Im Artikel wird das Versagen der Neuen Rechten angesichts der Corona-Krise untersucht. Man schwankt zwischen hinkenden historischen Vergleichen, narzisstischer Selbstinszenierung und karnevalesken Kalauern – auch das rechte Lager ist nicht vor den Fängen der Postmoderne gefeit. Bei alle dem gibt es dennoch Ansätze, die Sorgen bereiten und mitunter gefährlich sind.
Unter dem Hashtag #Aufstand folgt eine Artikelreihe von Timo Feilen, der sich den Corona-Protesten aus unterschiedlichen Blickwinkeln annähert. Seine Devise lautet dabei: Verstehen statt verurteilen!
Auftakt
Man hat es heute als Rechter nicht mehr leicht. Es gibt keine Flüchtlingsströme mehr, über die man sich lauthals beschweren könnte, stattdessen gibt es nun die ‚feindliche Übernahme‘ durch Corona. Das Problem: Der Feind Corona entstammt nicht einer bestimmten Nation, trägt keine bestimmte Hautfarbe und hat auch keine ‚spezifische Kultur‘ – Corona ist aus rechter Sicht ein denkbar schlechter Feind, um gegen ihn agitieren zu können. So also ist es kein Wunder, dass man sich auf rechter Seite nicht unmittelbar gegen den Feind Corona wendet, sondern – und hier liegt das Besondere – gegen den Metadiskurs der Corona-Demos. In den letzten zwei Artikeln wurde deutlich, dass es sich bei den Corona-Demos im Jahr 2020 nicht um per se ‚rechte Proteste‘ handelte, sondern um dezidiert postmoderne Proteste, die letztlich ein Symptom sterbender Protestkultur sind. Die Proteste zeigen, so die These, somit mehr über ihren Ursprungskern, die Mitte der Gesellschaft. Sicherlich mischen sich unter diese bedeutungsverlustige Mitte auch die Ränder der Gesellschaft. So zeigen sich durchaus ‚Linke‘ und ‚Rechte‘ unter den Protestierenden, wenngleich hier nur grob geurteilt werden kann, da man sich lediglich auf ein Wählerprofil berufen kann, welches Grünwähler als links bezeichnet, während alle AfD-Wähler rechts oder gleich Nazis sind.
Da nun die Rechten – und hiermit sind insbesondere die Rechtsintellektuellen rund um Schnellroda und die Sezession gemeint – an diskursivem Boden verlieren, stürzen sie sich ins Schlachtengetümmel, ohne jedoch so recht zu wissen, wofür oder wogegen, mit wem oder gegen wen man eigentlich ist. In der Regel ist man sich in Schnellroda recht schnell einig, was Sache ist. Intellektualität kennt auch hier die Grenzen des gemeinsamen Feindes: Solange es Flüchtlinge gibt, ist ungefähr klar, wie man zu argumentieren hat. Zwar gibt es auch hier noch Differenzierungsgesuche innerhalb der Szene – schließlich versteht man sich als wissenschaftlichen Think-Tank -, doch ist die ungefähre Linie stets deutlich zu erkennen. Nun aber ergibt sich ein unterhaltsames Paradox: Während Rezo weiß, dass die Corona-Demos Naziveranstaltungen sind, sind sich die Rechten selbst nicht mehr so sicher, was hier eigentlich vonstattengeht.
Mitnichten soll hiermit der Duktus der Distanzierung gemeint sein: „Nein, nein, damit haben wir nichts zu tun. Die Pegida-Demos sind keinesfalls rechts, sondern hier treten besorgte Bürger auf“. Vielmehr besteht die Unsicherheit darin, dass eine ‚Aneignung der Proteste von rechts‘ scheinbar nicht möglich ist – man ist sich in Schnellroda nicht sicher, ob man überhaupt hinter den Protesten steht oder stehen will. Das müsste Rezo verwundern: Scheinbar wissen die Rechten selbst nicht mehr, was rechts ist und was nicht. Im Folgenden soll der Corona-Diskurs von rechts außen untersucht werden, um zur schon angeklungenen These zu gelangen, dass man gerade einerseits ein amüsantes intellektuelles Versagen der Rechten beobachten kann, wobei jedoch einzelne Analysen nicht zu unterschätzen sind: Die ‚feindliche Übernahme‘ der Demos gelingt nicht – zumindest noch nicht. Bevor jedoch die Übernahme von rechts gelingen könnte, zeichnet sich eine Krise der ‚rechten Identität‘ ab, die hier zu untersuchen ist.
