„Also ähm, bei der Bundestagswahl wählt man ähm mit der Erststimme den regionalen Abgeordneten und mit der Zweitstimme die Partei und, äh, darüber wird dann entschieden, wie viele Sitze jede Partei bekommt und das äh geht über so Listen“, stottere ich, um Zeit zu gewinnen. Der Wikipedia-Artikel ist nämlich ganz schön lang.
„Ja, das weiß ich“, sagt meine kleine Schwester ungeduldig, „Aber wie ist das in Bayern?“
Endlich habe ich den passenden Abschnitt gefunden.
“Ähm, also mit der Erststimme, äh, ist das genauso wie bei der Bundestagswahl, man wählt äh einen regionalen Abgeordneten, die äh sogenannten Stimmkreiskandidaten. Und äh dann mit der Zweitstimme wählt man jemanden direkt von äh diesen Listen“, druckse ich herum.
„Aber ist das dann nicht das gleiche?“, hinterfragt sie mich sofort.
„Also, wie es scheint, wählt man direkt die Kandidaten von der Liste in der Zweitstimme, anders als bei der Bundestagswahl, wo man die Partei wählt und dann über die Listen entschieden wird, wer ins Parlament kommt und wer nicht“, erkläre ich.
Endlich habe auch ich es verstanden.
„Ah okay, danke“, sagt sie, „ich glaube jetzt verstehe ich es auch.“
„Gerne“, antworte ich stolz, „ich bin froh, von Nutzen gewesen zu sein.“
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