Kaum einer weiß heutzutage nach dem Abi schon sicher, welchen Weg er einschlagen möchte. Deshalb wird es auch immer beliebter, erst einmal eine „Auszeit“ zu nehmen, um etwas von der Welt zu sehen. Wie so viele Abiturienten wollte auch ich nach dem Abi endlich frei sein. Machen, worauf ich Lust habe und mir diese „Auszeit“ nehmen.
Schnell war klar: ich möchte etwas anderes machen als viele andere. Nicht als Au-pair oder Work and Traveller nach Australien. Lieber irgendwo hin, wo nicht jeder schon mal war. Zudem war für mich auch die Finanzierung ein zu berücksichtigender Faktor, womit ich schließlich auf den Freiwilligendienst gestoßen bin. Mich in einem sozialen Projekt zu engagieren und an einem interkulturellen Austausch teilhaben zu können, waren für mich sehr entscheidende Aspekte. Ich wollte daran mitwirken, die Welt ein stückweit näher zusammenrücken zu lassen.
Alles beginnt mit der Suche nach einem Projekt
Bei meiner Suche nach einem geeigneten Projekt war von Anfang an klar: ich möchte nach Argentinien. Ich weiß nicht so genau, was mich im Vorfeld an dem Land so fasziniert hatte, jedoch war dies schon länger ein Traum, der nun wahr werden sollte. Ich wollte gerne Spanisch lernen, zum anderen eine lateinamerikanische Kultur kennenlernen.
Während ich diesbezüglich viel recherchierte, stieß ich auf das Weltwärts-Programm und den Internationalen Jugendfreiwilligendienst, welche von zwei unterschiedlichen Ministerien und somit vom Staat gefördert werden. Meine Entscheidung fiel auf den IJFD, welcher vom Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert wird und mit Trägerorganisationen zusammenarbeitet. Meine Trägerorganisation – die Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners e.V. – legen ihren Schwerpunkt auf die Waldorfpädagogik und arbeiten mit Waldorfschulen und -einrichtungen auf dem gesamten Globus zusammen.
Die Vorbereitungen
Nachdem ich mich beworben und meinen Vertrag unterschrieben hatte, ging es ans Spenden sammeln. Denn auch als Freiwilliger selbst ist man dazu angehalten, einen Spendensatz zu erreichen. Die Idee dahinter ist jedoch nicht, dass man selbst für den Betrag aufkommt. Eher geht es darum, bei Firmen und Privatpersonen aus seinem Umfeld anzufragen, ob sie einen mit einer Spende unterstützen würden. So soll auch auf das Projekt aufmerksam gemacht werden.
Besonders in meiner Gemeinde habe ich positive Erinnerungen gesammelt. Die meisten Menschen waren meinem Vorhaben gegenüber sehr interessiert und aufgeschlossen und haben mich gerne mit einer kleinen Spende unterstützt. Auch meine Familie und Freunde meiner Eltern haben einen großen Teil beitragen können. Man sollte sich frühzeitig Gedanken dazu machen, wie man das Geld zusammenbekommt, dies kann sich schwieriger gestalten als vermutet.
Ende Juli letzten Jahres gab es dann ein 10-tägiges Vorbereitungsseminar mit allen Freiwilligen meiner Organisation, die im Sommer nach Lateinamerika gereist sind. Zum einen wurden wir auf die Arbeit vorbereitet, die uns bevorstehen würde. Zum anderen aber auch auf den Kulturschock, der sicherlich über kurz oder lang eintreten würde. Natürlich bot sich dabei ebenfalls die Gelegenheit, andere Freiwillige kennenzulernen, die teilweise im Laufe der letzten Monate zu sehr engen Freunden wurden.