Die Weltmeister der historischen Vergleiche – Geschichte als Herrenwitz
Worin besteht nun aber der Kern rechter Argumentation bezüglich Corona? Anders als die Schnellroda-Lakaien, die das Geschehen aus der Distanz ‚beobachten‘, wirft man sich in den AfD-nahen Kreisen rund um das Compact-Magazin unmittelbar in das Getümmel und schreit laut gegen alles, was nach Grundrechtsverletzung klingt. Dabei bleibt es jedoch nicht beim legitimen Protest, sondern es werden historische Vergleiche aus dem Hut gezaubert, die selbst Houdini erschreckt hätten: Der 18. November 2020, so heißt es, sei der Tag „an dem das Grundgesetz starb.“ Frank Haußner erklärt seine Theorie so: „Der Staat hat heute sein wahres Gesicht gezeigt: Wir leben in einem Militärstaat. Friedliche Menschen, ältere Leute und junge Frauen wurden mit Wasserwerfern attackiert.“ Mindestens vier Reaktionen sind nun möglich. Entweder man lacht, man weint, man rollt mit den Augen oder aber man nickt begeistert mit dem Kopf. Unabhängig von der körperlich-affektiven Reaktion auf diese schlechte Pointe rechter Karnevalistik – leider hat man hier auch den obligatorischen Jambus der Büttenrede verpasst – muss darauf verwiesen werden, auf welches Phänomen sich Haußner hier bezieht.
Wasserwerfer der Polizei lösten unter Einsatz seichten Sprüh-Regens die Corona-Demonstration in Berlin auf, nachdem unter mehrfacher Ermahnung die Demonstrationsauflagen nicht eingehalten wurden. Man ist gewillt, die stilistische und inhaltliche Meisterleistung Haußners mit einer abschätzigen Bewegung wegzuwischen, jedoch offenbart sich hier doch das Staats- und Militärverständnis Haußners: Für ihn gibt es keine Trennung zwischen Militär und Polizei (im Übrigen denken das auch einige Linke, die die Polizei verachten, weil sie den ‚faschistoiden Staat‘ militärisch unterstützte). Diese Situation gab es faktisch zwischen 1939 und 1945 – damals setzte man bloß keine Wasserwerfer ein, um Demonstrationen aufzulösen – diese kamen erst gar nicht zustande, da die potentiellen Gefährder in Konzentrationslagern oder Gefängniszellen der Gestapo einsaßen. Herrschten heute Staatsverhältnisse wie zu dieser Zeit, könnte sich Haußner in seiner – wenn er Glück hätte – Zelle Gedanken über die Wasserwerfer und die Militärdiktatur machen. Das Lied der Freiheitsverächter, die die Freiheit angreifen, hat eben nur wenige Strophen.
Überhaupt hagelt es derzeit NS-Vergleiche. Dass dieser historische Herrenwitz übelster Sorte von Rechten geäußert wird, ist mittlerweile keine Pointe mehr wert: Der Staat ist totalitär, weil er Wasserwerfer einsetzt – das sagt auch Rezo, allerdings beklagt er sich hier, weil seine eigenen linken Gesinnungsgenossen auf ‚brutalste Weise’ angegriffen werden -, überhaupt aber zeitigen die Masken schon eine neue Diktatur. Mal werden die Masken mit dem Judenstern verglichen, mal fühlen sich Hampelfrauen als Nachfahren der Sophie Scholl beordert. In jedem Fall aber wird hier klar: Die ohnehin nie dagewesene Demokratie ist abgeschafft, man geht auf eine Diktatur zu und Merkel bedroht zur Not das eigene Volk mit Atomwaffen. Das Interessante ist hierbei abermals das Problem der Feindeskonstruktion: 1933 bedurfte es keiner massiven Anstrengung, um einen Feind wie ‚den Juden‘ zu konstruieren, gegen den man vorgehen konnte – Juden waren schlichtweg sichtbar. Da nun bei einem Virus die Sichtbarkeit selbst unter dem Mikroskop wegfällt oder wenigstens erschwert ist, wendet man sich gegen die ‚Verantwortlichen‘ der Krise. Die Argumentation funktioniert wie folgt: Man kann den Virus nicht sehen, ergo gibt es ihn nicht. Wenn es ihn aber doch gibt, ist er nicht gefährlicher als eine Grippe. In beiden Fällen ist jegliches staatliches Eingreifen ein Akt der überflüssigen Gewalt gegen die Bürger des Staates. Jedes gewaltvolle Eingreifen des Staates ist ein Verstoß gegen das Grundgesetz und jeder Verstoß gegen das Grundgesetz zeitigt einen neuen Staatsautoritarismus und letztlich ein neues in den letzten Zügen liegendes Weimar.
