Schimpfwort, Ausrede, Ablenkung, Krankheit: ADHS kommt im alltäglichen Sprachgebrauch vor. Doch die wenigsten wissen, um was es sich wirklich handelt, verwenden es leichtsinnig oder gar als Beleidigung. Seit einigen Monaten äußern sich viele Betroffene in den Sozialen Medien zu AD(H)S und geben somit einen kleinen Einblick in diese komplexe Erkrankung. Tipps und Tricks, wie Betroffene mit ihrer Störung umgehen, können dabei allen Menschen in den Bereichen Konzentration, Ordnung und Struktur helfen.
AD(H)S: Was ist eigentlich?
AD(H)S steht für Aufmerksamkeitsdefizit-(Hyperaktivitäts)störung und ist eine psychische Erkrankung. Ihre Symptome sind vielfältig und bei jeder betroffenen Person individuell ausgeprägt. Die bekanntesten Symptome sind Hyperaktivität, Unaufmerksamkeit und Impulsivität. Diese können in unterschiedlichen Stärken mit weiteren Erkrankungen zusammen auftreten. Deshalb ist ADHS schwer diagnostizierbar und von einer Selbstdiagnose via TikTok-Reels abzuraten. Bei Verdacht muss es mit Ärzten abgeklärt werden.
Der Unterschied zwischen ADHS und ADS
Auffällig in der Bezeichnung fehlt bei ADS die Hyperaktivität. ADS ist weniger bekannt und äußert sich in seiner unauffälligen und ruhigen, verträumten Art. Da ADHS gerade bei Kindern dadurch auffällt, dass sie nicht stillsitzen können und ständig unter Strom stehen, ist es leicht verständlich, dass ADS deutlich später diagnostiziert wird. Häufiger sind Mädchen betroffen, die durch gedankliche Abwesenheit, Schüchternheit auffallen und uninteressiert wirken. Die Unaufmerksamkeit trifft auf, weil jeder Gedanke schnell von einem anderen überholt wird. Oft führt es dazu, dass ADSler im späteren Alter Depressionen und Ängste entwickeln, kein gesundes Selbstbewusstsein haben und sich von anderen abgrenzen. Das ist auch eine Gemeinsamkeit beider Typen. Die Erkrankten haben Schwierigkeiten, Gedanken und Dinge zu ordnen. Typische Symptome für beide sind des Weiteren Impulsivität und Stimmungslabilität. Diese machen sich bei AD(H)Slern durch Überreaktionen und reflexartige Entscheidungen bemerkbar.
Entstehung
Eine veränderte Gehirnstruktur- und funktion und fehlende Bildung beziehungsweise Ausschüttung von Botenstoffen sind eines der Ursachen für AD(H)S. Doch auch Umwelteinflüsse und genetische Ursachen spielen meist eine große Rolle. AD(H)S kann vererbt werden. Wenn ein Angehöriger ersten Grades mit AD(H)S diagnostiziert ist, ist es wahrscheinlich, dass das Kind ebenfalls AD(H)S bekommt. Geburtskomplikationen, eine Frühgeburt oder Nikotin- und Drogeneinfluss während der Schwangerschaft zählen zu äußeren Einflüssen, die zu AD(H)S führen können. Nicht zu vergessen ist, dass es keine allgemeinen Ursachen für AD(H)S gibt und sich die Entwicklung der Störung individuell unterscheidet. AD(H)S ist keine Krankheit, die plötzlich entsteht. Sie ist hauptsächlich in verschiedenen Faktoren veranlagt, die außerhalb unserer Kontrolle liegen. Auf die Entwicklung und Stärke der Störung können wir Einfluss nehmen, beispielsweise durch ein stabiles und unterstützendes Umfeld der Betroffenen.
Tipps, die nicht nur Betroffenen helfen
Struktur
Fester Platz für Gegenstände
Du suchst am Tag x-mal dein Handy und hast schon wieder deine Schlüssel verlegt?
Such dir einen festen Ort für deine Gegenstände, an dem du sie immer ablegst, sobald du sie nicht mehr brauchst.
Zum Beispiel ein Schlüsselbrett direkt neben der Eingangstür oder eine Handyablage auf dem Flurschrank. Hier findest du eine Anleitung für ein selbstgemachtes Schlüsselbrett.
To-Do-Listen
Lege dir EIN Bullet Journal an! Dabei handelt es sich um eine spezielle Form eines Notizbuches beziehungsweise Kalenders, um dein Zettel-Chaos zu beseitigen. Hier wird erklärt, wie das Ganze funktioniert. Eine Liste an einem Whiteboard kann auch funktionieren, wenn Stift und Schwamm griffbereit angebracht und danach nicht stundenlang gesucht werden müssen.
Zeitmanagement
Termine bündeln
Ein Symptom von AD(H)S ist das ständige Zuspätkommen. Auch spontane Zu- oder Absagen von Terminen gehören zum Alltag. Deshalb ist es ratsam, einen Terminkalender zu führen. Wichtig ist, dass NUR EIN Kalender geführt wird. Hierfür gibt es ebenfalls digitale Möglichkeiten, sodass der Kalender griffbereit mit dem Handy oder digitalem Arbeitsgerät erreichbar ist. An das stetige Eintragen muss trotzdem noch gedacht werden. Der Kalender bewahrt außerdem vor voreiligen Zusagen und gibt Raum, um darüber nachzudenken, ob Verabredungen zeitlich machbar sind.