Einsatzstelle Escuela Waldorf Clara de Asis
Dann ging es auch schon los. Meine Arbeit war eigentlich recht vielfältig, doch manchmal auch etwas eintönig. Die Vormittage verbrachte ich im Kindergarten der „Escuela Waldorf – Clara de Asis“ im beschaulichen Ingeniero Maschwitz, welches in der Provinz Buenos Aires liegt. Dort unterstützte ich die Kindergärtnerinnen beim Beaufsichtigen der Kinder, Kochen, Malen, Singen, bei den Eurythmie- Stunden, Spaziergängen und dem Frühstück. An zwei Nachmittagen in der Woche brachte ich die Räume wieder ein bisschen auf Vordermann. Gläser wollten mit Reis, Mehl, Polenta, Hirse und Haferflocken gefüllt werden, gemalte Bilder einsortiert und abgewaschenes Geschirr zurückgestellt werden. Da fehlte mir dann schon hin und wieder eine geistige Herausforderung.
An den anderen beiden Nachmittagen wurde ich in der Oberstufe der weiterführenden Schule eingesetzt. Dort begleitete ich den Werkunterrichtslehrer und hatte mit ihm zusammen ein Auge auf die Schülerinnen und Schüler bei ihrer Arbeit mit Holz, Hammer und Säge. Da die Schule eine integrative Schule ist, war es hin und wieder besonders hilfreich für diesen Lehrer, eine unterstützende Person an seiner Seite zu haben.
Durchweg hatte ich es mit sehr netten Menschen zutun und habe besonders die Kinder im Kindergarten sehr in mein Herz geschlossen. An meiner Einsatzstelle wurde mir jedoch schnell klar, dass sie nicht auf mich angewiesen waren, sondern es viel mehr um den interkulturellen Austausch ging.
Ein unerwartetes Ende – doch die Erinnerungen bleiben
Für die kommenden Monate hatte ich noch einige Pläne. Allerdings machte Corona auch mir einen Strich durch die Rechnung. Im März wurde der Freiwilligendienst vom Ministerium beendet, und es ging mit dem Rückholprogramm des Auswärtigen Amtes Anfang April zurück nach Deutschland. Somit kam es zu einem sehr unerwarteten, verfrühten Ende meiner Auslandserfahrung in Argentinien.
So traurig ich auch darum bin, dass mir fünf Monate meiner Zeit vor Ort entgehen, umso dankbarer bin ich für die sieben Monate, die ich dort hatte. In diesen sieben Monaten durfte ich ganz viele Eindrücke und Erfahrungen sammeln, einen Teil der Kultur und einige Menschen kennenlernen, an mir selbst wachsen und die Zeit als einen unvergesslichen Abschnitt meines Lebens mitnehmen. All die Dinge – positive als auch negative – die ich gesehen und erlebt habe, kann mir keiner mehr nehmen.
Wie entwicklungspolitisch ist ein Freiwilligendienst wirklich?
Machen wir uns nichts vor. Wer mit dem Gedanken an das Ganze ran geht, er würde mit seinem Freiwilligendienst die Welt retten oder konkrete Entwicklungsarbeit leisten, wird schnell realisieren, wie unmöglich dies ist.
Das falsche Verständnis des entwicklungspolitischen Freiwilligendienstes ist meines Erachtens nach eine der größten Hürden, welche er ständig zu bekämpfen hat. Die meisten Bewerber auf einen Freiwilligendienst, kommen mit der Einstellung, helfen zu wollen. Gerade der Begriff „Helfen“ ist in diesem Fall jedoch eine Bezeichnung, die einen bitteren Beigeschmack hat. Denn keiner sollte mit der Einstellung in ein Entwicklungsland fliegen, den Menschen vor Ort zu erzählen, wie sie ihr Leben leben sollten.
Der Gedanke hinter den Freiwilligendiensten ist viel mehr, dass man Menschen unterstützt in dem, was sie tun. Besonders wo vielleicht kein Geld für eine weitere Anstellung vorhanden ist, kann es sehr entlastend sein, jemanden zu haben, der durch den Freiwilligendienst aushilft. Sicherlich werden hin und wieder auch persönliches Know-how und eigene Erfahrungen in die Arbeit mit eingebracht. In den meisten Fällen wird man jedoch von den Einheimischen eingearbeitet und lernt von Tag zu Tag Neues dazu.
