Atlético Madrid steht für ehrlichen Fußball, stabile Defensivarbeit und weniger Glamour als Real Madrid. Unter Trainer Diego Simeone hat der Verein in den vergangenen Jahren einen rasanten Aufschwung erfahren und 2013/2014 sogar die spanische Meisterschaft gewonnen. Der Triumph in der Champions League war ebenfalls ganz nah, doch zweimal scheiterten die Rojiblancos knapp an den Königlichen von Real. In meinem Auslandssemester in Madrid wollte ich schnell Anschluss finden und möglichst viele Fußballspiele besuchen. Atlético ermöglichte mir beides. Ein Erfahrungsbericht über ratlose Fanshop-Mitarbeiter, unbeeindruckte Zuschauer und die viel zu volle Metro.
Bevor ich nach Madrid gekommen bin, war es eines meiner größten Anliegen, mich möglichst schnell zu vernetzen. Ich verknüpfte mich schnell in Facebook-Gruppen für Erasmus-Studenten im Allgemeinen, für Wohnungssuchende oder Partywütige im Speziellen und fand dennoch, dass da noch etwas fehlt. Ich stieß schließlich über meine Universität, die Universidad Francisco de Vitoria im 15 Kilometer westlich von Madrid gelegenen Pozuelo de Alarcón auf City Life Madrid. Ein Anbieter für Menschen wie mich: Menschen, die ihr Auslandssemester planen und nicht wissen, wo sie anfangen sollen beim Haufen der Erledigungen: Wohnung, öffentliche Verkehrsmittel, soziale Kontakte. Ich fand neben wöchentlichen Salsa-Sessions, Tapas-Verkostungen und Freizeittipps auch die Option, in diverse WhatsApp-Gruppen einzutreten. Und ich erkannte, worin meine Lücke zuvor bestanden hatte: Sport. Ich trat also in eine Gruppe ein, in der private Fußballspiele in Madrid organisiert wurden und in der auch auf Bars aufmerksam gemacht wurde, in denen man größere Spiele schauen konnte. Ich sah mich nun besser vorbereitet, stellte die Gruppe jedoch stell auf stumm: Es waren schlicht zu viele Nachrichten, die auch mich einprasselten.
Die Tücken mit der Technik
Einige Wochen später fand ich mich in Madrid wieder, die Tipps zur Freizeitgestaltung hatten mir da schon wesentlich weitergeholfen. Auch mein Ziel, einige Fußballspiele zu besuchen, hatte ich mit Real Madrid und Rayo Vallecano bereits gut umgesetzt. Doch natürlich fehlte noch der zweite große Verein in Madrid, der in den letzten Jahren zunehmend an Augenhöhe mit Real gewonnen hat: Atlético. Ich sah es gewissermaßen als glückliche Fügung an, als ich mal wieder die Sport-Gruppe bei WhatsApp öffnete. Ich sah einen Discount über 25 Prozent für das Spiel von Atlético in der Champions League gegen Bayer Leverkusen, das einige Wochen später stattfinden sollte. Ich eilte nach Hause, öffnete die Homepage von Atlético und gab den Discount ein. Ich suchte mir die besten Plätze aus, die noch verfügbar waren, denn mit dem Rabatt würden diese noch 40 Euro kosten – für mich ein vertretbarer Preis. Ich sah mich schon unter Flutlicht im Wanda Metropolitano, unter all jenen Fans von Atlético, die ich mir weitaus fanatischer als die von Real vorstellte, und drückte auf „Comprar“ – kaufen. Und ich sah: Error. Meine Kreditkarte wurde nicht akzeptiert.
Ich probierte es noch einmal und erntete dasselbe Ergebnis, lieh mir dann die Kreditkarte von meiner deutschen Mitbewohnerin – wieder nichts. Ich fragte mich, ob nur deutsche Kreditkarten nicht akzeptiert würden, und fragte schließlich meine chilenische Mitbewohnerin nach ihrer Kreditkarte. Hoffnungsvoll öffnete ich wieder die Homepage, gab alle Daten ein – und wurde erneut enttäuscht. Ich öffnete die Sport-WhatsApp-Gruppe und sah, dass ich nicht der einzige mit diesem Problem war. Im Gegenteil: Beinahe niemand konnte die Karten kaufen. Ich wartete ein paar Tage, hatte die Karten schon fast vergessen, und schmiedete schließlich einen Plan B: Persönliche Kommunikation.
Auf der bei Touristen beliebten Einkaufsstraße Gran Vía gab es einen offiziellen Atlético-Shop inklusive Ticketverkauf, und so machte ich mich auf den Weg. Der Verkäufer hörte sich mein Anliegen geduldig an und hatte von dem Rabatt offenbar noch nie etwas gehört, schließlich telefonierte er mit einem Mitarbeiter. Seine Antwort: Natürlich könne das nicht funktionieren. Schließlich spiele Atlético gegen eine deutsche Mannschaft, und da könne ich nicht mit einer deutschen Kreditkarte bezahlen. Zum einen erschloss sich dieser Zusammenhang für mich nicht wirklich, zum anderen konnte ich ihn auch widerlegen: Es waren nicht nur Deutsche in der WhatsApp-Gruppe, die sich darüber beschwerten, den Rabatt nicht nutzen zu können. Jedenfalls ging auch dieser Plan nicht auf, also recherchierte ich weiter. Ich las mich ein letztes Mal in die Diskussion ein und entdeckte eine letzte kleine Hoffnung. Und die hieß Nico.
