Wenn wir in einer Situation mit völlig übertriebenen Gefühlen reagieren, dann hat uns ein Trigger erwischt. Warum wir für Trigger dankbar sein können und warum es sich lohnt, genauer hinzuschauen.
Es gibt Momente, da wollen wir einfach nur noch ausrasten. Manchmal genügt bloß ein kleiner Satz, um uns völlig auf die Palme zu bringen – oder sogar noch weniger, ein Blick, ein bestimmter Gesichtsausdruck… oder vielleicht können wir noch nicht einmal ganz genau sagen, was es ist, das uns gerade völlig aus der Fassung bringt.
Hoppla, was ist da los?
Vielleicht kennst du Situationen wie diese: In einer Diskussion lässt eine Person eine flapsige Bemerkung fallen – und eine andere Person reagiert plötzlich mit einem ungeahnten Gefühlsausbruch, fängt an rumzuschreien oder in Tränen auszubrechen, während alle anderen nicht sehen, was eigentlich gerade das Problem ist. Was ist mit dieser Person los, wieso reagiert sie so heftig auf einen Kommentar, den kein anderer in der Runde schlimm findet?
Höchstwahrscheinlich liegt das Problem gar nicht in der Bemerkung selbst, sondern sie ist das, was die Psychologie einen “Trigger” nennt. Ein Trigger ruft in uns Gefühle wach, die irgendwo aus unserer Vergangenheit kommen.
Die Ursache liegt nicht immer im Hier und Jetzt
Besonders stark ist dieses Phänomen bei traumatisierten Menschen zu beobachten, etwa dass ein aus einem Kriegsgebiet geflüchteter Mensch, der knapp dem Kugelhagel von Maschinengewehren entkommen ist, in Panik verfällt, sobald er einen Knall hört. Wie harmlos die Ursache des Knalls auch sein mag – ein zerplatzter Luftballon vielleicht -, er ruft in ihm die Gefühle hervor, die auf seiner Flucht die Maschinengewehre in ihm ausgelöst haben.
Aber nicht nur traumatisierte Menschen haben Punkte, an denen sie angetriggert werden können, sondern auch “Normalos” wie du und ich. Da sind alte Wunden in uns, die nicht verheilt sind, oder Erwartungen, Selbstbilder, Lebenskonzepte, die in uns so tief verwurzelt sind, dass sich eine Art Alarmanlage einschaltet, sobald jemand daran rührt. Sehr oft sind uns diese Dinge, die so tief in uns verankert sind, gar nicht selbst bewusst.
Das Gefühl passt nicht hierher!
Wenn aber eines dieser Dinge angetriggert wird, reagieren wir mit heftigen Gefühlen. Das können Wut, Trauer, Angst, Ekel, Scham- und Schuldgefühle in allen Variationen sein. Einen Trigger erkennst du daran, dass die Gefühle, die du in einer Situation spürst, eigentlich nicht zur Situation passen.
Wenn du im Geiste einen Schritt zurücktrittst und die Situation aus der Distanz betrachtest: War deine spontane Reaktion, also das Gefühl, das da in dir ausgelöst wurde, eine angemessene Reaktion auf das, was passiert war? Oder passt das Gefühl eigentlich nicht richtig? Fühlst du dich verletzt, obwohl der andere nichts wirklich Verletzendes gesagt hat? Wenn es so ist, herzlichen Glückwunsch! Du hast einen Trigger gefunden!
Trigger sind Schätze
Einen Trigger ausfindig zu machen, heißt einen Schatz zu finden. Denn der Trigger offenbart etwas über dich, das dir bis dahin wahrscheinlich nicht bewusst war. Durch den Trigger kannst du eine Verletzung aus deiner Vergangenheit identifizieren, die Wunde säubern und damit den Heilungsprozess einleiten.