Ein Freiwilligendienst sollte vielseitig sein. Es geht dabei nicht nur darum, seine Arbeit zu erledigen und seine Stunden vollzubekommen. Vielmehr geht es aber drum, dass sich Menschen aus verschiedenen Kulturen begegnen und zusammenarbeiten. Dass man gemeinsam und voneinander lernt. Dass man die Traditionen anderer Kulturen kennenlernt und zu verstehen beginnt.
Wähle deinen Fokus
Worauf man bei einem entwicklungspolitischen Freiwilligendienst und der Wahl der Einsatzstelle unbedingt achten sollte:
- Mit welcher Intention bewerbe ich mich?
- Was sollte mir die Einsatzstelle bieten?
- Mit welcher Zielgruppe möchte ich zusammenarbeiten?
- Welche Sprache brauche ich bzw. möchte ich noch lernen?
- Wie wichtig ist mir Mobilität – wie zentral möchte ich mindestens leben?
- Wie sehr möchte ich eingebunden/ gebraucht werden?
Es gibt unzählige Fragen, die man sich im Bewerbungsprozess stellen könnte – und auch sollte. Ich persönlich frage mich rückblickend nämlich, ob ich eventuell etwas hätte anders machen wollen. Meine Zeit vor Ort war super und eigentlich gibt es auch nichts wirklich, worüber ich mich beschweren kann. Dennoch frage ich mich im Nachhinein, wie entwicklungspolitisch mein Dienst denn so war. Letztlich war ich nämlich an einer Waldorfschule, sprich einer Privatschule, an welche relativ viele eher wohlhabendere Familien ihre Kinder geschickt haben. In meinem Fall habe ich mich dementsprechend manchmal gefragt, ob es wirklich notwendig ist, an diese Schule einen Freiwilligendienstler zu schicken und ob man nicht woanders viel mehr gebraucht werden würde?
Ist eine Einsatzstelle auf die Freiwilligen angewiesen, wird diesem oft zu viel abverlangt. Ist eine Einsatzstelle jedoch nicht auf Unterstützung angewiesen, fühlt man sich schnell überflüssig. Somit bin ich an einen Punkt gekommen, an dem ich mich gefragt habe, welchen Mehrwert Freiwilligendienste eigentlich haben und wer am meisten dadurch profitiert. Eine richtige Antwort wird es darauf vermutlich nicht geben, dennoch bin ich zu dem Fazit gekommen, dass es toll und auch wichtig ist, dass es diese Programme gibt. Auch wenn man selbst nicht immer befriedigt ist mit seiner Situation, trägt man, denke ich, direkt oder auch indirekt, zur Völkerverständigung bei. Für all die Dinge, die ich erleben und lernen durfte, bin ich unglaublich dankbar. Allein deshalb würde ich nie bereuen diesen Schritt gegangen zu sein.
Entwicklungsarbeit für uns selbst
Wenn wir eins jedoch nicht vergessen sollten, dann ist es die Tatsache, dass wir mit dem Freiwilligendienst an erster Stelle uns helfen und nicht den Menschen in den Entwicklungs- oder Schwellenländern. Durch die Arbeit im Ausland wächst man an sich selbst und lernt die Welt mit anderen Augen zu sehen. Diese Erkenntnisse tragen wir auch wieder mit in unser Umfeld und teilen sie mit anderen. Unsere Generation zieht es immer mehr in die Welt hinaus und die Erfahrungen, die wir im Ausland sammeln dürfen, werden eine lebenslange Bereicherung darstellen. Denn wer einmal beginnt seine Flügel auszubreiten, dem kann man diese nicht so schnell wieder stutzen.
