Mode ist etwas für Mitläufer und Spießer. Zumindest versuche ich so mein Gammel-Outfit und meine Ahnungslosigkeit in modischen Dingen zu rechtfertigen. Gestrickte Wollsocken von der alten Nachbarin, dazu eine Jeans und ein schlabbriges Punker-Shirt, die Strubbel-Frisur wird unter eine Mütze mit dem Aufdruck „Ratzinger“ gepresst, die 9,99-Euro-Schuhe haben noch nie eine Bürste gesehen und fallen jeden Moment auseinander. Der sauber geshavte Sechs-Tage-Bart rundet mein äußeres Erscheinungsbild ab. Ich nenne das „bequem und individuell“. „Du ziehst doch nur einfach irgendetwas an, um nicht nackt herumzulaufen“, nennen es andere. Gott sei Dank gibt es ein Mädchen, das mich trotzdem liebt. Wegen der inneren Werte und so. Dennoch machte sie mir klar, dass dies noch lange kein Grund sei, mich einfach gehen zu lassen. Also fasste ich mir ein Herz und schenkte ihr einen Gutschein für einen besonderen Tag: Erst darf sie mit mir zum Friseur, danach gehen wir shoppen.
Ich habe mich an meinen neuen Haarschnitt noch gar nicht gewöhnt, als ich mit meiner Freundin in die Innenstadt stürze. Fasziniert beobachte ich, wie sie planlos, aber zielstrebig in das erste Klamottengeschäft stürmt. Ihre Augen leuchten, mit den Fingerknöcheln klopft sie beschwingt auf die Bänder der Rolltreppe ein und ihre Stimmlage erreicht neue, ungeahnte Höhen. In routiniert-feinfühligen Handgriffen tastet sie sich durch die Kleiderständer, zieht ein braunes Oberteil heraus, hält es sich an die Brust und ruft mir zu: „Guck mal!“ – „Oh, das ist schön“, antworte ich auf gut Glück. Sie verzieht das Gesicht: „Doch nicht in kackbraun!“ Sie zieht weiter, entdeckt einen blauen Fummel, der mich irgendwie an die Ölputztücher aus Papas Werkstatt erinnert: „Und das?“, fragt sie. „Nö…“, antworte ich. Sie verzieht enttäuscht den Mund und hängt den Fetzen zurück auf den Ständer. Mist, schon wieder falsch. Doch ihre Enttäuschung hält nicht lange, fröhlich summend schwebt sie zu den Tops.
Shoppen an einem Bundesliga-Samstag
Als ich möglichst unauffällig auf mein Handy sehe, läuft die erste Halbzeit bereits seit einigen Minuten. Werder Bremen, im Abstiegskampf, hat heute ein verflixt wichtiges Heimspiel. „Was machst du?“, werde ich plötzlich gefragt, „Macht’s dir keinen Spaß?“ Meine Freundin sieht traurig aus. Ich versuche es mit Empathie, stelle mir vor, ich würde mit ihr durch meinen Lieblingsplattenladen schlendern, total begeistert von all den Musikalben, die dort ausgestellt sind und sie würde so desinteressiert dreinblicken wie ich gerade – ich glaube, ich wäre auch enttäuscht. Also lächle ich sie an. „Nein, es geht schon!“ Diesen Satz werde ich auch in Klamottenladen Nummer zwei, drei und vier wiederholen müssen. Bevor sie in die Umkleidekabine verschwindet, bietet sie mir ihr Smartphone an, um die Fußballzwischenstände zu checken. Ich lehne dankend ab. So wichtig ist mir Fußball auch wieder nicht. In Wirklichkeit komme ich bloß mit diesen Touchscreen-Telefonen nicht klar.
Als mir mein eigenes Steinzeit-Handy nach fünf Minuten Internet-Ladezeit die 1:0 Führung der Grün-Weißen anzeigt, hebt sich schlagartig meine Laune. In diesem Moment zieht mein Schatz den Vorhang zurück und präsentiert das erste Kleidungsstück. Wow. Vor mir steht ein Engel, sie sieht traumhaft aus. „Joa, bassd“, intoniere ich, nach „net schlecht“ immerhin das zweithöchste Lob im fränkischen Kulturkreis, aus dem ich komme. „Nee, ich mag’s nicht“, sagt sie, und zieht den Vorhang wieder zu. Dann halt nicht. Dann geht er wieder auf und sie sagt: „Also das finde ich eigentlich ganz schön“, bevor ich sie überhaupt genauer betrachten kann. „Ja“, bestätige ich und sie lächelt zufrieden. Vorhang zu, Vorhang wieder auf, sie, in einem wunderschönen Kleid, ich, begeistert. Doch ihr Blick spricht Bände, das Wort „Kartoffelsack“ fällt und mir wird klar, dass meine Freundin dieses Kleid wohl nicht kaufen wird. Schade, aber egal. Denn jetzt bin ich an der Reihe mit Anprobieren.
Liebe is(s)t: Döner
Es ist erstaunlich, wie gut sich mein Mädchen in der Männerabteilung auskennt. „Hier, schau mal, das steht dir!“ Der Pulli sieht bequem aus. Modisch habe ich sowieso keine Ahnung. In blindem Vertrauen nehme ich das Oberteil mit. Genauso bei einer schwarzen Hose und einem anderen Pulli. Als Werder schließlich mit 3:0 in Führung geht, lasse ich mir sogar noch ein Hemd aufschwatzen. Seltsam nur, dass ich die Teile trotzdem anprobieren soll, obwohl sie doch vorher schon wusste, dass mir das steht. Als ich aus der Kabine komme, strahlt sie mich an, zupft etwas an mir herum und sagt dann zufrieden: „Das passt.“ In einem Ton, der keinen Widerspruch duldet. Erst als ich mich wieder umdrehe, fragt sie: „Und gefällt’s dir auch?“ Ich sehe im Spiegel einen Fremden, an dessen neue Frisur ich mich noch gewöhnen muss und der höchstens am Sonntag oder auf Beerdigungen ein Hemd trägt. Wo ist der unrasierte Mode-Verweigerer hin? „Ja, doch, sieht gut aus“, sage ich.
Nach etwa drei Stunden sind wir fertig. Ich bin erstaunt, weil es mir gar nicht so lange vorkam. Ei-gentlich ein gutes Zeichen. Bremen hat am Ende 4:0 gewonnen, ich bin happy. Und meine Freundin sieht auch richtig glücklich aus. „Du gehst nicht shoppen, weil du was brauchst, sondern nur, weil du eben shoppen willst“, hatte sie mir vorher erklärt. Auf dem Rückweg schwingt große Verzückung in ihrer Stimme mit: „Hach, dieses Gefühl ist einfach das beste… Du fühlst dich dann immer so glücklich und so froh und so frei…“ Naja. Das einzige, was ich gerade fühle, sind Müdigkeit und Hunger. Doch meine Freundin kann Gedanken lesen. Ihre wunderschönen Augen blicken mich durchdringend an, während sie ihrem perfekt geformten Mund die folgenden Worte höchster Glückseligkeit entlockt: „Und weil du so tapfer warst, lade ich dich jetzt auf einen Döner ein. Keine Widerrede!“ Widersprechen würde ich ihr sowieso nie. Aber jetzt weiß ich wieder, warum ich sie liebe.
Schreibe einen Kommentar