Jeder große Denker hat seine eigene Theorie, sein eigenes Weltbild und sein eigenes Gedankengebäude. Im Schweiße seiner Mühen hebt der wahre Denker ein monumentales Bauwerk aus dem Boden. Doch leider ist es nicht so leicht, diese Gebäude einfach so zu betreten. Sowohl am Haupteingang, wie auch an der Hintertür, ist zumeist zunächst kein Eintritt möglich. Nicht, dass uns dort ein großer Interpret oder Literaturkritiker mit breiten Schultern und dunkler Kleidung den Zugang verwehrt (zumal ich mir einen Reich-Ranicki nur schlecht als Türsteher vorstellen könnte). Nein, die Gebäude sind zunächst für den Leser überhaupt gar nicht verfügbar. Der Leser selbst muss die schwierige Aufgabe übernehmen, die Gedankengebäude in seinem Verstand selbst zu bauen. Häufig leichter gesagt als getan.
Das Handwerk
Ein Theoriengebäude ist manchmal recht zart und einfach gebaut. Ein Baumhaus á la PEGIDA-Ideologie ist recht leicht und schnell zu bauen. Doch umso komplizierter, größer und verwinkelter das Gebäude wird, desto schwieriger wird auch der Bauprozess. Wenn ich an Größen wie Hegel, Nietzsche oder Luhmann denke, weiß ich manchmal gar nicht, wo das Gebäude anfängt und wo es aufhört. Welchen Grundstein kann bzw. muss ich legen? Aber will man Bauherr werden, so braucht man vor allem das richtige Ausgangsmaterial für die Geistesarbeit. Dies setzt sich dann häufig aus historischen Hintergründen, Theorievätern und großen Begriffen zusammen. Das erste kleine Häuschen in deiner persönlichen Straße der Bildung sollte also das „Meta-Haus“ sein. Dabei handelt es sich aber eher um eine Art Werkstatt. In dieser kannst du zum Speed-Reading greifen, die Wissenschaftstheorie unter dem Tisch hervorzaubern oder dich im hinteren Teil am Werkzeug der Mathetik bedienen.
Wie bei jedem Handwerk ist auch das Errichten von Gedankengebäuden mit viel Übung verbunden. Neben der nötigen Hardware muss schließlich auch die Software stimmen. Unser Geistesapparat ist dafür gemacht, zu sammeln und zu jagen, einige besonders Begabte können auch mit Speis und Kies umgehen, aber die Kunst aus einem Buch ein kleines Gebäude zu bauen, ist der „hole-in-one“ der akademischen Arbeit. Natürlich steht an der ersten Stelle die Sprache. Nur über ein komplexes System von Worten und syntaktischen Regeln lässt sich das eigene Gedankengebäude einem alter ego vermitteln. Voraussetzung ist hierfür ein möglichst gleiches Verständnis von einzelnen Begrifflichkeiten. Große Meister, wie ein Immanuel Kant, definieren dafür zunächst alle operativen Begrifflichkeiten. Aber selbst wenn man glaubt die einzelnen Worte jeweils zu verstehen, ist dies noch kein Garant für das (richtige) Verständnis. Falls du mal wirklich gar nichts verstehen willst, empfehle ich dir übrigens „Die Phänomenologie des Geistes“.
Die ersten Häuser
Wahrscheinlich hast du schon längst ganz autodidaktisch angefangen, erste Gebäude zu bauen. Egal, ob diese auf den Märchen der Gebrüder Grimm, der Bibel oder Romanen von Stefan Wolf beruhen. Wahrscheinlich ist dir dabei auch immer mal wieder jemand zur Hand gegangen. Sei es deine Eltern, ein Pfarrer oder der Gaukler um die Ecke. Auf lange Sicht musst du dir einen Meister suchen. Eine Art Mentor, der dich an die Hand nimmt und deine Gebäude immer wieder auf Standhaftigkeit testet. Schau dich dafür einfach mal in deinem Umfeld um. Diese Person muss dich kritisieren können und auf die Probe stellen dürfen. Ihr müsst noch nicht einmal unbedingt befreundet sein, aber euch sollte ein Band des intellektuellen Strebens verbinden.