Auf kurze Sicht mag ein Freiwilligendienst besonders bei Entwicklungsexperten eher bitter aufstoßen und als Budgetverschwendung von Entwicklungshilfe-Geldern gesehen werden. Auf längerfristige Sicht bin ich jedoch überzeugt davon, dass sich das Sozialverhalten unserer Gesellschaft dadurch verändert und man irgendwann erreicht hat, dass die Menschheit von der Welt als großes Ganzes spricht und nicht jeder nur von sich und dem Land in dem er gerade lebt.
Freiwilligendienste und Corona
Natürlich gestaltet es sich zu Zeiten von Corona ein wenig schwieriger, da aktuell an Auslandsaufenthalte nicht zu denken ist. Aber jede Krise ist irgendwann überstanden, und dann wird es auch wieder möglich sein, zu reisen. Für all diejenigen, die dieses Jahr geplant hatten für eine Weile ins Ausland zu gehen, womöglich sogar einen Freiwilligendienst zu machen, da wünsche ich mir, dass Ihr nicht aufgebt. Es ist nie zu spät, dies nachzuholen. Viele beenden erst eine Ausbildung oder ihr Bachelorstudium, und gehen danach nochmal ins Ausland. Egal wie alt, eins ist sicher: eine Bereicherung wird es zu jedem Zeitpunkt sein.
Obgleich ich seit vier Jahren in meinem Ehrenamt bei AFS Interkulturelle Begegnungen e.V. Schülerinnen und Schüler versuche davon zu überzeugen, einen Schüleraustausch im Ausland zu machen, und mir niemals die Idee kommen würde, jemanden von solchen Plänen abzuhalten, halte ich es dieses Jahr für falsch, diese Vorhaben zu verfolgen. Keiner weiß, wie sich die Corona-Situation weiterentwickeln wird, und wann ein normaler Umgang in Bezug auf das Reisen wieder möglich sein wird. Deshalb halte ich es für sehr riskant damit zu rechnen, im Sommer wieder ins Ausland gehen zu können. Ein weiteres Rückholprogramm wird es von der Regierung nicht geben. Sprich jeder, der nun verreist und aus welchen Gründen auch immer nicht zurückreisen kann, sitzt fest. Aus persönlicher Erfahrung kann ich nur sagen, dass es nicht schön ist, wenn jegliche Grenzen geschlossen werden. Wenn man eigentlich nach Hause soll, es jedoch keinen Weg gibt und man schließlich auf einen Rückholflug der Regierung angewiesen ist. So gut es einem vor Ort dann gehen mag, zu Krisenzeiten ist man doch immer noch am liebsten zu Hause bei seiner Familie, in seiner gewohnten Umgebung.
Nicht zu vergessen ist auch, dass kaum ein Land ein so gutes Gesundheitssystem hat wie Deutschland. Man kann nicht davon ausgehen, dass, nur weil es in Deutschland nun langsam zu Lockerungen der Maßnahmen kommt, es im Ausland genauso ist. Viele Länder haben Ausgangssperren verhängt mit teilweise harten Strafen bei Nicht- Einhaltung. Zudem sollte man sich bewusst machen, dass das Reisen nach einer Krise vermutlich nicht das Gleiche sein wird, wie vorher. Quasi überall auf der Welt wird das Leben noch lange eingeschränkt sein, sodass auch die Lebensqualität darunter leidet.
Mein abschließender Tipp: Überlegt euch, welche Option sich bietet, trotz Corona irgendwann für eine gewisse Zeit ins Ausland zu gehen. Die Möglichkeiten sind vielfältig. Man könnte auch mal in den Semesterferien für sechs Monate einen Freiwilligendienst machen oder eben nach Beendigung der Ausbildung / des Bachelorstudiums. Wichtig finde ich nur, sich seine Träume und Pläne auch von einer Ausnahmesituation wie dieser nicht zerplatzen zu lassen.
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