Kontroversen um den Islam sind medialer Dauerbrenner. Die Terroranschläge in Paris und jüngst in Brüssel sowie die aktuelle Flüchtlingskrise erscheinen dabei als Kristallisationspunkte der Frage nach dem Stellenwert des Islam in Deutschland. Wie denken junge deutsche Muslime über diese Themen? Und warum nicht auch einmal die positiven Seiten des Islam bewusst in den Fokus rücken? f1rstlife sprach dazu mit Samir Bouaissa, dem Vorsitzenden des nordrhein-westfälischen Landesverbands des Zentralrats der Muslime (ZMD).
Herr Bouaissa, wer die aktuellen Debatten verfolgt, könnte meinen, dass in Deutschland rechtes Gedankengut salonfähig geworden ist. Warum hegen aktuell viele Menschen Hass und Vorurteile gegen Muslime und wie gehen Sie damit um?
Warum das so ist, kann ich nur vermuten. Ich denke, es vermischen sich unter anderem die Geschehnisse im Nahen Osten und die Terroranschläge der jüngsten Zeit in Paris und nun auch Brüssel mit einer entsprechenden medialen Berichterstattung, zusätzlich verschärft durch die Vorkommnisse des Silvesterabends in Köln. Das verursacht bei einigen Menschen Ängste. Dazu kommt aber bei einigen auch die generelle Ablehnung allem Fremden gegenüber. Umgehen kann man damit nur, indem man gelassen auf drei Weisen darauf reagiert:
Erstens: Mit den Menschen ins Gespräch kommen und versuchen diese Ängste abzubauen. Zweitens: Die Aufklärungsarbeit in Gemeinden, Verbänden und der Gesellschaft weiter intensivieren. Und drittens: Indem wir als muslimische Gemeinschaft noch selbstbewusster als bisher schon geschehen den radikalen Gedanken und Bestrebungen unserer irregeleiteten Glaubensgeschwister entgegentreten und widersprechen.
Aber was entgegnen Sie den Sorgen vieler Menschen im Hinblick auf die Gewaltbereitschaft in fundamentalistischen Strömungen?
Ich entgegne Ihnen, dass die überwältigende Mehrheit der Muslime weder gewaltbereit ist noch diese Gewalt toleriert. Ganz im Gegenteil, sie lehnt sie gänzlich ab. Sie steht ihr aber genauso wie unsere nichtmuslimischen Mitmenschen oft hilflos gegenüber. Vergessen sollte man dabei ebenfalls nicht, dass sich die Gewalt in den allermeisten Fällen auch gegen Muslime selbst richtet.
Was kriegen Sie mit, wie vor allem junge Muslime das derzeitige gesellschaftliche Klima erleben?
Genau dieses Klima erschwert unsere in die muslimische Gesellschaft gerichtete Aufklärungsarbeit ungemein. Viele junge Menschen wissen nicht mehr, wo sie wirklich dazugehören. In diesem Klima bewahrheitet sich aus ihrer Sicht die Behauptung radikaler Kräfte, „du kannst machen was du willst, sie werden dich nie akzeptieren.“ Wir Moschee- und Verbandsvertreter gelten in solchen radikalen Kreisen gemeinhin als unislamische „Angepasste“ und sich der Mehrheitsgesellschaft anbiedernde Funktionäre, die die angeblich „rechtgeleiteten“ Jugendlichen eh nur vom wahren Weg abbringen möchten.
Sie stehen nicht nur dem Zentralrat der Muslime in NRW vor, Sie sind auch aktives Mitglied in der CDU. Wie lautet Ihre Prognose zum Ausgang der Flüchtlingskrise; schaffen wir „das“ und wenn ja wie?
Ja, wir schaffen das! Es wird nicht leicht, aber wenn wir in Wuppertal, in NRW, in Deutschland zusammenhalten, dann schaffen wir das auch. Es ist unsere menschliche, moralische, aber auch vom Grundgesetz hergeleitete Pflicht. Wir können und wollen nicht zusehen, wie Menschen ertrinken, verhungern oder auf andere Weise zugrunde gehen, die auf der Flucht vor Krieg und Folter alle Strapazen auf sich nehmen, nur weil wir ein diffuses Gefühl haben, dass es zu viel ist. Bisher wurden weder Steuererhöhungen noch Leistungskürzungen aufgrund der Flüchtlingssituation auch nur in Erwägung gezogen. Der von unserer Kanzlerin eingeschlagene Weg hat meine vollste Unterstützung. Und wenn es ihr auch noch gelingt, Europa wieder zusammenzubringen, sodass wir uns als geeintes Europa den Herausforderungen stellen, dann schaffen wir sogar noch viel mehr.
