Wie wollen wir sterben? Diese Frage wird in der nun schon lange währenden Debatte um eine gesetzliche Regelung der Sterbehilfe in Politik, Gesellschaft und Kirche intensiv diskutiert. Der Kölner Erzbischof, Rainer Kardinal Woelki, ging ihr am 5. Mai bei der 13. Joseph-Höffner-Vorlesung in Bonn nach. Ein Bericht von Lars Schäfers.
„Helft mir beten, das auch die letzte Spanne meines Lebens zum Heil werde, denn man stirbt nicht an einem Leiden, sondern dann, wenn nach Gottes Willen ein irdisches Leben zu Ende geht.“ So formulierte der frühere Erzbischof von Köln, Joseph Kardinal Höffner, seine eigenen Abschiedsworte auf dem Sterbebett (das Zitat ist einem Vortrag entnommen, den Weihbischof Manfred Melzer am 30. Oktober 1997 in Rom gehalten hat, dokumentiert in: Dottrina sociale e testimonanziana cristiana. A cura di Enrique Colom. Libreria Editrice Vaticana, Citta del Vaticano 1999, S. 141 u. 145).
Ja, so möchte man wohl sterben können. Und mit diesem Beispiel Kardinal Höffners leitet der Vorsitzende der Joseph-Höffner-Gesellschaft, Prof. Dr. Dr. h.c. Lothar Roos, die 13. Joseph-Höffner-Vorlesung ein, welche gemeinsam mit dem Bonner Universitätsclub veranstaltet wurde. Die Vorlesung hält der zweite Nachfolger Höffners, der Erzbischof von Köln, Rainer Kardinal Woelki, der vor vollbesetztem Publikum der Frage nachgeht: „Wie wollen wir sterben?“
Auf die Würde des Menschen – auch des Sterbenden – kommt es an
Der Kardinal betont zunächst, dass auch die Frage „Wie wollen wir leben?“ eng mit der Frage nach dem Sterben verknüpft sei. Es gehe um würdevolles Leben. „Ist nur ein Leben in Jugendlichkeit, Schönheit und Sportlichkeit würdig, wie es heutzutage vielfach propagiert werde?“ Es gehöre auch zur Würde, schwach sein zu dürfen, so Woelki. Der Erzbischof verweist auf Artikel eins des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen – jedes Menschen – ist unantastbar. Keiner dürfe also zum anderen sagen: „Es ist nicht gut, dass es dich gibt“. Gerade Christinnen und Christen müssten daher, um der Würde auch derjenigen Menschen willen, die ihrem Leben ein Ende setzen wollen, „zeigen, dass wir diesen Menschen mehr lieben, als sich dieser gerade selbst liebt“, so der Erzbischof.
Ferner weist er darauf hin, dass die Menschenwürde gerade deshalb an erster Stelle unserer Verfassung steht, weil sie während der Zeit des Nationalsozialismus so massenhaft und schwerwiegend missachtet wurde. Kardinal Woelki lässt den Begriff der Euthanasie dabei nicht unerwähnt. Dieser Begriff aus der Antike, der später euphemistisch die Tötung von Menschen rechtfertigen sollte, wurde von den Nationalsozialisten vollends diskreditiert. „Es ist erschreckend zu sehen, wie sehr die Tabuisierung der Sterbehilfe, die nach den Gräueltaten der Nationalsozialisten jahrzehntelang Konsens war, in den aktuellen Debatten fällt“, so Woelki deutlich.
Im voll besetzten Saal herrscht Stille. Viele im Publikum nicken schweigend. Kardinal Woelki spricht auch die aktuelle Debatte im Deutschen Bundestag bezüglich der rechtlichen Regelung der Sterbehilfe an. Im Herbst soll hierzu eine Entscheidung getroffen werden. Woelki verweist auf die Niederlande, wo die Praxis der aktiven Sterbehilfe bereits legalisiert wurde. Sie wird dort emanzipatorisch und mit der Selbstbestimmung des Menschen begründet. Der Erzbischof betont, dass auch für ihn Selbstbestimmung ein ganz wichtiger Wert sei, doch wird er im Kontext der Frage nach dem eigenen Tod und nach aktiver Sterbehilfe überhaupt angemessen verwendet? „Wie frei kann ein Tod in einer Gesellschaft sein, die den Tod derart tabuisiert?“, fragt er weiter. Einerseits sei der Tod in den Medien permanent präsent, andererseits aber werde das persönliche Sterben öffentlich ausgeblendet. Mit Selbstbestimmung habe die Phase des Lebensendes wenig zu tun. Vor allem, wenn ein Suizid in etwa 90 Prozent der Fälle Folge einer schweren psychischen Erkrankung, meist einer Depression, ist. Dabei verweist Woelki auf den Kölner Arzt und Psychiater, Manfred Lütz, der – wie viele seiner Kollegen – vor einer Grenzüberschreitung durch eine Legalisierung aktiver Sterbehilfe warnt.
Würdevoll Sterben in Begleitung
Das Leid kranker Menschen zu lindern und ihr Leben zu erhalten, gehöre hingegen zum Berufsethos der Ärzte. „Wird ärztliches Ethos aber nicht pervertiert, wenn sie das Leben ihrer Patienten vernichten? Seit wann haben Ärzte eine Lizenz zum Töten?“, fragt der Erzbischof unumwunden. Ebenfalls mit klaren Worten konstatiert er, dass Sterben und Tod heutzutage so stillos geworden und aus dem Zuhause verbannt worden seien. Der Erzbischof plädiert für die Wiederentdeckung einer ars moriendi, einer Kunst des würdevollen Sterbens, wie sie in der christlichen Tradition jahrhundertelang gepflegt und entfaltet wurde. Wie wollen wir also sterben? Notwendig seien eine palliativmedizinische Versorgung, intensive Begleitung und seelsorgliche Angebote für Sterbende. Niemand soll alleine Sterben. Daher gibt es bundesweit allein 58 stationäre Hospize in kirchlicher Trägerschaft. Kardinal Woelki weiß, dass das noch lange nicht genug ist. Auch das Engagement der Gemeinden müsse beispielsweise mehr eingebunden und Menschen dazu motiviert werden, sich ehrenamtlich in der Sterbebegleitung zu engagieren.
Wie wollen wir sterben? Eine Frage, die wohl jeden bewegt. Dementsprechend lebhaft und außergewöhnlich lang war die anschließende, von der Moraltheologin Frau Dr. Katharina Westerhorstmann moderierte Aussprache. Für Kardinal Woelki ist klar: Keiner soll durch die Hand eines anderen, sondern an der Hand eines anderen Menschen würdevoll sterben können.
Schreibe einen Kommentar