Wenn den Rechten diese historischen Vergleiche zu platt werden, wühlt man ein wenig tiefer in den Geschichtsbüchern der Oberstufe. Frank Haußner klärt auf: „In Zeulenroda, Schleiz, Sonneberg und in zahlreichen anderen Städten in Thüringen haben wir wieder Montagsdemonstrationen wie 1989. Es ist eine große Aufwachbewegung angestoßen wurden. Andererseits greift in kleinen Schritten auch eine Diktatur um sich.“ Heinrich Fiechtner ergänzt, man habe heute eine Freiheitsbewegung wie 1968. Oder aber man vergleicht die ‚Corona-Verordnungen‘ mit dem Notstandsgesetz. Hier schlägt uns die Postmoderne ihre hässliche Fratze voller Stolz entgegen: Wir haben also einen Mix aus 1934, 1939, 1968 und 1989. Man sieht die Historiker förmlich unruhig auf ihren Sesseln sitzend und Nägel kauend: Wie bringt man diese Bewegungen bloß zusammen? Die kurze Antwort: Überhaupt nicht, weil mit Harry G. Frankfurt hier mächtig der Bullshit-Alarm geläutet werden muss. Spätestens wenn Jürgen Elsässer behauptet, die Proteste dürfen jetzt nicht gleich der RAF „in die Gewaltfalle laufen“, ist eigentlich alles gesagt. Wie im Kabarett tritt ein Künstler nach dem anderen auf und versucht seinen Vorredner mit der Qualität des Schwachsinns zu überbieten. Wenn es sonst heißt: „Wenn es keinen Gott gibt, ist alles erlaubt“, so heißt es jetzt: „Wenn es kein Corona gibt, dann ist alles erlaubt“. Wenn es Corona tatsächlich nicht gäbe, könnte man mit der Haltung intellektueller Herablassung eine gewisses ‚Trash-TV-Genugtuung‘‚ an den Tag legen, angesichts der objektiven Idiotie aber – hier liegt eben der Unterschied zu einschlägigen Produktionen von RTL – wird klar, dass hier eben nichts inszeniert wird. Die Dummheit hat sich kein unterforderter Regisseur ausgedacht.
Aufwachen! – Vom intellektuellen Dauerschlaf
Es geht also „um die Verteidigung unserer Freiheit und unserer Demokratie gegen das quasi-diktatorische Ermächtigungsgesetz der Herrschenden.“ Abseits aller Polemik erklärt dieser Satz tatsächlich einen nicht geringfügigen Teil des in Berlin vorgelebten Fanatismus der Demonstrierenden. Nicht nur schlägt der schon gezeigte postmoderne Bedeutungsverlust in einen neuen religiösen Fanatismus mit Eventcharakter um, sondern vor allen Dingen zeigt sich hier, um was es einem Teil der Protestierenden tatsächlich geht. In Berlin und anderswo entscheidet sich die Zukunft der Bundesrepublik – mindestens -, wenn nicht sogar der gesamten Welt. Die Maske ist insofern ein äußerst dankbares Symbol, verdeckt sie doch die Münder der sonst so mündigen Bürger. Die Maske ist in diesem Verständnis also eine Verunmöglichung des mündigen und damit politischen Bürgers.