Wie stehen junge Muslime zu ihrer Religion und wie kann ein Abgleiten in Fundamentalismus und Extremismus am besten verhindert werden?
Junge Muslime unterscheiden sich in der Regel nicht grundsätzlich von ihren nichtmuslimischen Altersgenossen. In einem gewissen Alter beginnen oft die Sinnsuche und die Suche nach einer eigenen Identität. Die meisten finden sie auch ohne große Verirrungen und Verwirrungen unter anderem in ihrem Umfeld, ihrer Familie, Sport oder auch im eigenen Glauben. Einige geraten bei ihrer Suche leider an die falschen Menschen oder auch oft auf die falschen Internetseiten. Wenn dann noch die eine oder andere Ablehnungserfahrung aufgrund der Herkunft oder des Glaubens hinzukommt, haben es entsprechende Gruppierungen recht einfach.
Wie die Sicherheitsbehörden bestätigen, handelt es sich bei den radikalisierten jungen Menschen in den seltensten Fällen um Jugendliche, die in Moscheegemeinden sozialisiert oder in einem gläubigen Elternhaus aufgewachsen sind. Oft ist das Wissen um den Islam nur bruchstückhaft bis gar nicht vorhanden.
Deshalb ist es die Aufgabe der muslimischen Glaubensgemeinschaften, aber auch der Gesellschaft, dem entgegenzuwirken. Am wirkungsvollsten geht das Hand in Hand. Wir dürfen es nicht zulassen, dass interessierte Menschen ihre Informationen von dubiosen Gruppierungen oder aus deren einschlägigen Internetangeboten beziehen. Wir müssen gemeinsam ein ansprechendes Alternativangebot schaffen.
Da gibt es sehr viele vielversprechende Programme und Ansätze. Auf sehr großes Interesse stieß zum Beispiel die Multiplikatoren-Konferenz des ZMD zum Demokratie-Leben Projekt „Safer Spaces – Respekt und Teilhabe“ an diesem Samstag in Berlin. Neben zahlreichen Vertretern von Jugendorganisationen der ZMD-Mitglieder und des ZMD-Jugendverbandes nahmen auch viele Vertreter unabhängiger muslimischer Jugendorganisationen teil.
Wie setzt sich Ihr Verband denn konkret für ein positives Islambild, für Verständigung und kulturellen Austausch ein?
Beispielsweise durch zahlreiche Aktionen zum gegenseitigen Kennen- und Schätzenlernen. Dazu zählt auch der Tag der offenen Moschee, an dem deutschlandweit am dritten Oktober zahlreiche Moscheen ihre Türen für ihre Mitbürger öffnen. Dieser Tag geht ursprünglich auf eine Initiative des ZMD zurück. Auch pflegen wir den Austausch auf lokaler Ebene mit anderen Religionsgemeinschaften, Vereinen Parteien, Gruppen und Mitbürgern. Dies geht von gegenseitigen Besuchen über gemeinsame Veranstaltungen bis hin zum ganz persönlichen Austausch.
Dazu gehören aber auch unsere landesweiten Aktionen nach den Terroranschlägen, wie etwa die gemeinsame Mahnwache mit Bundespräsident und Kanzlerin am Brandenburger Tor, aber auch die in über 2.000 Moscheen (gemeinsam mit den anderen Verbänden) zeitgleich nach dem Freitagsgebet veranstalteten Aktionen zu diesem Thema.
Gibt es ein besonders herausragendes Beispiel einer gelungenen Vermittlung der positiven Seiten Ihrer Religion?
Das beste Beispiel ist sicherlich der bereits erwähnte Tag der offenen Moschee, der bei unseren Mitbürgern auf Interesse und Zustimmung stößt. Aktuell sind vor allem auch die vielen Initiativen der muslimischen Gemeinschaften und Einzelpersonen zur Flüchtlingshilfe zu nennen. Beispielsweise wurde kürzlich der „Verband Muslimische Flüchtlingshilfe“ (VMF) gegründet, durch den die muslimische Flüchtlingshilfe koordiniert werden soll. Das Wichtigste ist aber die kontinuierliche Aufklärungsarbeit und Offenheit an der Basis, in den einzelnen Moscheen.
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