Ich erinnere mich an ein Erlebnis vor etwa einem Jahr. Die Situation war völlig harmlos, alle waren gut drauf, die Stimmung großartig. Und mir war plötzlich zum Heulen zumute. Auslöser war eine Entscheidung, die ich einerseits völlig in Ordnung fand, weil sie der momentanen Situation der Gruppe entsprach. Gleichzeitig fühlte ich mich durch diese Entscheidung aber tief verletzt. Überrascht dachte ich: “Das ist nicht normal! Ich habe überhaupt keinen Grund, mich deswegen schlecht zu fühlen. Irgendwas in mir wird da gerade angetriggert… Da muss ich unbedingt mal in Ruhe drüber nachdenken!” Das tat ich dann später auch. In Gedanken spazierte ich in meinem Leben zurück und suchte in meiner Kindheit und Jugend nach der Quelle dieses Schmerzes. Wenn du wissen willst, woher ein Gefühl kommt, das du gerade nicht einordnen kannst, dann frage dich: Wann und wo habe ich dieses Gefühl früher schon einmal empfunden?
Genau hinschauen
Wenn du den Ort deiner Verletzung gefunden hast – oft ist das nicht ein einmaliges Erlebnis, sondern eine gewisse Prägung, die wir im Verlauf unserer Kindheit und Jugend von unserer Familie und / oder Umwelt erhalten haben – dann stelle dich dieser Situation. Frage dich: Was genau hat mich damals verletzt, was hat mich wie geprägt? Was habe ich daraus mitgenommen, welchen Schmerz, welches Selbstbild, welches Weltbild?
Ein Beispiel: Ein Mensch, der mit einem hohen Leistungsdruck aufgewachsen ist, hat vielleicht das Selbstbild: “Ich bin nur wertvoll, wenn ich etwas leiste.” Wenn er dann durch Krankheit oder Unfall eine Zeitlang außer Gefecht gesetzt ist, kann ihn das in eine tiefe Lebenskrise stürzen.
Heilung für die Wunde
Wenn wir eine solche Prägung ausfindig machen, können wir uns entscheiden, sie zu behalten oder uns von ihr zu distanzieren.
Konkrete Schritte in diesem Prozess sind:
- Genau hinschauen: Was finde ich da in mir vor und woher kommt es?
- Vergeben: Oft sind andere Menschen dafür verantwortlich, etwa die Eltern. Bedenke, dass deine Eltern ihr Bestes gegeben haben, aber eben auch nicht perfekt sind – und selbst schon durch das Leben verletzt worden sind. Auch wenn du tief verletzt worden bist: Versuche zu vergeben und hege keinen Groll, sonst kann deine Wunde nicht heilen.
- Sieh dem Problem ins Auge. Du bist heute ein erwachsener Mensch, kein kleines Kind mehr, das seiner Umgebung ausgeliefert ist. Entscheide dich: Wie willst du in Zukunft damit umgehen?
Aktiv gegensteuern
Ich zum Beispiel bin ein Perfektionist. So bin ich erzogen, das ist tief in mir drin. Dinge gut machen zu wollen, ist ja auch keine schlechte Eigenschaft. Aber da, wo der Perfektionismus zur Belastung wird, weil ich eine eigentlich schon gute Sache noch stundenlang nachbessern könnte, habe ich gelernt zu sagen: “Stopp! Jetzt ist es genug! Niemand erwartet, dass es noch besser wird!” Diese kleine Übung entspannt viele Situationen.
Wenn in dir etwas angetriggert wird, sei dankbar dafür! Denn durch Trigger hast du die Chance, dich mit deinen Wunden auseinanderzusetzen und mit der Zeit immer heiler zu werden.
Kallista
Sehr geehrte Frau Walter,
Danke, dass Sie sich mit diesem so wichtigem Thema befasst haben. Da Sie kurz in Ihrem Artikel auf traumatisierte Menschen eingehen, möchte ich Ihnen eine Vertiefung in dem Thema ans Herz legen. Den das, was Sie über “Normalos” geschrieben haben, hat mit Trauma zu tun. Wunden, die nicht verheilt sind, sind traumatisierte Bereiche.
Ein Paradigmawechsel kündigt sich an mit den Arbeiten von Peter Levin und seine Methode: Somatic Experiencing und die Arbeit von Stephen Porges und die Polyvagaletheorie.
Ich bin sicher, dass sehr viele Menschen von gut recherchierten Artikel profitieren werden und hoffe Sie finden auch Begeisterung an diesem Thema.
Mit besten Grüßen
Dipl. Psych. Mona Margarita Kallista