Dass die Maske eigentlich das medizinische Leben der Bürger ermöglicht, spielt in der Symbolpolitik keine Rolle – schließlich gibt es ja kein Corona. War noch im letzten Artikel vom Ende der Symbole die Rede, muss hier festgestellt werden, dass zwar die Symbole alter Institutionen ihre Bedeutung verloren haben, nun aber werden neue Symbole aus der Erde gestampft, die abermals für gewaltige Institutionen stehen. Die Maske symbolisiert hier alles Obengenannte: Den totalitären Staat, den Nationalsozialismus, die Polizei, das Militär etc. Die markante Physikalität und Sichtbarkeit der Maske macht den unsichtbaren Virus plötzlich sichtbar – nämlich in der Form der angeblichen Freiheitsberaubung. Das aber führt zu einem logischen Fehlschluss mit Lehrbuchcharakter: Corona bedeutet Diktatur – auch schon das Reden über das Nicht-Existente ist problematisch, denn jede Rede tut so, als gäbe es das ‚Ding Corona‘. So also okkupiert man das kleine Einmaleins klassischer Diskurstheorie à la Foucault für sich: Diskurs = Macht = (politische) Wahrheit. Linke argumentieren nicht selten ähnlich, wenn es darum geht, bestimmte Worte nicht zu verwenden, da schon die reine Nennung der Worte ‚herrschende Strukturen‘ (was auch immer das sein soll) bekräftigen würde.
Dieser diskursive Kampf wird gerne als „Wahrheitsbewegung“ tituliert, was gar nicht mal so unpassend ist. Einerseits könnte man in Philosophie-Seminaren darüber sprechen, was mit dem Begriff der Wahrheit passiert, wenn Lügner die Lüge als Wahrheit und gerade die Wahrheit als Lüge bezeichnen, andererseits aber liegt der Begriff der „Wahrheitsbewegung“ insofern nicht weit ab vom Schuss, als dass hier im Sinne der obgenannten Logik eine ‚neue‘ Wahrheit konstruiert wird, die faktische politische Macht entstehen lässt und somit durchaus ‚realen‘ Charakter hat. Jedoch wird der Begriff der Wahrheit im rechtsintellektuellen Lager abermals dermaßen weit ausgedehnt, dass die theoretisch nicht uninteressanten Gesuche der Corona-Demonstranten wieder lächerlich gemacht werden. Besonders ärgerlich sind aus dieser Perspektive die Ausführungen Caroline Sommerfelds, die es nicht lassen kann, ihre philosophische Schulung aufblitzen zu lassen.
Ihre These: Die Corona-Demonstranten treten wie die Angeketteten der Platonischen Höhle der Sonne und damit der Wahrheit entgegen. „Der gemeinsame Nenner der vielen dort Versammelten ist: „Wir glauben euch die Lügen nicht!“, heißt es in ihren Ausführungen. Spätestens an dieser Stelle hört auch der intellektuelle Spaß auf. Zeigt sich doch hier, dass nicht nur jeder historische Vergleich lieb ist, um seine Ideologie zu untermauern, sondern man marschiert gleich ohne Unterlass mit der Pflückzange durch den Garten der Philosophiegeschichte, schneidet sich die Blumen ab, die man gerade schön findet und bastelt sich daraus einen nett anzusehenden Kranz. Zur Folge hat das bloß, dass Platon kurzerhand zum Vater der Corona-Leugner erklärt wird. Vor dem geistigen Ohr hört man schon die Schreie derer, die Kant als Vater der „Aufwachen-Bewegung“ besingen werden – man wird dann Kant als ‚Corona-Aufklärer‘ huldigen, der noch obendrein Vater des Grundgesetzes ist, das doch bekanntlich am 18. November 2020 starb. Hier jedoch zeichnet sich schon deutlich ab, dass studierte Rechtsintellektuelle scheinbar nichts mehr zu sagen haben – die seltenen qualitativen Beiträge sucht man vergebens, nun hat aber auch das Kabarett einen Tiefpunkt erreicht.