Natürlich beginnt niemand mit dem Bau von Wolkenkratzern. Denn man braucht einige Erfahrung bevor man das Fundament für einen solchen Bau bereitstellen kann. Es ist vollkommen in Ordnung, sich einem Bau über verschiedene leichtere Zugänge zu nähern. Du solltest keine Angst haben, dich mit populärwissenschaftlichen Büchern und Magazinen zu beschäftigen. Aus intellektueller Eitelkeit will man vielleicht direkt das ganz große Schloss bauen, aber manchmal spart man enorm viel Zeit, wenn man sich zunächst mit Sekundärliteratur und thematischen Einstiegen zufrieden gibt.
Die Wolkenkratzer
Mit dem richtigen Handwerkzeug und der nötigen Erfahrung kannst du dich dann langsam den großen Gedankengebäuden der Wissenschaften nähern. Deine mentale Straße wächst damit um eine beachtliche Größe. Die Infrastruktur weitet sich aus, der Verkehr verstärkt sich und einige kleinere Gebäude werden in den Schatten gestellt. Zumeist ergibt sich der Bau eines solchen Wolkenkratzers im Rahmen eines Studiums. Dort wird man dann angeleitet und Modul für Modul setzt man hoffentlich auch Stein auf Stein. Aber natürlich kann man sich auch außerhalb der Universität an die Arbeit machen. In der heutigen Welt ertrinken wir allmählich in der Informationsflut. Aber wir verdursten fast vor Wissensmangel. Denn nur weil alles verfügbar ist, heißt das noch lange nicht, dass wir alles nutzen. Natürlich ist das wahrscheinlich auch gar nicht möglich oder wünschenswert. Doch um weiter an der Straße zu arbeiten, braucht man Zeit – nein, Muße.
Vielleicht hast du auch wunderschöne Häuser, in der du die Welt der Kunst oder der Musik unterbringst. Das sind vielleicht auch eben jene Wohlfühloasen die deine Straße so lebenswert machen. Im Leben ist nicht alles Theorie und vielleicht willst du auch einfach ein Klangfeld anlegen. Dort kannst du dann Entspannung und ein wenig Außeralltägliches anbauen. Auch eine Bühne, ein Atelier oder ein Kino tut jeder Straße gut.
Und am Ende der Straße…
Mein Traum ist es, eines Tages durch eine wundervoll bunte Straße schlendern zu können. Zu jedem Haus besitze ich einen Schlüssel und in jedem Haus kenne ich mich aus. Ich will andere zu einem Spaziergang einladen können und meine Gäste durch die Etagen führen. Ich kenne die Schönheiten in den Gebäuden, weiß aber auch wo es hapert und knarrt. Vielleicht habe ich manche Stellen auch ein wenig provisorisch geflickt. Aber auf fast allen Häusern liegt eine Art Denkmalschutz. Nur bei einem Haus ist vieles anders. Die Straße endet nämlich vor einem bunten und auch recht verwachsenen Haus. Steht man davor, weht der Duft des Kamins in die Nase, strahlt das warme Licht des Feuers aus den Klappläden des Hauses und der Klang einer Gitarre dringt an das Ohr. Am Klingelschild ist mein Name zu lesen und die Türe steht immer offen. Das Haus ist niemals vollkommen zu Ende gestellt. In den oberen Stockwerken wird immer noch angebaut, aber trotzdem ist es ein wohnliches und gemütliches Anwesen. Mit einem Spiegel im Eingang, einem Keller mit viel griechischem Wein und Schlafplätze für alle Gäste.
Nach und nach möchte ich dieses Haus bauen, das ich dann mein eigen nennen kann. Was ich von anderen Bauten lerne, wende ich auch wieder auf mein eigenes Gedankengebäude an. Und so wachsen Räume, Etagen und Dächer mit jedem Ziegelstein meiner täglichen Erfahrungen. Deshalb verändert sich jeden Tag etwas. Nur das Fundament bleibt gleich. Es wird viel Zeit in Anspruch nehmen, diese Basis zu bilden, in der mein Gebäude nicht versinkt, falls der Regen zu stark wird. Aber wohnen werde ich sowieso eher in den unteren Stockwerken. Hier habe ich meine Lieblingsbereiche, in die ich mich zurückziehen und im Genuss der Schönheit schwelgen kann. Nach oben gehe ich, um frische Luft zu schnappen und in die Sterne zu schauen.
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