Vorbereitung
- Plane den Tag im Vorfeld. Lass einen Puffer von etwa 40 Prozent, um genügend Zeit für Unerwartetes oder Trödeleien zu haben. Nach einer Zeit lässt sich dieser anpassen oder durch eine Falls-Zeit-ist-Liste ergänzen.
- Packe abends die Tasche für den nächsten Tag inklusive Verpflegung.
- Schreibe einen Essens- und Einkaufsplan für die gesamte Woche. Damit reduziert sich der Stress, mehrfach in der Woche einkaufen gehen zu müssen und sich pausenlos Gedanken zu machen, was man essen soll. Eine etwas andere Variante ist das sogenannte Meal-Prep. Dabei kocht man einen Tag für die ganze Woche vor. Die Gerichte sind entweder lange haltbar oder eignen sich besonders zum Einfrieren. Der Vorteil ist, dass nur einmal in der Woche die Zeit fürs Kochen und Abwaschen verbraucht wird.
- Lege am Vortag die Kleidung raus, um morgens nicht in Zeitnot zu geraten. Damit du wichtige Dinge nicht vergisst, mitzunehmen, lege sie in den Flur.
Deadlines
Unter Druck entstehen die besten Arbeiten. Einige können nicht anders, als „kurz vor knapp“ Arbeiten zu beginnen und dabei in Zeitnot zu geraten – die Angst, die Abgabe zu verpassen motiviert. Doch der Stress ist unnötig, wenn man eher beginnen würde. Die Lösung des Problems ist, sich selbst oder in der Gruppe eigene, zeitigere Abgabetermine zu setzen. Darüber hinaus hilft es, sich jede Deadline übersichtlich zu notieren und über den Arbeitsplatz zu hängen. So verliert man sie nicht aus den Augen und kann sie nach Dringlichkeit abarbeiten.
Konzentration
Ablenkungen abschalten
Das Smartphone ist zum Alleskönner geworden. Doch umso einfacher ist es, den Tab oder die App von Arbeit zu Unterhaltung zu wechseln. Schon alleine die ständigen Benachrichtigungen verschiedenster Apps füttern unsere FOMO (Fear of missing out). Wir greifen zu und sind von unserer eigentlichen Aufgabe abgelenkt.
Flugmodus rein und eine möglichst große Distanz vom Arbeitsplatz zum Handy schaffen, kann helfen. Falls das nicht hilft, gibt es mittlerweile Handytresore oder Handygaragen, in denen das Mobilgerät mit einer Zeitschaltuhr weggeschlossen werden kann. Erst nach Ablauf der Zeit ist das Öffnen der Box wieder möglich. Auch diverse Apps sollen vom Prokrastinieren abhalten. Eine beliebte App ist zum Beispiel „Forest“ – je länger das Handy nicht benutzt wird, umso größer wächst der eigene Wald.
Leider ist nicht nur das Handy die einzige Ablenkung. Rings um den Arbeitsplatz herum gibt es sicherlich viel interessantere Dinge, die spannender sind als die aktuelle Aufgabe. Hilfreich ist es, den eigenen Schreibtisch (falls möglich) an eine weiße Wand zu stellen und keine ablenkenden Bilder aufzuhängen. Versuche, den Arbeitsplatz so neutral, wie nur möglich, zu gestalten. Falls dies nicht möglich sein sollte, bleibt die Option, sich einen Platz in der Bibliothek zu sichern. Dort ist es ruhig und du kannst dich nicht mit Haushaltsaufgaben ablenken.
Pomodoro-Technik
Die Pomodoro-Technik kann auf zwei Wegen genutzt werden: Entweder stellt man sich alle zehn Minuten eine Eieruhr, um zu überprüfen, ob man noch an der Aufgabe arbeitet. Oder man greift auf die ursprüngliche Technik von Francesco Cirillo zurück. Hierzu kannst du dir die Eieruhr auf 25 Minuten stellen, um in dieser Zeit fokussiert und ohne Ablenkung zu arbeiten oder du nutzt einfach den „Pomodoro-Timer“. Nach diesen 25 Minuten machst du fünf Minuten Pause. Nach vier Pomodoro-Zyklen gönnst du dir eine längere Pause von 30 Minuten. Hier findest du ein Erklärvideo zur Pomodoro-Technik.
Coworking
Beim Coworking trifft man sich mit anderen zum gemeinsamen Arbeiten. Das heißt nicht zwingend, dass zusammengearbeitet wird. Doch es hält dich vom Prokrastinieren ab. Wenn um einen herum Menschen konzentriert arbeiten, ist die Hemmschwelle, selbst etwas anderes zu machen, deutlich höher.
Belohnung
Die genannten Tipps können helfen, den Alltag mit AD(H)S besser zu bewältigen. Lasse nicht außer Acht, dich zu belohnen, wenn es dir gelungen ist, sich den ganzen Tag über strukturiert zu konzentrieren und die Pläne einzuhalten. Gönne dir etwas extrinsische Motivation (Motivation von außen) und lege eine Pause ein und mach einfach mal gar nichts. Bestelle etwas Leckeres zum Essen, leg dich auf die Couch oder mach, was dir Spaß bereitet.
Was du sonst noch wissen solltest
Wenn du nachweislich an AD(H)S oder anderen Einschränkungen leidest, kannst du einen Antrag auf Nachteilsausgleich stellen. Dieser ermöglicht dir längere Abgabefristen und deine Regelstudienzeit kann sogar verlängert werden. Hierzu wendest du dich am besten an den Behindertenbeauftragten deiner Hochschule.
Anne-Kathrin Knoll
Die Tipps helfen sicher nicht nur an AD(H)S Erkrankten, sondern jedem anderen auch .