Die mangelnde Identität der Identitären
An den politischen Rändern zu stehen – das gilt für links wie rechts – bedeutet auch und vor allen Dingen: Klare Haltung beziehen. Je einfacher, desto besser. Der Löwenanteil rechter Politik funktioniert vor allen Dingen durch diese Fiktion der klaren Haltung, die ein gemeinschaftsradikalistisches Wir-Gefühl schafft. Verbrüdert, bei Linken mittlerweile gar verschwestert, tritt man dann auf die politische Schaubühne und grölt Allgemeinplätze wie: „Flüchtlinge sind schuld an allem“ oder: „Das Patriarchat ist Exklusion, der Kapitalismus ist Exklusion, Rassismus ist Exklusion“. Was sowohl auf rechter als auch auf linker Seite sonst reibungslos funktioniert, erscheint angesichts der Corona-Demonstrationen beträchtlich schwieriger. Wie schon angedeutet, ist man sich in Schnellroda nicht ganz sicher, was man von den Demos halten soll: Sind sie ein Befreiungsakt gegen den Nationalsozialismus 2.0 oder doch ein ziemlich lapidares oder gar abzulehnendes Ereignis braver Bürger? Zwischen diesen Extremen gibt es wohl keine Position, für die nicht argumentiert wird. Johannes Poensgen etwa schreibt in der Sezession, dass die Neue Rechte in Bezug auf Corona und die Corona-Demos dringend einer eigenen Position bedarf. Diese rechte Position muss sich dann von der ‚Meinung des Pöbels‘ unterscheiden. Was genau der Pöbel nun sein soll, wird nicht ganz klar. Jedenfalls gehört der Pöbel wohl nicht zum Dunstkreis der Sezession-Leser, die Oswald Spengler Porträts auf ihren Schreibtischen stehen haben. Mit dem Pöbel sind wohl jene gemeint, die demonstrieren, weil sie die Corona-Politik nicht nachvollziehen können und nun also auf die Straße gehen – was im Kern nicht verurteilt werden darf und auch nicht rechts ist (siehe zweiter Artikel der Reihe).
Verzweifelt versucht Poensgen hier etwas wie das Bild einer rechten Elite aufrechtzuerhalten – wie schon Caroline Sommerfeld möchte er über die intelligenteste Meinung und damit auch über ein gewisses Differenzierungspotential verfügen, das man wie folgt formulieren könnte: „Wir glauben zwar auch nicht an Corona, aber wir finden die klügsten Argumentationen dafür und sind obendrein noch rechts.“ Die Verzweiflung Poensgens rührt wohl auch daher, dass man in Schnellroda bemerkt, dass es sich bei den Demonstrationen (noch) nicht um politische Veranstaltungen handelt, sondern um klassische Verhaltensrevolten im Sinne Foucaults (siehe zweiter Artikel der Reihe). Anstatt nun aber den einleuchtenden Weg zu gehen und zu versuchen, die Demonstrationen ordentlich mit rechter Ideologie zu würzen – um sie allgemein zu politisieren und damit der Verhaltensrevolte zu entziehen -, zieht man sich zurück und gelangt zur Erkenntnis, dass sich ein primitiver Virus – anders als Flüchtlinge – eben nur äußerst schwer politisieren lässt: Das Maskengebot als Auftakt einer Militärdiktatur zu sehen, ist Poensgen ungleich zu seinen Kollegen zu peinlich. Was aber stattdessen? Auf rechter Seite schreibt man Artikel, die inhaltlich durch Nichtigkeit glänzen, ein Umstand, der jedoch wiederum ein interessantes Bild entwirft. Anstatt nichts zu schreiben, einfach aus dem Grund, weil man nichts Gescheites zu sagen hat und das auch implizit weiß, muss man doch in die Tasten hauen, um der Öffentlichkeit zu beweisen, dass man in Schnellroda eine Krise der rechten Identität durchlebt. Die Corona-Demonstrationen werden somit zum ungewollten Negativ rechter Selbstpräsentation: Gebildet, aber thesenlos.
Die Corona-Krise ist auch eine Krise rechter Selbstpräsentation – es will schlichtweg nicht gelingen, eine gemeinsame Strategie zu fahren, da schon der Feind nicht fassbar ist. Es häufen sich die Stimmen derer, die eine gewisse Resignation bezüglich der Proteste an den Tag legen: Man ist zwar grundsätzlich gegen den gutgläubigen Protest des ‚Pöbels‘, der eigentlich gar nicht rechts ist, jedoch muss man ein Auge zudrücken und anerkennen, dass es eine gewisse Schnittmenge zwischen der Neuen Rechten und den Corona-Demonstranten gibt. So lässt es sich auch erklären, warum Reichsbürger neben Hippies stehen und für Harmonie plädieren: Die Ideologien werden kurzerhand zwecks einer rationalen Zweckgemeinschaft transzendiert, man verbrüdert sich mit runzelnder Stirn und schämt sich vielleicht gar vor dem allabendlich zu grüßendem Kaiser, doch bedarf es einer gewissen Opferbereitschaft, um gegen den auserkorenen Feind zu kämpfen – beziehungsweise ihn erst zu finden. An einer besonders lakonischen Stelle wird den Lesern der Sezession empfohlen, „sich einstweilen erstmal an der bunten Unordnung zu freuen“. So karnevalesk kannte man die Neuen Rechten bislang noch nicht. Die postmoderne Ubiquität macht eben vor keiner Gesinnung halt und fordert den Tribut der politischen Differenzierung.