Die Rettung kommt durch Nico
Nico studiert an der gleichen Universität wie ich, und er war für mich zuständig. Meine Uni bot ein Buddy-Programm an, bei dem sich Erasmus-Studenten mit Einheimischen vernetzen konnten, um das Beste aus ihrer Zeit in Madrid zu machen. Das Beste hieß für mich vor allem: Zu diesem verdammten Spiel gehen zu können. Und ich hatte ja Nico. Denn Nico war offensichtlich Spanier, und er hatte eine spanische Kreditkarte. Mit einer solchen sei der Online-Kauf mitsamt Rabatt kein Problem, fand ich heraus, und dann war alles ganz einfach. Ich überwies Nico das Geld, er erledigte den Kauf für mich, und das Ticket war in meinem Mail-Postfach.
Der Weg zum Stadion von Atlético fühlt sich dann jedoch nicht ganz so historisch an wie jener zu Real Madrid, denn das Wanda Metropolitano ist relativ neu. Zumindest für Atlético, das bis 2017 im Estadio Vicente Calderón gespielt hatte, dann jedoch in das renovierte und nun drittgrößte Stadion Spaniens umzog. Auch wenn ich wenig von Architektur verstehe, erkenne ich bei meiner Ankunft sofort, dass dort ein neuer Fußball-Tempel entstanden ist, der sicherlich noch einige spektakuläre Partien erwarten wird. Ich erwarte mir auch für das Spiel gegen Leverkusen einiges: Ich freue mich auf das Duell zweier Spieler, die trotz jungen Alters bereits zu den Leistungsträgern ihrer Mannschaft zählen.
Bei Leverkusen Kai Havertz, der mit 20 Jahren bereits über 100 Bundesliga-Spiele absolviert hat und zur nächsten Saison wohl zu einem europäischen Top-Klub wechseln wird. Bei Atlético der Portugiese João Félix, der diesen Schritt schon hinter sich hat und vor dieser Saison für 126 Millionen Euro von Benfica Lissabon gekommen ist – mit 19. Ich male mir aus, wer das Spiel seiner Mannschaft mehr prägen wird und vielleicht auch die Partie entscheiden wird, doch bereits auf dem Weg zum Stadion werde ich enttäuscht: Félix sei verletzt, höre ich einen deutschen Fan sagen, und überprüfe seine Information bei Google. Er hat recht. Ich ärgere mich kurz, lasse mich aber schnell durch einen kleinen Snack wieder aufheitern – auch wenn vier Euro für eine Pizza, deren Käse überwiegend an der Pappe kleben bleibt, ein stolzer Preis ist.
Die Stimmung ist noch ausbaufähig
Als das Spiel beginnt, erkenne ich schnell Parallelen zu meinen vorherigen Stadionbesuchen in Madrid: Man schimpft gerne, das Spiel ist ein sozialer Treffpunkt, und in der Halbzeit isst jeder seine mitgebrachten Speisen. Kai Havertz befindet sich nicht in seiner besten Form, und doch kommt Leverkusen in der ersten Hälfte zu den besseren Chancen. Ich bin unentschlossen, was ich mir wünsche: Als Deutscher drücke ich schon Bayer die Daumen, doch ich will vor allem die Kraft sehen, die das Publikum entfaltet, wenn Atlético ein Tor schießt. Denn zu großen Teilen des Spiels ist es zwar nicht so ruhig wie bei Real, irgendwann werden dann sogar Fangesänge angestimmt, doch die Stimmung im alten Estadio Vicente Calderón kam zumindest im Fernsehen dann doch enthusiastischer rüber. Und dann geschieht es doch: Der kurz zuvor erst eingewechselte Alvaro Morata köpft zum 1:0 für Atlético ein und bringt das Stadion kurz zum Beben. Das spielt ist fast aus, und ich sehe Männer, die zufrieden an ihrer Zigarre ziehen, andere herzen ihre kleine Tochter. Manche Kinder zeigen eher wenig Interesse am Geschehen, und ich denke mir: Sie mussten wohl mit ihren Eltern mitgehen. Auch bei Atlético erkenne ich Fußball als Spiegelbild der Gesellschaft.
Am Ende nehmen die Fans die drei Punkte eher nüchtern zur Kenntnis, als hätten sie eh einen Sieg erwartet, und verlassen geballt das Stadion. Leider zu geballt. Denn vor der Metro-Station entsteht ein Stau, wie ich ihn nie zuvor bei einem öffentlichen Verkehrsmittel gesehen habe. Ich frage mich, ob es nicht noch andere Stationen gibt, kann aber so oder so nichts mehr machen: Ich bin eingekesselt in der wartenden Menge. Nach etwa zehn Minuten schaffe ich es, in den Bahnhof zu gelangen, und sammle all meine Luft. Denn in der Metro werde ich wenige Möglichkeiten haben, frische Luft zu atmen.
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