Martin Sellner und der „Lucke-Effekt“ – Ein vorsichtiger Ausblick
Der einzige – man möchte es kaum aussprechen – intellektuelle Lichtblick der Neuen Rechten ist Martin Sellner, Gründer der österreichischen Identitären Bewegung. Sellner hat die Zeichen der Zeit erkannt und fragt sich, wie aus rechter Sicht mit dem Melting-Pot der Demonstrationen umzugehen sei. Mit dieser aktionspolitischen Perspektive ist Sellner zwar das einsame Männlein im Walde, jedoch ändert das nichts an der Gefahr, die von seinen Ausführungen ausgeht. Statt sich mit den narzisstischen Problemen der Selbstinszenierung zu plagen, fragt Sellner schlicht und einfach, wie die Protestmenge aus rechter Sicht zu formen ist. Wenn vorher noch die Rede vom Pöbel war, sieht Sellner im Prototyp des Protestierenden schon etwas genauer einen Globalisierungsverlierer, der weitestgehend von ‚der Elite‘ abgehängt ist (man beachte hier den immer wieder auftauchenden Duktus der Eliten-Kritik). Was die Protestierenden auf der Straße verbindet, ist nach Sellner eine unbewusste Schicksalsgemeinschaft, die sich aus deutschen Mittelständlern und Arbeitern ohne Migrationshintergrund zusammensetzt. Für Sellner gibt es zwei Hauptgründe für den Protest: Es gibt einen ökonomischen Druck (man wird im Laufe der Corona-Pandemie arbeitslos) und es gibt einen kulturellen Druck (man fühlt sich fremd im eigenen Land).
Nach Sellner sind beide Drücke maßgebliche Symptome der von der Globalisierung Abgehängten. Sellners These lautet nun, dass diese Abgehängten umso mehr auf einen starken Nationalstaat angewiesen sind, von dem sie jedoch jetzt nicht primär Schutz erleben, sondern weitere ‚Angriffe‘. Hier setzt Sellners These vom Lucke-Effekt an. Lucke gründete die AfD einst mitsamt recht harmloser (im Vergleich zur Politik der heutigen AfD) eurokritischen Standpunkten. Jedoch erwies sich, dass die Eurokritik nichts weiter als ein gemeinsamer kleinster Nenner war, unter dem sich ein Klientel ansammelte, das eigentlich gegen etwas ganz anderes protestierte: Flüchtlinge oder gleich Ausländer. Sobald sich das eigentliche Feindbild herauskristallisierte, konnte der gemeinsame Nenner gekürzt werden, sodass lediglich die xenophoben Anteile bestehen blieben. Sellner überträgt jenes Schema – im Übrigen der erste halbwegs gelungene historische Vergleich – auf die Corona-Demos: „Jeder, der am 1. August in Berlin auf der Straße war, ist ein Mensch, der die Mainstream-Medien kritisch hinterfragt. Der Weg zur Migrationskritik ist da nicht weit.“ Corona bildet für Sellner nun eben jenen kleinsten gemeinsamen Nenner, denn die eigentliche Sorge, die die Protestierenden vereine, sei das ‚Migrationsproblem‘. So muss es also den Rechten heute darum gehen, den gemeinsamen Nenner der Demos – Corona – zu kürzen, um zum eigentlichen Problem vorzudringen, denn „wenn sie [die Protestierenden] als Thema langfristig eine bevölkerungs- und identitätspolitische Fragestellung überschatten, oder diese sogar mit einem geschichtslosen New-Age Universalismus übertünchen, so könnten sie sogar ein unverhofftes Werkzeug der Eliten werden.“ Man könnte das einfacher übersetzen: „Ihr kämpft zwar aus der richtigen Motivation heraus, jedoch kämpft ihr für/gegen die falsche Sache.“
Sellner ist beflügelt von der Hoffnung, dass das „Proxythema“ Corona überwunden und vom Kernproblem der Migration abgelöst werden könnte: „Die rechtsalternativen Esoteriker auf Sinnsuche sind zwar ebenso wie die von der Globalisierung betroffenen Arbeiter und Selbständigen, ideologisch noch ein Bestandteil des linksliberalen Systems. Doch sie gehören mit zu seinen widerwilligsten Insassen und damit zu einem Potential für neurechte Aufklärung und Mobilisierung. Den rechtsoffenen Hippies, die nebenbei bemerkt auch nicht das Gros der Demonstranten ausmachten, fehlen eine politische Theorie und eine ideengeschichtliche Analyse.“ Das Gefährliche an Sellners Theorie ist: Sie ist nicht dumm. Sellner hat scheinbar als Einziger erkannt, dass die reine Sichtbarkeit rechter Ideologien reicht, um ein mögliches politisches Profil der Demos zu animieren. Als einer der wenigen Rechten zeigt er sich bei den Demos, hat er doch die ohnehin hinfälligen Ideologien längst überwunden: „Was uns eint, ist die Angst vor Überfremdung“, könnte er denken, während er neben Grünen spaziert. Vor diesem Hintergrund erscheint auch die karnevalske Freude am bunten Treiben nicht mehr ganz so jovial und ungefährlich – der Begriff des Bunten wird hier so weit ausgedehnt, dass auch ein strammes Braun zu den Kernfarben gehört. Sellner kann sich letztlich entspannt zurücklehnen und zwei mögliche Tendenzen beobachten: Entweder zeichnet sich das von ihm weissgesagte politische Profil ab oder die Demos verlaufen im postmodernen Sand, was auch keine Katastrophe aus rechter Sicht bedeuten würde, höchstens aber ‚verschwendetes Potential‘. Anders als das Randphänomen Pegida jedoch ist der Sammelpol der Corona-Demonstrationen tatsächlich deutlich stärker, da der Begriff des ‚Besorgten Bürgers‘ hier deutlich weiter gefasst ist – tatsächlich liegen keine Welten zwischen Hippie- und Reichsbürgerdasein.
Zur Zeit lässt sich nicht mit Klarheit sagen, welche der beiden Tendenzen sich für die Demonstrationen bewahrheiten werden – jedoch ist überhaupt zu fragen, ob Sellner mit seiner Typologie des ausländerfeindlichen Globalisierungsverlierer richtig liegt. Tatsächlich scheint es, als wünsche sich Sellner, dass seine These Bestand hätte, wobei jedoch dem Klügsten unter den Rechten eine saftige Absage erteilt werden muss: Während schon zu Gründungstagen der AfD eine latente Ausländerfeindlichkeit mitschwang, ist diese Tendenz hier nur am absoluten Rande zu beobachten und hier auch niemals wirkliches Thema. Hier greift die Typologie Sellners insofern zu kurz, als dass der ökonomische Druck nicht automatisch mit dem ‚kulturellen Druck‘ parallelgeschaltet werden kann – wer gerade seinen Job verliert kommt nicht wirklich auf die Idee, Flüchtlingen die Schuld dafür zu geben, auch wenn sich Sellner eine solche Welt wünscht. Richtig ist, dass man sich – wie sooft – gegen ‚die da oben‘ wendet, doch ist die Verbrüderung gegen das kulturell Fremde ein noch äußerst entferntes Wunschbild Sellners, der in den rechten Träumereien eines einsamen Demonstranten-Fängers davon ausgeht, dass so ziemlich jeder Bürger Flüchtlinge hasst oder wenigstens irgendwann hassen wird. Wenngleich auch Sellner nicht in der Lage ist, die Corona-Demonstrationen von rechts außen einzunehmen, ist das mitnichten ein Grund zur völligen Entwarnung. Nach wie vor gilt es, die Lage genauestens zu beobachten und Tendenzen frühzeitig zu erkennen, ohne sie in einer völlig verkürzten Affekthandlung zu fingieren und mit dem Hammer des Generalverdachts Trennlinien zu etablieren, die tatsächlich aber nicht in der Form existieren.
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